Sie haben es wieder getan

Überstunden im Konstanzer Gemeinderat: Sechseinhalb Stunden tagte das Gremium und 28 Tagesordnungspunkte wurden in öffentlicher Sitzung abgehandelt, aber wie immer wurde das brisanteste Thema im nicht öffentlichen Teil versteckt: Zum zweiten Mal wurde Prof. Müller-Esch gekündigt – mit offensichtlich ähnlichen Mehrheiten wie zuerst am 28. April, aber unter weitaus strengeren Sicherheitsmaßnahmen: Kritische Stimmen wurden im Voraus abgeblockt.

Stadtrat Holger Reile hatte versucht, schon im öffentlichen Teil der Sitzung das Thema „Kündigung eines Oberarztes“ anzusprechen – wohl auch aus Protest gegen die Geheimniskrämerei der Stadtverwaltung in Krankenhaus-Angelegenheiten. Rüde aber entzog OB Frank als Sitzungsleiter ihm das Wort – der „Saft des Mikros“ wurde abgedreht. Auch Stunden später im dann nicht öffentlichen Teil der Sitzung kam es nicht zur Verlesung der Stellungnahme – rechtzeitig vorher war, wie verschiedene Teilnehmer berichten, ein Ende der Debatte durchgesetzt worden. seemoz veröffentlicht darum den Text, der nebenbei auch anderen Pressevertretern vorliegt, am Artikelende.

Klar ist trotz aller Verschleierungsversuche: Auch im zweiten Anlauf nickte die Mehrheit im Gemeinderat das neuerliche Kündigungsersuchen ab – mit wohl ähnlicher Mehrheit wie schon am 28.4. Damals stimmten 18 GR-Mitglieder mit ja, 11 mit nein und sechs enthielten sich. Trotz aller Appelle der Bürgermeister, sämtliche Sitzungsereignisse und -ergebnisse unter dem Deckel zu halten, „weil in jüngster Zeit allzu häufig in Internet-Publikationen über nicht öffentliche Sitzungen berichtet worden war“, wird seemoz wie bislang ihrer Informationspflicht nachkommen.

Informationen werden öffentlich, Informanten bleiben geheim

Dazu nur wenige redaktionelle Anmerkungen: Die hektische Suche nach Informanten ist nutzlos; die Informationen zu diesem Artikel beispielsweise fußen auf Hinweisen von vier Sitzungsteilnehmern aus drei verschiedenen Fraktionen. Und solange solche Entscheidungen hinter verschlossenen Türen gefällt werden, solange werden auch die Informanten geheim bleiben, die Informationen allerdings nicht. Die seemoz-Redaktion bekennt sich trotz aller Anfeindungen zum Zeugnisverweigerungsrecht auch von Journalisten. So ist auch die Überschrift dieses Artikels zu verstehen: Nicht nur die Stadtvertreter haben es wieder getan – auch seemoz wird es weiter tun.

Übrigens: Die unsägliche Praxis der Konstanzer Verwaltungsspitze, strittige Fragen – und vornehmlich Fragen um die Zukunft des Krankenhauses – nahezu ausschließlich hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, ist in Baden-Württemberg ziemlich einmalig. Dazu mehr in einem gesonderten Report nächste Woche auf seemoz.

Hier nun die Stellungnahme der Linken Liste Konstanz zur Kündigungsabsicht gegenüber Prof. Müller-Esch, die dem Gemeinderat vorenthalten wurde:

Sozialdezernent ohne Sozialkompetenz“

„Heute soll erneut in nichtöffentlicher Sitzung über die Causa Müller-Esch entschieden werden. Die skandalöse Vorgehensweise der Verwaltung tragen wir nicht mit und schließen uns dem Geschäftsordnungsantrag von Professor Roth an, der die Absetzung des fünften Punktes in der nichtöffentlichen Sitzung fordert.

Desweiteren, auch da sind wir uns mit dem Antragsteller weitgehend einig, sollte Gert Müller-Esch gehört werden, wenn der Tagesordnungspunkt dennoch auf der Tagesordnung verbleibt. Das ist das Mindeste, was der hoffentlich verbliebene Restanstand abverlangt. Und genau das, nämlich die Gegenseite zu hören, haben wir und auch andere schon bei der letzten Diskussion über diese Angelegenheit angemahnt. Aber eine Mehrheit hier war leider der Meinung, sie müsse sich an der unappetitlichen Attacke gegen Müller-Esch beteiligen.

Das bei dieser Personaldebatte nach außen getragene Bild ist fatal und erinnert weitgehend an den Maultaschenfall. Erneut hat ein Sozialdezernent das vermissen lassen, was ihn mit auszeichnen sollte – nämlich Sozialkompetenz und klug abwägendes Krisenmanagement. Lange, viel zu lange, hat der Oberbürgermeister als Chef der Verwaltung dies zugelassen – aus welchen Gründen auch immer.

So, meine Damen und Herren, geht man in einer zivilisierten Gesellschaft nicht mit Menschen um – egal, ob es sich dabei um eine Krankenschwester oder einen Chefarzt handelt. Mag sein, dass Müller-Esch in seinem offenen Brief auch grenzwertige Formulierungen bemüht hat – dennoch hätte man mit ihm in einen vernünftigen Diskurs treten sollen, ja müssen – denn viele seiner kritischen Anmerkungen, getragen von einer ganzen Abteilung, waren und sind durchaus berechtigt.

Sie haben sich aber dazu entschlossen, einen missliebigen Kritiker abzuschießen – koste es, was es wolle. Und es könnte die Stadt teuer zu stehen kommen, wenn man die von ihnen aufgeführten Kündigungsgründe liest. Viele davon sind arg dünn und stehen auf äußerst wackligen Füßen. Stehen die Verantwortlichen für das sich abzeichnende Desaster vor Gericht dann persönlich für den Schaden gerade? Wohl kaum. Richten darf es dann der Steuerzahler.

Ihr Prinzip scheint zu sein: Augen zu und durch. Doch das tragen wir von der Linken Liste und hoffentlich auch andere auf keinen Fall mit. Wir haben den Eindruck, die Mitglieder des Gemeinderats hier sollen wie bei einer Treibjagd die willfährigen Häscher und Handlanger geben. Das ist für uns auch ein Missbrauch der gewählten Vertreter dieses Gremiums.

Aus der Kritik der vergangenen Wochen haben sie offensichtlich gar nichts gelernt. Im Gegenteil: Heute soll – wiederum unter Ausschluss der Öffentlichkeit – der zweite Teil des Tribunals seine Fortsetzung finden. Wiederum werden wir mit angeblichen Äußerungen von Müller-Esch konfrontiert, gegen die sich der Beschuldigte nicht wehren kann. Von uns bekommen sie für diese Hetzjagd, die einer öffentlichen Hinrichtung ähnelt, auf keinen Fall grünes Licht.

Holger Reile für die Linke Liste Konstanz“

Autor: hpk

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Das Müller-Esch-Tribunal geht in die zweite Runde