Hurra, die Bürgerbeteiligung ist da

Nach zwei Jahren zähen Ringens hat sich eine Projektgruppe Bürgerbeteiligung auf einige wesentliche Schritte zu mehr Offenheit der Verwaltung für den Bürgerwillen geeinigt. Wer da eigentlich so lange mit wem worum gerungen hat, wurde in der Sitzung des Gemeinderats am letzten Donnerstag leider nicht deutlich, aber sei’s drum. Schließlich geht es um ein bürgerschaftliches Edelvorhaben, das einen tüchtigen Schritt vorangekommen ist: Mehr Mitsprache für das Stimmvolk.

Natürlich haben BürgerInnen bisher schon Mitwirkungsmöglichkeiten: So manche Engagierten haben „ihren“ Stadtrat oder „ihre“ Stadträtin, bei dem oder der sie immer wieder mit ihren Anliegen vorstellig werden. Vereine, Bürgergemeinschaften, Intendanten und Initiativen wiederum besuchen regelmäßig die Fraktionen, um für ihre Anliegen zu werben und zumeist um mehr Geld zu barmen. Zwischen Politik und BürgerInnen stehen also keine unüberwindlichen Sperranlagen – und doch macht sich unter den Menschen immer wieder das Gefühl breit, dass „die da oben über meinen Kopf hinweg bestimmen“. Da aber die politiktreibende Klasse gerade vom Schreckgespenst Politikverdrossenheit umgetrieben wird, muss dringend eine Bürgerbeteiligung her.

Dass sich so manchen PolitikerInnen und Verwaltungsmenschen dabei innerlich das Nackenhaar sträubt, ist klar, denn Bürgerbeteiligung verheißt zumindest Mehrarbeit und im schlimmsten Fall gar Bedeutungsverlust, und den fürchtet die Obrigkeit traditionell mehr als der Teufel das Weihwasser. Aber immerhin, es ist vollbracht.

Zweieinhalb Jahre gereift

In Konstanz wurde auf einen Gemeinderatsbeschluss hin im November 2014 durch Oberbürgermeister Uli Burchardt eine entsprechende Projektgruppe einberufen. „Sie setzt sich zusammen aus je sieben Vertreterinnen und Vertretern der Konstanzer Bürgerschaft, Verwaltung und Politik unter Moderation der KGSt (Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement)“, heißt es in den Sitzungsunterlagen Als Bürgerschaft waren dort vier Bürgergemeinschaften, der Stadtseniorenrat, die freie Wohlfahrtspflege sowie das Studierendenparlament vertreten.

Wie soll Bürgerbeteiligung in Konstanz funktionieren?

In den am Donnerstag diskutierten Leitlinien heißt es: „Bürgerbeteiligung meint die Teilhabe der Bürgerschaft an einzelnen kommunalen Entwicklungs-, Planungs- und Entscheidungsfindungs-Prozessen, sofern der Gemeinderat das beschließt oder der Oberbürgermeister in seinem Zuständigkeitsbereich Bürgerbeteiligung vorsieht. Sie verbreitert die Entscheidungsgrundlage für den Gemeinderat oder die Verwaltung und kann die formelle, gesetzliche Bürgerbeteiligung ergänzen.“

Die Beteiligung kann in verschiedenen Stufen geschehen:

Die 1. Stufe ist die besondere Information „über einen Entscheidungs- oder Planungsprozess. Die besondere Information geht über die übliche Information (zum Beispiel: Pressemitteilung, Veröffentlichung auf der Webseite etc.) deutlich hinaus (zum Beispiel: Flyer, umfassende Webseite zum Vorhaben, Informationsveranstaltung, …).

Die 2. Stufe ist die Konsultation, bei der die Bürgerschaft zu einem Vorhaben ihre Meinungen äußern und Stellung beziehen kann. „Die Verwertung/Weiterverarbeitung der Meinungen und Stellungnahmen erfolgt innerhalb der Stadtverwaltung. Die Meinungen und Stellungnahmen der Bürgerschaft fließen in den Entscheidungsfindungsprozess der Stadt ein (zum Beispiel: Bürgerdialog, Umfrage, Bürgerfragestunde, World-Café, Panel, moderierter Online-Dialog, …).“

Die 3. Stufe ist die Mitwirkung: „Die Bürgerschaft wirkt an der Entscheidungsfindung aktiv mit. Hierfür macht die Stadtverwaltung die Rahmenbedingungen und ‚Spielräume‘ für die Mitwirkung vorab transparent. Die Ergebnisse der Mitwirkung fließen in die Beratungen des Gemeinderats ein (zum Beispiel: Planungsworkshop, Runder Tisch, …). Am Ende eines Mitwirkungsprozesses informiert die Stadtverwaltung über die Umsetzung der Anregungen.“

Oberbürgermeister oder Gemeinderat entscheiden für einzelne ihrer Vorhaben darüber, ob und wenn ja welche dieser Mitwirkungsstufen greifen soll. Basis ist eine regelmäßig aktualisierte „Vorhabenliste. Sie ermöglicht der Bürgerschaft und dem Gemeinderat frühzeitig einen Überblick über Planungen im Zuständigkeitsbereich des Gemeinderats, die für die Bürgerschaft von hohem Interesse sind.“

