Scala-Projekt: Manchmal kommen sie wieder

seemoz-mluenstrothEigentlich war der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt gerade froh, die Debatten um das Aus für das Traditionskino Scala hinter sich gelassen zu haben. Jetzt fängt alles wieder von vorne an. Weil der renommierte Regisseur Douglas Wolfsperger einen Film über das Sterben des Kinos machen will. Und wieder macht die Stadt in der Auseinandersetzung keine gute Figur. Findet der ehemalige Südkurier-Redakteur Michael Lünstroth (Foto), der für seine kritische Berichterstattung zum Thema Scala von seinem früheren Arbeitgeber mit einer Abmahnung und einem Schreibverbot belegt wurde. Daraufhin hat er gekündigt und arbeitet seit kurzem beim Schweizer Internetportal thurgaukultur.ch.

Konstanz war schon immer eine Stadt, die das politische Bandenspiel liebte. Wer hier etwas zu sagen haben will, muss sich auf Intrigenspiel und Strippenziehen verstehen. Das kirchlich-weltliche Machtgeschachere bei dem Konzil vor 600 Jahren hat die Stadt wohl doch mehr geprägt, als das viele wahrhaben wollen.

Man kann das in diesen Tagen wieder wunderbar beobachten. Dieses Mal geht es nicht um Kardinäle und Könige, sondern eher um Provinzfürsten und Hofnarren. Der Anlass: die Debatte um die finanzielle Förderung eines Films. Nicht irgendeines Filmes, sondern, so der bisherige Arbeitstitel, des „Scala-Projektes“. Für die Rathausspitze um den sich nach außen gern smart gebenden Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU) dürfte diese erneute Begegnung mit dem Thema einer Zombiesichtung gleich kommen. Hatten sie doch gerade erst vor einigen Monaten mit einigen Mühen die Debatte um das Aus für das Traditions-Kino mitten in der Konstanzer Altstadt überstanden. Bundesweit lief das Thema, die Schlagzeilen waren für die Stadt, nun ja, nicht unbedingt schmeichelhaft. Nun kommt alles zurück – in Gestalt des Regisseurs Douglas Wolfsperger.

Wie viel Kommerz verträgt Konstanz?

Den in Konstanz aufgewachsenen Dokumentar-Filmer fasziniert das Thema, er will das Scala zum Symbol machen für das Sterben von Programmkinos. „Der Dokumentarfilm ‚Das Scala-Projekt‘ wird die Entwicklungen in der Stadt in den letzten Monaten des Scala-Kinos zeigen. Was bedeutet die Schließung eines Arthouse-Kinos für eine Stadt, die viel auf ihre kulturelle Bedeutung hält und wo doch der Kommerz immer mehr Überhand nimmt?“, schreibt Wolfsperger in einer Projektskizze. Damit ist der alte Konflikt, um den es schon bei dem Ursprungs-Streit um das Scala in Wahrheit gegangen war, wieder aufgebrochen: Wie viel Kommerz verträgt die vom Einkaufstourismus genervte 85 000-Einwohner-Stadt am Bodensee noch?

Douglas Wolfsperger ist von seiner Filmidee überzeugt. Für ihn ist das Ganze auch eine Herzenssache. Im Scala hat er seine ersten Filme gesehen, sogar seine ersten Super-8-Filme wurden hier gezeigt. Gegenüber vom Kino hatte seine Mutter, eine Augenärztin, ihre Praxis. „Mit dem Film möchte ich der Nachwelt etwas erhalten und auch zeigen, dass man ein Kino mit anspruchsvollem Programm nicht mit jedem x-beliebigen Gewerbebetrieb vergleichen kann“, sagt der 58-Jährige.

Nun könnte der Regisseur einfach seinen Film machen. Aber weil er natürlich auch um das Spiel mit der Aufmerksamkeit weiß, hat er die Stadt um einen Zuschuss zu seinem Werk gebeten. Zum einen, weil das Ganze ja auch bezahlt werden muss, zum anderen aber auch, weil er Lust hatte zu sehen, wie die Stadtoberen wohl reagieren würden.

Angst vor Negativ-Schlagzeilen

Und so sitzt er dann eines Abends Ende Juli in dem stickigen Ratssaal der Konzilstadt und muss sich anhören, wie einige StadträtInnen sein Projekt mit spitzen Fingern zerreißen. Wer sich die Videoaufzeichnungen der Debatte anschaut, sieht genau, wie sehr Wolfsperger in diesen Momenten leidet. Deutlich wird am Ende vor allem eines – Verwaltung und Gemeinderat haben große Angst vor neuerlichen Negativ-Schlagzeilen. Sie lassen Wolfspergers Projekt durchfallen.

