Räudige Füchse und „Kammerjäger“

Zuerst eine Information für alle HundebesitzerInnen: Wenn Sie kürzlich mit ihrem Vierbeiner im Thurgau zwischen Kreuzlingen und Steckborn unterwegs waren und er sich seither kratzt, dass die Haare fliegen, dann verdrehen Sie nicht nur die Augen und denken „Mistflöhe“, sondern gehen Sie schleunigst mit ihm zum Tierarzt. Er könnte nämlich Räude haben. Nicht behandelt, wird er daran sterben. Ein Zustandsbericht von der Füchse-Front aus unserer Nachbarstadt.

So – und jetzt ein „Gschichtli“ um räudige Thurgauer Füchse und wie man damit umgehen soll(te). Kürzlich stand mitten im Kreuzlinger Wohngebiet am Westende der Stadt vor einer Terrassentür ein elend aussehendes, brandmageres, grau-struppiges, auf drei Beinen humpelndes Tier. Kopf und Gesicht nach eindeutig ein Fuchs. Vom rot-buschigen Schwanz war nur noch ein dünnes, graues Etwas übrig. Ein räudiger Fuchs. Am Tag darauf, einem Sonntag, stand er am heiterhellen Nachmittag auf dem Rasen des Nachbarn direkt neben dessen hochbetagtem Hund.

Das Herrchen des Hundes wollte den Wildhüter benachrichtigen, wie er das vor langer Zeit gelernt hatte. Aber … kein Wildhüter im Telefonbuch zu finden. Dann halt die Polizei: „Ja, wir wissen, dass es in Kreuzlingen viele kranke Füchse gibt. Aber da man sie im Wohngebiet nicht erschießen darf, kann man da nichts machen“, so der Polizist zum verdutzten Hundebesitzer.

Wildhüter? Wie, wer, was, wo?

Montags versuchte es dann die Nachbarin, bei der der räudige Fuchs auf der Terrasse gestanden hatte. Weder im gedruckten noch im digitalen Telefonbuch auch nur ein Hinweis auf so etwas Exotisches wie einen Wildhüter. Auch der Versuch, im Staatskalender, dem kantonalen Amtsverzeichnis, beim Amt für Jagd und Fischerei fündig zu werden, scheitert. Naja – Füchse sind ja auch Tiere. Vielleicht weiß ja der Tierschutzverein, wer den Wildhüter gibt in Kreuzlingen? Ja, sagt die Dame am Telefon, man wisse, dass es viele kranke Füchse in Kreuzlingen gebe (na, so was aber auch, denkt die Anruferin), aber die Population an Stadtfüchsen sei halt auch sehr hoch. Ja, und nun, der Wildhüter? Ach, sie wisse, dass sie den Namen aufgeschrieben habe, meint die freundliche und hilfsbereite Tierschützerin, aber grade jetzt sei der Zettel irgendwie … Ein paar Minuten später ruft sie aber zurück, hat den Zettel gefunden, man tauscht Namen und Nummern aus und der nächste Versuch kann starten.

Eigentlich lieber nicht

Anruf bei der ersten Nummer auf der Liste. Keine Antwort, nicht mal ein Anrufbeantworter. Anruf bei der zweiten Nummer: Ein freundlicher Herr, der zwar wirklich eigentlich noch im Amt wäre – aber, man ahnt es bei „eigentlich“ – dieses Ende des Monats abgibt. Er bittet, bei seinem Nachfolger anzurufen. Nicht, ohne zuvor zu erklären – na, was wohl? – dass es in Kreuzlingen sehr viele an Räude erkrankte Füchse gebe, weil die Populationsdichte viel zu hoch sei. Man habe dieses Jahr „sicher schon 30 Füchse töten müssen“. Die Stadtfüchse fühlten sich halt durch draußen stehende Kehrichtsäcke (in der Schweiz stehen keine Mülltonnen an der Straße, sondern Plastiksäcke) und Katzenfutter wie im Schlaraffenland und vermehrten sich viel zu stark, da schlage die Natur eben mit Räude zurück. Aber sein Amtsnachfolger müsse das Tier „erlösen“. Wenn man nicht schießen könne, dann müsse der sich halt etwas einfallen lassen.

Also zurück zu Telefonnummer eins. Wieder erfolglos. Anruf bei Nummer drei, dem örtlichen Jagdobmann. Nimmt auch niemand ab, aber es gibt wenigstens einen Anrufbeantworter. Nachricht hinterlassen. Eine Stunde später ruft Nummer eins der Liste zurück. Also noch einmal von vorn. Noch einmal „ja, wir wissen, dass es viele räudige Füchse gibt… bis nach Steckborn hinunter… sterben daran“. Und nun? Räudiger Fuchs im Wohngebiet mit jeder Menge Hunden, Katzen und kleinen Kindern? „Da kann man nichts machen, nur warten, bis sie sterben“. (Deshalb der Rat an die Hundebesitzer: Lassen sie ihre Vierbeiner nicht von der Leine!)

Lieber zu den Kleintierzüchtern?

Ja, aber sie sind doch als Wildhüter zuständig? Na, eigentlich sei man ja mehr für Wald und Feld zuständig und nicht „der Kammerjäger der Gemeinden“. Aber man solle doch den Wildhüter verständigen? Und weil man so langsam die Geduld verliert, die etwas giftige Frage: „Soll ich mich das nächste Mal vielleicht an den Kleintierzüchterverein wenden?“ Die Antwort kommt völlig ironiebefreit: „Nein, Füchse sind ja keine Zucht“. Der Mann hat definitiv seine echte Heimat gefunden – der Sprache nach eindeutig deutscher Herkunft, der Ironieresistenz nach aber Thurgauer bis in die Knochen.

Und jetzt? „Da kann man nur warten, bis der Fuchs von alleine stirbt. Schießen kann man in diesem Quartier nicht. Und in einer Falle würden wir ja eher eine Katze finden als den Fuchs“. Wenn der Fuchs eines Tages tot im Vorgarten oder auf dem Rasen liege, „können Sie auch Handschuhe anziehen, ihn in eine Plastiktüte stecken und zur Kadaversammelstelle bringen – etwas anderes machen wir auch nicht“, sagt der Nicht-Kammerjäger der Gemeinde.

Nicht „W“ wie Wildhüter

Übrigens: Nach Meinung des Leiters des kantonalen Amtes für Jagd und Fischerei (gegenüber einer außerkantonalen Journalistin) soll man sich – erblickt man einen räudigen Fuchs – beim zuständigen regionalen Jagdaufseher melden (oder bei der Polizei, die diesen dann auch wieder…). Man finde den Zuständigen aber auch „über das Internet auf unserer Homepage in einem GiS-basierten System“. Wer sich nun fragt, was das ist und wie er das findet: Der Thurgau führt unter www.thurgis.ch eine Datenbank, über die man z.B. Grundbuchdaten abfragen kann und dort kann man tatsächlich auch nach Jagdrevieren suchen und findet dann auch alle jene aufgelistet, die einem so wortreich erläutert wurden…

Zumindest weiß man nun, dass man nächstes Mal, nicht mehr unter „W“ wie „Wildhüter“ sucht (weil der Thurgau keine amtlichen Wildhüter hat), sondern unter „J“ wie „Jagdrevier“ oder „Jagdaufseher“. Zu dumm, dass der Amtschef doch tatsächlich findet, wenn man nicht schießen könne, müsse man eine Fallenlösung „in Betracht ziehen“.

Lieselotte Schiesser (Foto: Jorand)