Zusätzlich können aber auch BürgerInnen eine Beteiligung durchsetzen. So können Vorhaben auch durch eine Unterschriftensammlung mitwirkungspflichtig gemacht werden. „Erforderlich sind 800 qualifizierte Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern über 16 Jahren mit Erstwohnsitz in Konstanz. Bei einem Vorhaben in einem Stadtteil/Ortsteil sind mindestens 200 Unterschriften der im Stadtteil/Ortsteil wohnenden Bürgerschaft erforderlich, um eine Bürgerbeteiligung anzuregen. Die Unterschriftensammlung ist bei der Koordinierungsstelle innerhalb von drei Wochen nach dem Beschluss der Vorhabenliste im Gemeinderat anzumelden und mit ihr abzustimmen. Damit soll vermieden werden, dass eine geplante Unterschriftensammlung mit den weiteren Planungen der Verwaltung zum Vorhaben kollidieren. Die Unterschriftenliste ist nach deren Anmeldung innerhalb von vier Wochen der Koordinierungsstelle vorzulegen. Sind die Voraussetzungen für die Anregung einer Bürgerbeteiligung durch Unterschriftensammlung erfüllt, soll die Anregung dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt werden.“

Die Ergebnisse einer Bürgerbeteiligung sind allerdings nicht bindend, es geht also nicht um ein Bürgerbegehren oder gar eine Volksabstimmung nach schweizerischem Muster. Gemeinderat oder Oberbürgermeister entscheiden vielmehr für ihren Bereich auch nach einer Bürgerbeteiligung selbstständig, wie sie es für richtig halten. „Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung fließen in den abschließenden Abwägungs- und Entscheidungsprozess ein,“ sie bestimmen diesen Prozess aber nicht.

Diese Leitlinien sollen alle zwei Jahre vom Gemeinderat überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, das erste Mal im Frühling 2019.

Die Debatte

Uli Burchardt konstatierte in seiner Eröffnung des Tagesordnungspunktes: „Niemand weiß, wie Bürgerbeteiligung geht.“ Er sieht das jetzt verabschiedete Modell als einen ersten Schritt, dem bei Bedarf in einigen Jahren weitere Schritte folgen können. Martin Schröpel, städtischer Beauftragter für Bürgerbeteiligung und Bürgerschaftliches Engagement, verwies als Zeichen für das Engagement der Menschen darauf, dass es in Konstanz allein 700 Vereine gebe und dass sich deren Zahl in den letzten Jahrzehnten vervielfacht habe.

Es gab in der Debatte eigentlich nur in einem Punkt Dissens: Sollen langjährig aktive Bürgergemeinschaften sowie Ortschaftsräte, Bezirksbeiräte, Stadtseniorenrat, Behindertenbeirat, Internationales Forum und ähnliche Verbände, Gremien und Vereinigungen von sich aus eine Bürgerbeteiligung zu einem Vorhaben anregen dürfen? Christiane Kreitmeier (FGL) und Gabriele Weiner (JFK) etwa sprachen sich dafür aus, da das eine breitere Basis garantiere. Der Oberbürgermeister und Roger Tscheulin (CDU) sahen darin hingegen eine einseitige Bevorzugung ohnehin gut organisierter Interessengruppen und fürchteten die Zurücksetzung der Stillen im Lande.

Letztlich wurden die Leitlinien mit 36 Ja- und 1 Neinstimme angenommen, während die Sonderrechte für Bürgervereinigungen usw. vom Gemeinderat mit 12:24 Stimmen abgelehnt wurden.

Eine Gegenstimme

Die Gegenstimme kam von Holger Reile (LLK), der zwar ein Freund der Bürgerbeteiligung ist, dem dieses Modell aber nicht weit genug geht. „Die uns angebotene Bürgerbeteiligung verdient diese Bezeichnung nicht und hat Feigenblatt-Charakter. Einen Schritt vor, dann einen zurück – Michael Jackson-Fans nannten das den ‚Moonwalk‘. Die beabsichtigte Einbindung der Bürgerschaft ist halbherzig, die Prozesse sind überwiegend von der Verwaltung her gedacht. Sie, die Verwaltung, entscheidet letztlich über Art, Umfang und den Ablauf eines Beteiligungsprozesses – und nicht die Bürgerinnen und Bürger, die auch keinen Rechtsanspruch auf Gehör erhalten sollen.“

Osners Solo

Bürgermeister Andreas Osner lobte die Debatte und berichtete von einem Déjà-vu-Erlebnis: „Ich habe vor 16-17 Jahren Artikel und Gutachten zum Thema Bürgerbeteiligung geschrieben und Vorträge darüber gehalten. Seitdem sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Wenn man die Debatten zu diesem Thema verfolgt, fällt auf, dass Bürgerbeteiligung zunehmend von linker und grüner Seite Kritik erfährt. Der Grund: Es gewinnen dabei die gut gebildeten Laut-Sprecher, so dass durch die Bürgerbeteiligung letztlich die soziale Ungleichheit zementiert wird.“ In der Tat ein überraschender und bedenkenswerter Aspekt dieses Themas. Allerdings sollte man deshalb wohl kaum die Bürgerbeteiligung als solche verwerfen, sondern sich fragen, wie man sämtliche Bevölkerungsgruppen ansprechen und einbeziehen kann.

Eine Erfahrung Osners allerdings muss auch den KonstanzerInnen ins Stammbuch geschrieben werden: „Oft sind die Erwartungen der BürgerInnen zu hoch.“ Kein Wunder, denn eine echte Teilhabe erforderte wohl mindestens die Ausrufung der Räterepublik – oder gleich die Einführung der Anarchie, und da wir in Deutschland sind, natürlich von Amts wegen.

Die Leitlinien zur Bürgerbeteiligung sowie die zugehörigen Dokumente sind hier zu finden:
http://www.konstanz.sitzung-online.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1002228

O. Pugliese