Kulturbürgermeister Andreas Osner (SPD) fasst es auf seine Weise zusammen: Es sei schlicht kein „zwingender Fördertatbestand vorhanden“. Er sagt das wirklich so. Statt der gewünschten 36.500 Euro erhält Wolfsperger nun lediglich 2499 Euro von der Stadt. Nur mal zum Vergleich: Der Kanton Thurgau und die Stadt Kreuzlingen unterstützen den Film ohne jede Diskussion mit insgesamt 23 000 Franken.

Die offizielle Begründung für die Absage lautet so: „ Das Phänomen „Sterben von Kulturkinos“ ist ein bundesweiter Niedergang. Aber er hat nichts mit der Veränderung von speziell Konstanzer sozialen oder kulturellen Lebensgewohnheiten zu tun. Bei einer Befürwortung der unterjährigen außerordentlich hohen Förderung des Filmprojektes von knapp 40 000 Euro hätte sich die Stadt gegenüber vielen anderen Antragstellern unglaubwürdig gemacht“, erklärt das städtische Pressebüro auf Nachfrage.

Zweierlei Maß unter Freunden

Freilich wäre eine finanzielle Förderung des Scala-Films problemlos und unkompliziert möglich gewesen: Im Fördertopf für freie Kulturprojekte waren aus nicht vergebenen Mitteln noch rund 17 000 Euro übrig. Aus prinzipiellen Gründen wollte man da aber nicht ran. Solch pragmatische Lösungen bekommt in Konstanz inzwischen nur noch, wer einen besonderen Draht zum Rathauschef hat. Auf diesem kurzen Weg erhielt beispielsweise die regionale Talente-Show „Konstanzer Welten“ im Mai 2015 kurzfristig 15 000 Euro aus dem städtischen Haushalt für drei Jahre. Der Organisator und Moderator der Veranstaltungsreihe (Anm.d.Red: Tobias Bücklein) ist ein langjähriger Freund des Oberbürgermeisters.

seemoz-konstanz_scala_2012Was möglich ist und was nicht, wird in Konstanz gerade ohnehin zunehmend davon abhängig, was Verwaltung und Gemeinderat gefällt oder nicht. Ein aktuelles Beispiel: Während in der Debatte um den Erhalt des Scala-Kinos bauplanerische Mittel zur Verhinderung der Umnutzung des Kinos in eine Drogerie von der Rathausspitze stets als zwecklos eingestuft wurden, will die Stadtverwaltung den Bau eines Flüchtlingsheims in einem idyllisch gelegenen Vorort-Gelände mit Seesicht exakt mit diesen Mitteln – also einem Bebauungsplan und einer Veränderungssperre – verhindern und den freien Seeblick für die Vorstädter bewahren.

Auf die Frage, wie das denn jetzt zusammenpasse, antwortet das städtische Pressebüro nach zweitägiger Beratung mit dem eigenen Justiziariat so: „Das sind tatsächlich zwei verschiedene Sachverhalte. In Litzelstetten (jener Vorort, in dem ein Flüchtlingsheim entstehen soll) liegt bereits eine positive Plankonzeption vor, die sich im Flächennutzungsplan, im Landschaftsplan und im Handlungsprogramm Wohnen niedergeschlagen hat. Sie wurde völlig unabhängig vom beantragten Vorhaben entwickelt. Im Gegensatz dazu war beim Scala eben keine positive städtebauliche Plankonzeption gegeben, die innerhalb des gesetzlichen Rahmens Grundlage für einen Aufstellungsbeschluss hätte sein können.“ Überzeugende und konsequente Planung klingt irgendwie anders. Es bleibt auch hier ein schaler Beigeschmack.

Verweigerung als abgesprochene Aktion?

Die Ablehnung eines der Stadtpolitik gegenüber möglicherweise kritischen Projektes beschert dem Konstanzer Rathauschef nun freilich noch eine ganz andere Debatte: Werden künftig nur noch Kulturprojekte unterstützt, die die Stadt im schönsten Lichte erscheinen lassen? Mit anderen Worten: Ist Kulturförderung nach vier Jahren unter dem Marketing-Menschen Burchardt nur noch ein verlängerter Arm des Stadtmarketings? Die Stadtverwaltung weist das auf Nachfrage zurück: „Sicher nicht. Der kulturhistorische Wert einer Dokumentation bzw. einer künstlerischen Arbeit für die Stadt sollte jedoch klar erkennbar sein.“ Douglas Wolfsperger ist sich jedoch sicher: „Mit einem harmlosen Film über die schöne Bodenseelandschaft hätte ich vermutlich ganz leicht das Geld bekommen.“

Nach der für ihn so frustrierenden Sitzung des Gemeinderats im Juli wollte Wolfsperger eigentlich ganz normal weitermachen. Sich nicht abhalten lassen von den „Biedermännern und Kleingeistern im Stadtrat“, wie er sie nun nennt. Allerdings gab es nach der Sommerpause neue Probleme. Fast schien es wie eine abgesprochene Aktion: Nach und nach sagten plötzlich wichtige Interviewpartner für das Filmprojekt ab.

Den Anfang macht Hans-Peter Hillebrand, einer der Eigentümer der Immobilie an der Marktstätte. Er hatte die Geschichte des Kinos, die auch ein Stück weit seine eigene Lebensgeschichte ist, dem Regisseur Wolfsperger bereits lebhaft in die Kamera erzählt. Der Rückzug kam für Wolfsperger überraschend, für Hillebrand war es nur konsequent: „Ich habe nie zugestimmt, Teil dieses Filmprojektes sein zu wollen. Das hätte Herr Wolfsperger wissen können“, so Hillebrand im Gespräch. Tatsächlich hat Hillebrand sich zwar stundenlang interviewen lassen vor der Kamera, eine Einverständniserklärung zur Teilnahme an einem Film hat er aber nie abgegeben.

Die zweite Absage kam am 6. September um 16.10 Uhr per E-Mail. „Ich habe das Projekt jetzt noch einmal ausführlich geprüft und bin zu dem Schluss gekommen, dass auch wir den Dokumentarfilm zukünftig nicht unterstützen werden. Mit diesem Schritt schließen wir uns der Entscheidung aller anderen angedachten Interviewpartner (Eigentümer, Zwischenmieter, künftiger Mieter, Stadtverwaltung) an“, schrieb Detlef Rabe, Geschäftsführer der Scala Filmtheaterbetriebe da an Wolfsperger. Weder stünde er für Interviews bereit, noch seien weitere Drehs im Gebäude gestattet, erklärte der Kinomanager in seiner Mail.

Zweieinhalb Wochen später der nächste Ausstieg – Kulturbürgermeister Andreas Osner zieht seine Zusage für ein Interview zurück. Aus Zeitgründen, wie er sagt, und weil er öffentlich geäußerte Kritik von Douglas Wolfsperger an dem gesamten Verfahren in Konstanz offenbar als so verstörend empfand, dass er sich nun beleidigt zurückzog. Man muss kein großer Verschwörungstheoretiker sein, um zu verstehen, dass die offenbar abgesprochenen Absagen auch dazu dienen, ein missliebiges Filmprojekt zu verhindern. Gerne hätte man auch gewusst, was der Investor und neue Pächter der Immobilie an der Marktstätte zu all dem sagt. Er reagierte jedoch auf mehrfache Anfrage nicht.

Premiere im Spätsommer 2017

Normalerweise bedeuten solche Absagen relevanter Protagonisten das Aus für einen Film. Douglas Wolfsperger will trotzdem weitermachen. „Ich habe da überhaupt nicht den Mut verloren. Ich bleibe guter Dinge, dass wir den Film fertig produzieren“, sagt er im Gespräch. Immerhin – das Interview mit Oberbürgermeister Uli Burchardt zum Thema bleibt ihm. Der Rathauschef stehe zu seiner Zusage, bestätigte das städtische Pressebüro auf Nachfrage.

Wolfsperger selbst fühlt sich auch den vielen privaten Geldgebern verpflichtet. Erst recht, nachdem in der Schweiz noch eine private Crowdfunding-Aktion für den Film ins Leben gerufen wurde. Der Drehplan läuft jedenfalls weiter wie gehabt. Im November wird erneut in Konstanz gedreht, dann mit der bekannten Schauspielerin Eva Mattes, die sich auch für den Erhalt des Scala engagiert hatte. Spätestens im Spätsommer 2017 soll der Film dann fertig sein und auf verschiedenen Festivals gezeigt werden. Mit einer Premiere in Konstanz? Douglas Wolfsperger winkt ab: „Ich wünsche mir das sehr, aber aktuell bin ich nicht sicher, ob es klappt.“

Michael Lünstroth

Regelmäßige Informationen über den Fortgang des Filmdrehs gibt es hier:
www.scala-film.de