Immer diese Griechen

Zweimal Griechenland, zweimal Meinungsmache. In bösem Gleichklang hacken «Bild» und Bundeskanzlerin Merkel auf die Südländer Europas ein. Kein Zufall, vielmehr Methode. Wolfgang Storz wird in seinem Vortrag am Donnerstag in Konstanz hinter die Kulissen der Bild-Meinungs-Maschinerie blicken – dazu eine Ankündigung von Pit Wuhrer; Jens Berger rückt die Zahlen zurecht, mit denen Merkel schlechte Stimmung in Europa macht. Zwei Artikel über 2 x Lügerei, 2 x Griechenland.

„Machen die Griechen den Euro kaputt?“, titelte vor einem Jahr die «Bild»-Zeitung, und schob kurz danach die Schlagzeile nach: „Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxus-Renten?“ Reine Polemik natürlich, wie wir wissen. Was soll man von einem Boulevard-Blatt auch anderes erwarten? Doch die Griechenland-Hysterie hat mittlerweile auch andere, seriöser daher kommende Medien erfasst – die die Schuld für die Euro-Krise ebenfalls den griechischen Beschäftigten zuschieben.

Wie funktioniert die Medienwelt? Warum spielt «Bild» in ihr und in der Politik eine so große Rolle? Betreibt das Blatt überhaupt noch Journalismus? Oder gar keinen mehr, weil seine Berichterstattung nicht journalistischen Kriterien folgt, sondern rein marktwirtschaftlichen? Also neben dem Verkauf von Krisendeutungen allein dem Zweck dient, Umsatz zu machen?

Wolfgang Storz kennt die deutsche Medienlandschaft wie kaum ein anderer. Der frühere Hauptverantwortliche für die IG-Metall-Publikationen und langjährige Chefredakteur der «Frankfurter Rundschau» hat vor einem Jahr die Berichterstattung großer Zeitungen und Nachrichtenredaktionen zur Finanzmarktkrise untersucht und kürzlich im Auftrag der Otto Brenner Stiftung  eine detaillierte Studie zur «Bild»-Kampagne in Sachen Euro- und Griechenland-Krise vorgelegt (s. seemoz v. 8.4.;siehe auch: www.bild-studie.de).

Die Deutsche JournalistInnen Union (dju) des ver.di-Bezirks Schwarzwald-Bodensee und das regionale Online-Magazin Seemoz haben den Publizisten Storz eingeladen. Er beschreibt die Funktionsweise der «Bild»-Zeitung, weiß aber auch, dass die Verwandlung von Journalismus in Marktgeschrei im Funk- und Printbereich insgesamt zunimmt.

Termin: Donnerstag, 26. Mai, 19.30. Ort: Hotel Barbarossa (Nebenzimmer Gerstensack), Konstanz, Obermarkt.

Autor: Pit Wuhrer

Die Kanzlerin der Stammtische

Die Umfragewerte sind im Keller, die CDU verliert wichtige Wahlen, wie gerade in Bremen – in ihrer Not versucht es die Kanzlerin mit Populismus. Wie Bundeskanzlerin Merkel die Parolen des Stammtisches beherrscht, beweist die seit Tagen hoch schwappende Diskussion über Merkels Überlegungen, an welche Bedingungen sie weitere Kredite an die angeschlagenen südeuropäischen Euro-Staaten knüpfen will. Wieder spielte sie dabei mit dem Klischee vom fleißigen und sparsamen Deutschen, der dem faulen Griechen sein hart erarbeitetes Geld in den Rachen werfen muss, damit die Südeuropäer es in Saus und Braus verprassen können.

„Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen – das ist wichtig […] Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen. […] Deutschland hilft nur dann, wenn sich die anderen anstrengen.“ Merkels Worte klingen nach einer Mischung aus aufgewärmten Ressentiments aus der BILD-Zeitung und Franz Münteferings unseligem Ausspruch „Nur wer arbeitet, soll auch essen“. Auch wenn Merkels Worte beim Stammtisch zweifelsohne gut ankommen, entbehren solche Sprüche jeglicher sachlichen Grundlage.

Die wahren Zahlen

Laut OECD beträgt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit deutscher Arbeitnehmer 1.390 Stunden. Ohne Urlaub entspricht dies rund 5,5 Arbeitsstunden pro Tag, bei 30 Tagen Jahresurlaub wären dies 6,26 Arbeitsstunden. Dieser Wert steht natürlich in Konflikt mit der „gefühlten Arbeitszeit“, lässt sich aber dadurch erklären, dass viele Deutsche nicht in Vollzeit, sondern in Teilzeit oder in Minijobs tätig sind, bei denen die Wochenarbeitszeit deutlich geringer ist. Es gibt kein südeuropäisches Land, in dem die Arbeitnehmer eine geringere Jahresarbeitszeit haben als die Deutschen. In Spanien beträgt die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Arbeitnehmer 1.654 Stunden, in Portugal 1.710 Stunden, in Italien 1.773 Stunden und Griechenland ist mit 2.119 Stunden sogar unangefochtener Spitzenreiter in dieser Liste.

Ähnlich verhält es sich beim Jahresurlaub und den Feiertagen, auf die Merkel in ihrer billigen Polemik verweist. Nach Angaben des arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft beträgt der gesetzliche Mindesturlaub in Griechenland 23 Tage – hinzu kommen 10 Feiertage. In Spanien beträgt der gesetzliche Mindesturlaub 22 Tage – hinzu kommen 14 Feiertage. In Italien beträgt der gesetzliche Mindesturlaub 28 Tage – hinzu kommen 11 Feiertage. Wenn man also nur den Mindesturlaub und nicht den tatsächlichen Urlaub als Vergleich heranzieht, liegt Deutschland (24 + 10,5) beim Jahresurlaub hinter Spanien und Italien, aber vor Griechenland. Deutsche Vollzeitbeschäftigte haben dank der Tarifverträge jedoch einen durchschnittlichen Jahresurlaub von 29,1 Tagen – addiert man die 10,5 Feiertage hinzu, kommt man zum Ergebnis, dass das exakte Gegenteil von Merkels Stammtischsprüchen zutrifft.

Wettbewerb um den Sozialabbau

Auch beim Renteneintrittsalter unterscheidet sich Deutschland nur marginal von den südeuropäischen Ländern. Nach Angaben von Eurostat beträgt das effektive Renteneintrittsalter in Deutschland 62,6 Jahre. In Spanien und Griechenland liegt dieser Wert mit 62,0 bzw. 62,3 Jahren nur leicht unter dem deutschen Wert, in Italien liegt er mit 62,8 Jahren leicht über dem deutschen Wert. Wenn Merkel also das Renteneintrittsalter ins Spiel bringt, so meint sie damit eigentlich, dass – wie bei uns mit der Rente mit 67 – auch andere Länder nach deutschem Vorbild die Renten de facto durch ein höheres gesetzliches Eintrittsalter, das weit über dem effektiven Renteneintrittsalter liegt, kürzen sollten.

Die deutschen Stammtische sollten sich daher nicht über die vermeintlich zu früh in Rente gehenden Südeuropäer aufregen, sondern eher umgekehrt über ihre eigene Regierung, die ihren Bürgern die Renten über die Hintertür kürzt. Statt kürzere Arbeitszeiten und ein Rentenalter, bei dem man noch in der Lage ist, seinen „Ruhestand“ zu genießen, als soziale Errungenschaften zu verteidigen, propagiert die Kanzlerin einen europäischen Wettbewerb um den Sozialabbau und das auch noch mit diskriminierenden Unwahrheiten. Das ist nicht nur chauvinistisch und schürt üble Ressentiments innerhalb der viel beschworenen europäischen „Gemeinschaft“, sondern im höchsten Maße unseriös.

Autor: Jens Berger/nds

Weiterer Link:  Drucksache „Bild“ – Fehlanzeige Journalismus