Wie weiter mit den Flüchtlingen?
In den letzten Monaten ist es recht still um das noch vor einiger Zeit die politischen Debatten dominierende Thema Flüchtlinge geworden. Im Konstanzer Gemeinderat kündigte die Verwaltung am letzten Donnerstag an, demnächst wieder über den aktuellen Stand zu informieren. Außerdem wurde der Jahresbericht der Integrationsbeauftragen Elke Cybulla nur unwollend und dann kritisch zur Kenntnis genommen.
Die städtische Integrationsbeauftrage hatte sich auf ihren 36-seitigen, höchst detaillierten Tätigkeitsbericht für das Jahr 2015 sicherlich andere Reaktionen erhofft. Statt des sonst im Gemeinderat üblichen einhelligen Dankes erfuhr ihr Bericht von mehreren Seiten Kritik. Schon eingangs bemängelte Christiane Kreitmeier (FGL), dass der Bericht dem Rat einfach nur so zur Kenntnis gegeben werden solle, sie jedenfalls hätte sich schon ein paar erläuternde Worte von Elke Cybulla dazu erhofft.
Neues Integrationskonzept in Arbeit
Das verhieß nichts Gutes, aber Elke Cybulla schlug sich in einem spontanen Vortrag dann ganz wacker und ließ noch mal einige wichtige Ereignisse des letzten Jahres Revue passieren. Sie verwies darauf, dass bei Integrationsarbeit viele Menschen ausschließlich an Flüchtlinge denken. Das sei falsch, was sich schon daran zeige, dass es auch vor den Ereignissen des Jahres 2015 für die Integrationsbeauftragte genug zu tun gegeben habe und auch in Zukunft geben werde, egal, wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln werden. Vor allem kündigte sie an, und darin bestätigte sie Bürgermeister Andreas Osner ausdrücklich, dass das Integrationskonzept von 2009 im nächsten Jahr überarbeitet werden soll.
Frau Kreitmeier war sichtlich glücklich, dass Elke Cybulla sich doch noch persönlich geäußert hatte, denn jetzt konnte die Grüne ihren vorbereiteten Redebeitrag wie geplant halten. Neben der Betonung der Netzwerkarbeit ging es ihr vor allem um das Internationale Forum. Sie beklagte, dass dieses Gremium sich nur vier Mal im Jahr trifft und dringend gestärkt werden müsse. Darum forderte sie die Mitglieder des Forums auf, sich einmal zusammenzusetzen, um ein Feedback zur bisherigen Arbeit zu geben und sich Gedanken über Verbesserungen zu machen.
Den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen
Die Kritik an Elke Cybullas Bericht entzündete sich daran, dass das Schriftwerk zu detailliert ausgefallen sei. Eine halbe einleitende Seite lang werden allein Aufgaben wie das Abarbeiten von E-Mails, die Abrechnung von Dienstreisen oder die Beschaffung von Büromaterial aufgelistet, die ganz einfach zum Büroalltag gehören, wie Kurt Demmler (CDU) zurecht kritisierte. Der ganze Bericht ist letztlich eine verwirrend penible Aufzählung einzelner Aktivitäten, Sitzungen, Gremienbesuche etc. Holger Reile (LLK) fasste sein Unbehagen zusammen: „Uns liegt eine bloße und stichwortmäßig dürr gehaltene Aneinanderreihung diverser Angebote vor, die meist nur trübe erahnen lassen, worum es sich überhaupt gehandelt hat. Ich hätte mir eine Gesamtbeurteilung der Lage gewünscht und eine inhaltliche Rückschau auch auf die unterschiedlichen Angebote des Jahres 2015. Will heißen: Wo wurden wichtige Ziele erreicht, wo nicht? Was fiel völlig unter den Tisch? Wo besteht Verbesserungsbedarf?“
Elke Cybulla hat diese Kritik sichtlich falsch verstanden. In ihrer Replik zeigte sie sich überrascht, dass ihr Bericht trotz ihrer Detailliebe, der Presseberichte über einzelne Aktivitäten und der Angabe bei jeder einzelnen Veranstaltung, ob sie dabei federführend oder nur mitgestaltend tätig war, dem Gemeinderat nicht ausreichend erscheine. Sie hatte offensichtlich den Eindruck, einige Räte forderten von ihr noch mehr Details, aber dieser Eindruck war falsch. Die Kritik galt ja gerade ihrer Tendenz zur Faktenhuberei, die eher einem Terminkalender als einem sinnvoll strukturierten Tätigkeitsbericht gleicht. Nicht zu verstehen schien sie, dass man von ihr statt einer Auflistung einzelner Sitzungsteilnahmen eine grundlegende Bewertung erwartet hätte, wo sich Probleme bei der Integration auftaten, wo neue Wege gegangen wurden, welche Maßnahmen sich als erfolgreich oder als Fehlschläge erwiesen haben und wie es mit der Integrationsarbeit weitergehen soll.
Auch Andreas Osner erklärte sich für unzufrieden mit der Klarheit und dem Informationsfluss bei der Integrationsarbeit. Er will in den nächsten zwei Monaten einige organisatorische Vorschläge unterbreiten, die zudem die Aufgabenteilung zwischen der Integrationsbeauftragten und dem Flüchtlingsbeauftragten Moustapha Diop verbessern sollen. Osners Ziel: Kooperation zwischen beiden, aber keine Doppelstrukturen.
Integrationsarbeit muss sichtbarer werden
In Elke Cybullas Arbeitsziel allerdings konnten sich dann wohl alle wiederfinden: „Ich will ein Gefühl der Sicherheit geben: Ja, die Integration läuft gut in dieser Stadt.“ Um das zu erreichen, muss Frau Cybulla aber beginnen, sich mit grundsätzlichen Überlegungen hörbar in die öffentliche Debatte einzubringen, statt sich hinter Gremienarbeit und Networking zu verschanzen. Dazu ist dieses Thema einfach zu wichtig.
Auf Anfrage von Gabriele Weiner (JFK) hin gab es seit längerem zum ersten Mal wieder eine Art spontanen Sachstandsbericht Flüchtlinge. Uli Burchardt kündigte für die nächste Gemeinderatssitzung einen ausführlichen Überblick an. Vorrangig ist für ihn ein Zeitplan für die Errichtung der dringend benötigten Anschlussunterkünfte in Konstanz. Das Hauptproblem ist allgemein bekannt: Es fehlt in Konstanz an Wohnraum, so dass Konstanz seiner Pflicht, ausreichend Anschlussunterkünfte bereitzustellen, laut Oberbürgermeister in absehbarer Zeit nicht nachkommen kann.
Derzeit ist der für die Erstunterbringung zuständige Landkreis dabei, die Gebäude für Erstunterbringungen zu leeren, und zwar die schlechtesten zuerst. Aufgrund des Mangels an Anschlussunterkünften sollen in den besseren Erstunterkünften Flüchtlinge anscheinend länger als geplant (und gesetzlich vorgesehen?) bleiben. Für Uli Burchardt ist eine gute Erstunterbringung immer noch besser als eine schlechte Anschlussunterkunft. Große Liegenschaften, wie sie der Landkreis etwa in Gottmadingen unterhält, seien zur dauerhaften Anschlussunterbringung allerdings ungeeignet, weil das zur Gettobildung führen und einzelne Gemeinden überfordern würde.
Ziel sei eine „gute, integrationsgerechte Unterbringung“. In seinen Worten schien mitzuschwingen, dass seiner Meinung nach andere Kommunen des Landkreises mehr Anschlussunterbringungen bereitstellen sollen als sie eigentlich müssten, weil Konstanz seine Quote wegen des angespannten Wohnungsmarktes nicht erfüllen könne. Aber ausdrücklich sagte Uli Burchardt das nicht. Auffällig war, wie sehr der Oberbürgermeister betonte, man müsse für die Anschlussunterbringung, die anders als die Erstunterbringung ja Sache der Stadt ist, kreisweit eine einvernehmliche Lösung finden.
Wie geht’s weiter?
Was aus der Tennishalle am Hörnle wird, die der Landkreis unter teils heftigen Protesten gewisser Kreise für Flüchtlinge angemietet hat, konnte die Verwaltung auf Nachfrage von Roger Tscheulin (CDU) nicht sagen, darüber werde noch beraten und das sei auch primär Sache des Landkreises.
Der zuständige Bürgermeister Andreas Osner bezeichnete die jetzt anstehenden Aufgaben der Anschlussunterbringung als „ruhiger, aber komplexer“ und verwies auf einen erheblichen Abstimmungsbedarf. In der nächsten Gemeinderatssitzung könnte es also bei einem ausgearbeiteten Überblick über die künftigen Aufgaben wieder spannend werden, denn dieses Thema ist neben Wohnen und Integration eines, das nicht nur Konstanz in den nächsten Jahren massiv beschäftigen und das Leben in der Stadt auf Jahrzehnte hinaus mitprägen wird.
O. Pugliese
Ich habe den Eindruck, dass für viele Menschen – nicht nur hier vor Ort – die sogenannte „Flüchtlingskrise“ bereits vorbei ist. Irgendwie scheinen die Asylsuchenden alle versorgt worden zu sein, es kommen kaum neue nach. Haben wir es vielleicht wirklich schon geschafft?
Dass die Erstaufnahme zwar in der Momentaufnahme ein tatsächlicher Kraftakt war, die eigentliche Anstrengung aber nun erst beginnt, fällt offenkundig vollkommen unter den Tisch. Jetzt geht es um die Integration, nicht nur in das Wohnumfeld, in das Arbeitsleben. Sprache, Kultur und soziale Kontakte lassen sich nicht innerhalb von Wochen nahe bringen.
Mancher Flüchtlingshelferkreis streicht schon wieder die Segel, tatsächlich fehlt es mittlerweile an der öffentlichen Präsenz des Themas. Das liegt allerdings auch daran, dass die Menschen recht hilflos sind. Teddybären, ein Fahrrad oder ein wenig Kleidung waren schnell einmal gesammelt. Aber was können wir nun tun, um bei der Eingliederung zu helfen?
Hier fehlt es an Strukturen, aber auch an Transparenz. Die Behörden mühen sich scheinbar damit, die Bevölkerung in den Integrationsprozess einzubinden und ganz konkret zu werden, wenn es um die Frage geht, wie der Einzelne im Stadium von Anschlussunterbringung und Übergang ins Leben helfen kann.
Und bei aller Gelassenheit verwundert mich die Naivität, die offenkundige Ansicht, wonach durch die Schließung der „Balkan-Route“ nun Schluss ist mit Asylsuchenden. Hunderttausende warten in Afrika auf die Überfahrt, in Afghanistan und im Irak drohen neue Wellen der Flucht – und eine instabiler werdende Türkei könnte schon bald die eigenen Tore zur Durchreise von Menschen aus Syrien, dem Libanon oder dem Jemen wieder öffnen.
Ob da ein Durchatmen tatsächlich angemessen ist?