Die große Wette auf den Journalismus
R wie Rebellion. So nennt der bekannte Schweizer Journalist Constantin Seibt sein Projekt für ein Onlinemedium in der Deutschschweiz. Immer mehr Journalisten wenden sich wie er von den großen Zeitungsverlagen ab, weil sie – wie die LeserInnen auch – von den Massenmedien und ihrem Rechtsdrall genug haben.
Es ist eine Ankündigung im Wortsinn: Constantin Seibt, der bekannteste Autor des „Tages-Anzeigers“, kündigt nach zehn Jahren beim Konzern. Und weil er von sich aus geht, bleiben uns für einmal die wattierten Worte des Verlagssprechers erspart. Dafür gibt sich Seibt selbst kämpferisch: „Rebellion“ heißt das Motto für das Medienprojekt, das er ins Leben rufen will. Das Onlinemedium soll sich explizit gegen Konzerne wie Tamedia, Ringier oder Springer richten, die sich zu „großen Verteilstationen von Informationen und Waren“ wandeln, wie der frühere WOZ-Redakteur im Gespräch erklärt: „Mit verheerenden Folgen für den Journalismus, die Köpfe der Leser und die Demokratie.“
Ausgeheckt hat Seibt das „Project R“ zusammen mit Christof Moser, der als Bundeshausredakteur der „Schweiz am Sonntag“ ebenfalls seine Kündigung eingereicht hat, und mit weiteren MitstreiterInnen aus Journalismus, Betriebswirtschaft und IT. „Mit unseren Kündigungen wollen wir uns den Rücken freimachen, die Firma so sorgfältig wie möglich zu gründen“, sagt Seibt.
Vorerst will man Klinken putzen, Anfang des Jahres über die Ausgestaltung informieren, der Start erfolgt frühestens im Sommer 2017. Bis dahin sei das Projekt auch finanziell gesichert. Über potenzielle Geldgeber wie die Gebrüder Daniel, Marcel und Martin Meili, die reichen Erben, die sich für die Erbschaftssteuer engagierten, will Seibt nichts sagen.
Einige Umrisse zeichnet er dann doch: Die Plattform soll über eine feste Redaktion verfügen: „Wir wollen Leidenschaft, Debatte und eine Linie.“ Dies auch als Gegentrend zu den konvergenten Medienprodukten, in denen sich Redaktionen als soziale Gefüge zunehmend auflösen. Die Hälfte des Teams soll aus Frauen bestehen. Fürs Erste will sich das „Project R“ auf die Deutschschweiz beschränken; eine Expansion ins Ausland wird erst mittelfristig ins Auge gefasst: „Die politischen Mentalitäten sind zu unterschiedlich“, sagt Seibt. Finanziert werden soll das Projekt im laufenden Betrieb über LeserInnen: Eine größer werdende Marktlücke wittert man bei allen, die von den Massenmedien und ihrem Rechtsdrall genug haben.
In den Artikeln Constantin Seibts sind es oft smarte, toughe, harte Jungs, die wahlweise die Welt retten oder zerstören. Ob die Schweizer LeserInnen auf ihre Erlösung gewartet haben und am Ende anständige Löhne ermöglichen – das bleibt die große Wette. Aus Sicht eines unabhängigen Mediums wie der WOZ (und seemoz, Anm.d.Red.) kann man nur wünschen: Good luck, KollegInnen von der Rebellion.
Kaspar Surber (der Text erschien zuerst auf www.woz.ch)