Clinch im Einzelhandel: Druck auf Rewe und Norma
Wir werden kämpfen mit Rückgrat – so war die jüngste Betriebsversammlung von Kaiser’s Tengelmann überschrieben. 24 Monate emotionales Auf und Ab haben die Beschäftigten bereits hinter sich, in denen immer die bange Frage stand: Wie geht es weiter? Kopfschütteln angesichts dieser Zumutungen für die Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann reicht nicht: Stehen Sie nicht abseits, unterstützen Sie den Kampf der Beschäftigten, fordert unser Gastautor
Es ist ein Trauerspiel, was da auf dem Rücken der Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann aufgeführt wird: Verkaufsentscheidung an Edeka, Verbot der Fusion durch das Kartellamt, Antrag auf Ministererlaubnis durch Edeka und Kaiser’s Tengelmann, Erteilung der Ministererlaubnis unter Auflagen, Erfüllung der Auflagen, Klage der Konkurrenten Rewe, Markant und Norma gegen die Ministererlaubnis, zweifelhafte Urteile eines Gerichtes gegen die Ministererlaubnis.
Zuletzt fand unter dem Druck von ver.di ein runder Tisch zwischen den beteiligten Konzernen statt, um die Fusion doch noch zu ermöglichen. Dafür hätten sich Rewe, Markant und Norma bereit erklären müssen, ihre Klagen zurückzuziehen (Letzte Meldung: Norma hat gestern, 20.10., ihre Klage zurück gezogen; Anm. d. Red.). Vorerst ist dieser Weg gescheitert. Die Beschäftigten waren den verhandelnden Konzernvertretern am Ende offenbar egal. Soviel zur viel beschworenen sozialen Verantwortung von Edeka, Rewe, Norma und Markant. Arbeitsplätze werden für die bestmögliche Ausgangslage am Markt und letztlich den Profit von Wenigen willfährig geopfert.
Für die Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann wäre die Fusion mit Edeka der beste Weg. Nur durch eine Komplettübernahme könnten auch die Arbeitsplätze in der Logistik, der Verwaltung und den Fleischwerken gerettet werden. Bei der Fusion mit Edeka wären die Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann dank der Tarifverträge, die für diesen Fall abgeschlossen wurden, für mindestens sieben Jahre sicher – Arbeitsplätze mit tariflicher Bezahlung und unter dem Schutz weiter bestehender Betriebsratsstrukturen.
Die Zerschlagung, die jetzt im Raum steht, sichert all dies nicht. Und auch aus wettbewerbspolitischer Sicht ist dies keineswegs die bessere Variante: Selbstverständlich werden auch bei einer Zerschlagung die großen Einzelhandelskonzerne zuvorderst das Rennen um die zum Ausverkauf stehenden Märkte machen. Zu einer weiteren Konzentration der Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel kommt es also trotzdem, allerdings unter deutlich schlechteren Bedingungen für die Beschäftigten.
Kampflos wollen die Beschäftigten bei Kaiser’s Tengelmann und ihre Betriebsräte dieses Hick-Hack auf ihren Rücken nicht hinnehmen. Deshalb bitten Sie jetzt auch die interessierte Öffentlichkeit um Unterstützung, um Druck auf Rewe, Markant und Norma auszuüben – für den Erhalt der Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann. Unter folgendem Link können auch Sie die Kolleginnen und Kollegen unterstützen:
https://weact.campact.de/petitions/erhalt-der-arbeitsplatze-bei-kaiserstengelmann
Michael Schlecht, MdB, wirtschaftspolitischer Sprecher Fraktion DIE LINKE
Ich teile die Meinung des Linken Abgeordneten nicht. In schwierigen Zeiten ist ein kühler Sachverstand ohne Emotionen wichtig. Die Lage der Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen ist brisant und es macht mich sehr traurig, dass die Gefahr eines zweiten Schleckers droht, abermals Tausende Jobs auf dem Spiel stehen und hier wieder einmal besonders Frauen von betroffen sind. Ich war fünf Jahre lang im Handel selbständig und kann die derzeitige Lage sehr gut nachvollziehen.
Aber fragen wir doch bitte zu aller erst, wie es dazu überhaupt kommen konnte? Die Supermärkte in NRW, in München und in Berlin sind seit Jahren in finanziellen Schwierigkeiten. Investitionen in eine strategische und operative Neuausrichtung des Unternehmens wären seit langer Zeit geboten gewesen. Die Tengelmann-Gruppe ist ein Geflecht aus Beteiligungen an Handelsunternehmen, deren Geschäftsmodelle aus sozialen und ökologischen Gesichtspunkten sehr kritisch zu sehen sind. Teddy und Kik sind nur zwei Beispiele für Unternehmen, deren Geschäftsmodelle in keinster Weise für nachhaltige, auf die Lösung der Probleme unserer Welt ausgerichtete Geschäftsstrategie sind. Statt in seine Supermärkte zu investieren und damit Standorte und Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern, gründet Tengelmann Chef Haub lieber eine Venture-Capital-Gesellschaft und stellt Existenzgründern wie Zalando Gründungskapital zur Verfügung.
Wollen wir gemeinsam darüber nachdenken, welche sozialen, politischen und ökologischen Konsequenzen das Geschäftsmodell von Zalando hat? Kostenloser Paketwahnsinn, der unsere Straßen verstopft, Treibhausgase in Massen ausscheidet und unser Klima im nennenswerten Umfang schädigt. Mitarbeiter*innen, die in Logistikzentren von Zalando unter übelsten Bedingungen hart arbeiten müssen und um ihre Rechte betrogen werden.
Das ist Tengelmann. Das ist Herr Haub.
Der Verkauf an Edeka führt in München, Berlin und NRW dazu, dass Edeka Marktanteile von mehr als 50% erreichen würde. Glaubt auch nur ein einziger Mitarbeiter, dass eine solche Marktmacht für Mitarbeiter*innen und ihre Rechte gut ist? Arbeitsplätze künstlich für ein paar Jahre zu schützen, ist vor dem Hintergrund der zu erwartenden marktbeherrschenden Stellung eine Mogelpackung. Es verlängert Probleme in die Zukunft, nichts weiter. Gelöst werden sie nicht.
REWE, Markant und andere versuchen dies nicht zu blockieren. Sie wehren sich gegen einen übermächtigen Mitbewerber, der wiederum Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze bei Edeka-Konkurrenten mit dieser Fusion gefährden würde.
Die Geschäftsleitung von Tengelmann hat gavierende Managementfehler begangen. Die Tengelmann-Gruppe hat ein Geflecht von Beteiligungen an Handelsunternehmen mit höchst bedenklichen Geschäftsmodellen. Aus meiner Sicht wären die Mitarbeiter*innen von Tengelmann gut beraten, auf diese Missstände hinzuweisen und Einfluss auf Haub und Co. zu nehmen, mit REWE, Markant und anderen eine für alle tragbare Lösung zu finden.
Die Zukunft Edeka wird für viele Mitarbeiter*innen eine neue berufliche Sackgasse werden. Und das wäre gegenüber der Belegschaft sehr unfair.
Martin Schmeding; Singen
Diplom-Handelslehrer
Bundestagskandidat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN