Möcht‘ noch jemand Eis?
Abgesang in 12 Akten. Gastautor Sebastian Lentz lässt das Scala-Drama noch einmal Revue passieren: Was hätte anders laufen, was vermieden werden können und warum ist in Konstanz der Kommerz wichtiger als die Kinokultur? Und was passiert, wenn Schweizer Kunden ausbleiben?
1) Zunächst macht man sich als Betreiber eines Drei-Säle-Scala-Filmpalastes, im Herzen von Konstanz, selber Konkurrenz und knallt so ein fettes Multiplex-Ketten-Kino „CineStar“ in das Einkaufszentrum, das nur einen Steinwurf entfernt ist und beteiligt sich gleich mit 50 Prozent.
2) Dann zieht man die Blockbuster-Movies rüber ins CineStar und spielt ein nicht ganz optimal abgestimmtes Arthouse-Programm. Werbung für die Filme, die dort laufen, macht man wenig und trotz Facebook-Seite ist es unklar, was wann wie läuft. Man versteht auch nix von diesen „sozialen Medien“, die richtig übersetzt Gesellschaftsmedien sind.
3) Man betreibt keine Kommunikation, baut keine Comunity auf und versteckt die Webseite des Arthouse-Kinos irgendwo zwischen den zugeknallten, bunten, unübersichtlichen Popcornseiten des CineStar. Ohne Kultur-Bewußtsein und Zielgruppen-Affinität. Es fehlt ein Kopf, jemand, der sich für sein Publikum interessiert und in Dialog tritt. Das Programm stellt der Besitzer, der das Kino von der Oma geerbt hat, nicht selbst zusammen, sondern delegiert das. Bei Veranstaltungen mit Anwesenheit der RegisseurInnen macht niemand vom Haus die Einführung. Außer dem „Möcht‘ noch jemand Eis“ ist nicht viel zu hören. Lieblos. Das mag ich persönlich überhaupt nicht. Man tut also nichts. um eine Klientel aufzubauen.
4) Das alte Kino ist lästig. Läßt sich doch soviel mehr Profit im CineStar im mittlerweile endlich angenommenen Lago-Schoppingcenter verdienen. Quersubvention durch Popcorn-Movies? Das findet die Kette aus Lübeck, Entschuldigung, der Franchisegeber, zu dem das Haus gehört, nicht so toll, könnte ich mir denken. Als dann der Vermieter höflich eine höhere Miete will und das im Kontext mit neuen Ideen, kommt der Zeitpunkt für einen schnellen Exit wie gerufen. Der Klotz am Bein muss weg.
5) Konstanz kämpft um sein Kino mit der Bürgerinitiative „Rettet das Scala“. Alle Hebel werden in Bewegung gesetzt, aber wofür soll der Kinobesitzer kämpfen? Auf der einen Seite die Cashcow, auf der anderen Seite das House of Trouble. Die Stadt ist völlig überfordert, weil sie den Begriff ArtHouse nicht gegen das CineStar abgrenzen oder gar kulturell erfassen kann. „Wieso? Da sind doch genug Kinos“. Die peinlichen Auftritte münden in einer ganz pragmatischen Entscheidung. Da kommt ein dm-Markt rein. Gegenüber haben wir ja schon den Müller und 50m weiter noch einen Müller und 100m weiter noch eine dm-Filiale. Besser zwei dms als noch einen Rossmann, gell?
6) Alle Versuche, das Kino zu retten, scheitern, weil der Betreiber gar nicht kämpfen will und auch geschickt verhindert, dass sich ein neuer Besitzer das Scala krallt und womögliuch erfolgreich dem CineStar Konkurrenz macht. Die Szenen, die sich jetzt abspielen, sind grotesk und hinterher bedauern alle, dass man es nicht geschafft hat, ein fast 80 Jahre altes Traditionshaus über diese Zeit der Gier hinweg zu erhalten. Aber wir, der Stadtrat von Konstanz, lassen uns so was nichts kosten, solange der Handel blüht. Und Arthouse-Kino ist doch sowieso eher Handel mit Kinotickets statt Kultur. Und dann holt man sich noch ein paar Fördermittel, aber es reicht halt nicht und macht Arbeit.
7) Ein Investor ist schnell gefunden. Mit Kino kann man kein Geld verdienen. Er kann gut rechnen und zeichnet rote und grüne Balkendiagramme im Excel, und weil die grünen Balken länger sind als die roten, bekommen alle diesen gierigen Blick. Man ekelt schnell das Cafe und die Boutique raus, zerstört weitere Existenzen. Es muss aufwändig und teuer saniert werden und bestimmt sehr zweckmässig für den neuen Mieter. Am besten abwaschbar – innen und außen.
8) Man streut das Jammergerücht, dass das ausbleibende Publikum schuld ist, um dass man sich so besonders bemüht hat, und stellt die Zahl 15 Prozent Auslastung in den Raum. Einige Konstanzer glauben das. „Wenn sich das nicht rechnet, muss es eben weg. Haben wir doch in BWL und am neuen Markt gelernt.“ Konzert, Oper, Theater, Arthouse, alles rechnet sich nicht und muss dann zwangsläufig verschwinden. Alle Versuche der gut aufgestellten BI scheitern an der Lethargie des Kulturbürgermeisters, dem es wichtiger ist, dass seine Kids endlich einen H&M im Lago vor der Tür haben, als ein Kino zu retten. Geht’s noch? Kultur, nicht Handel. Den meisten sind es genug Schweizer Ballermänner, die von weit her kommen, aus Zürich, St. Gallen etc., um PampersPalace zu stürmen. Am Samstag ist alles leer gekauft, Termiten gleich. Wozu dann ein bescheuertes Kino? Es werden Verträge unterschieben und dm hat einen Standort mehr. Eigentlich OK die Jungs, aber sie haben sich halt dem Verdrängungswettbewerb verschrieben, bleiben auch nicht vom Zentrum weg und sind nicht zimperlich: https://www.welt.de/…/dm-kauft-systematisch-Sonderangebote (ich stelle mir gerade vor, wie die dmler über die Markstätte huschen und Müller-Bestände gegenüber aufkaufen. Das geht dann solange gut, bis die Müllers ausschwärmen und die dm-Sachen kaufen, die underpriced sind, als Köder für Kunden, die man dann eigentlich gar nicht mehr braucht.)
9) Nur eine kleine Schnittmenge der BI gibt nicht auf und kämpft weiter. Der Filmemacher Douglas Wolfsperger, der sich entscheidet, einen Kino-Dokumentarfilm über dieses Kinosterbephänomen zu drehen, wird aus Angst vor negativer Publicity zur Persona non grata erklärt. Statt sich kritisch und selbstbewusst mit der Thematik auseinander zu setzen, steckt man den Kopf in den Konstanzer Ufersand und der Betreiber spricht ein Drehverbot aus. Die Tatortkommissarin Eva Mattes darf uns ihr Kino im Dokumentarstreifen nicht mehr von innen zeigen. Kalter Wind und eine Ablehnung vonseiten der Stadt, das Dokuprojekt zu unterstützen, abgesehen von einem kleinen Betrag von knapp 3000 Euronen, bringen den Regisseur aber nicht aus der Fassung. Eva Mattes sitzt vor dem Scala auf der Bank und erinnert sich und wir werden feststellen, dass das Kopfkino, das sie auslöst, sehr, sehr spannend ist.
Michael Lünstroth, der mit dem Südkurier das ganze Debakel begleitet, wird auf Putin/Erdogan/Trump-Art mundtot gemacht und darf nicht mehr berichten. Da hat man als Stadt und Gottweißwernoch genug Einfluss auf die Presse (schämt Euch!), mit dem Ziel, die Suche nach der Wahrheit zu stoppen. Er kündigt und berichtet seitdem auf der Plattform thurgaukultur.ch. Mit Wort und Bild und Video. Toller, knallharter Journalismus. Und der Kanton Thurgau fördert den Film mit 20 000 Franken.
10) Das letzte Kapitel, ein Katz und Maus-Spiel, fand dann am 30. November statt. Mit neuem Schwung wurde breit aufgerufen, das Kino am letzten Tag in Trauerkleidung zu besuchen. Der anschließend geplante Trauermarsch mit Kerzen und Särgen und Pickeln und Schaufeln und Tempos … mit klaren friedlichen und feierlichen Absichten, wurde zum Vorwand für eine
Spontanschließung. Man gab per Aushang am Scala bekannt, dass „so eine Aktion geltende Sicherheitsbestimmungen nicht respektiert“ und man sich auch Sorgen um die körperliche Unversehrtheit seines Personals mache. Siehe auch seemoz https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/scala-wars-das-nun/. Danke, Holger. Mehrere hundert Tickets waren verkauft und es mischte sich der vorverlegte Trauerzug mit denen, die es nicht mitbekommen hatten und ab 20 Uhr ihren letzten Film angucken wollten. So geht man nicht mit seinem Publikum um, Herr Rabe.
11) Ein fettes Aufgebot von BI-Aktivisten, Kinofans und geprellten Besuchern – „Ihr Ticket bekommen Sie an der Kasse des CineStar vergütet“ – etwa 70 friedliche und meist schwarz gekleidete Leute zogen unter Blitzlichtgewitter und laufenden TV- und Wolfsperger-Kameras zum Münster, wo ein symbolisches Grab aufgeschüttet war, um das Scala- Kino und damit ein ein wichtiges Stück Kultur zu „beerdigen“. Irgendwie würdig, der Abschied, aber nur durch die Aktion. Viele Kinofans proklamierten ihre Meinung zum Verhalten der Stadt, der Investoren, der Unternehmer. Viele waren wirklich traurig, weil sie regelmäßig dorthin gingen oder schöne Erlebnisse mit diesem Ort verbanden.
12) Da ruht es nun in Unfrieden, unser letztes Arthouse-Kino in der Innenstadt. Das Grab kann man noch bis zum 17. Dezember besuchen und dort darüber nachdenken, was passiert, wenn man dem Handel und smarten Investoren den Umgang mit Kultur überlässt. Ich habe dazu gepostet: „Unaufhaltsam schiebt sich der Koloss aus Stein und Glas immer weiter. Bis das letzte Fleckchen Kino-Kultur verschwunden ist.“
Wenn das letzte AXE versprüht ist und das heimelige Klappern der Wanzl-Einkaufswagen verstummt, weil der Franken aufgewertet wurde, spätestens dann werdet ihr merken, dass man Klopapier nicht projizieren kann …
Sebastian Lentz
Wollte mal Frau Klett antworten.
Hallo Frau Klett,
Das was mit dem Scala passiert ist, ist eine wichtige Parabel über die Rolle der Kultur in unseren Städten. Wichtig ist mir, dass die Bürger auch die Zusammenhänge mitkriegen und zwar dann, wenn alle darüber berichten.
Ich bin froh, dass nicht alle so denken wie Sie. Nur mit offener Gesprächs- und Streitkultur wird sich diese wunderbare Stadt weiter entwickeln. Das Potential ist da.
Herzlichen Dank für die verständige und farbige 12-Punkte Zusammenfassung zum Hinscheiden des Scalakinos. Wichtig erscheint mir die Beschreibung, wie der Betreiber selber differenziert Hand anlegte und den Sterbeprozess förderte.
Was mir aber immer noch zu kurz kommt, ist die Kritik des Verhaltens unserer Stadtverwaltung auf dem eigentlich ehrenvollen Feld der Stadt-Planung.
Wenn man den Zeitraum anschaut, in dem der Öffentlichkeit das drohende Verschwinden des Scala bewusst wurde, wird klar, dass da alles schon gelaufen war, dass die Stadträte mit gutem Grund Angst hatten vor Schadensersatzforderungen durch die Besitzer und den Drogerie-Gross-Investor.
Lange vorher hätte die Stadt in Analysen und Planung z.B. städtische
“ Durchmischung“ entsprechend ihren eigenen STEP Grundsätzen bewahren und fördern müssen und beschützender mit dem Kulturensemble Innenstadt umgehen müssen.
Eine Entwicklung wie im Scala war ja leider vorauszusehen und hätte freundlich abgebogen werden können.
Sebastian Lentz karikiert in seinen 12 Punkten das schmalbrüstige Kulturverständnis von Verwaltung und der Mehrheit der Räte leider sehr treffend.
Der aktuelle Kaufrausch unser Schweizer Nachbarinnen löste ja nur vorgängige deutsche Kaufwellen um Nudeln, Benzin und Tee ab. Auch wenn für Bürgermeister und Kämmerer der rollende Franken gerade wunderschön erscheint, darf er bei einer klugen und antizipierenden Stadtplanung nicht zum ausschliesslichen Dauermasstab für die gesamte Stadtentwicklung werden.
Das Kind Scala ist leider mit dem preisgünstigen Schaumbad aus Drogistenhand ausgekippt worden. Es klafft jetzt eine grosse Lücke auf der Marktstätte, in unserer kulturellen Mitte.
Aufgabe der Bürger und der Stadträte wird es sein, den Stadteinwicklern -pardon – Stadtentwicklern im Bürgermeister- und Oberbürgermeister-amt Aufträge für eine vielfarbige und nachhaltige Stadtplanung zu geben, die wirtschaftlich und kultiviert zugleich ist und für ständige Einwohner und Besucher in gleicher Weise attraktiv.
Hierzu könnte gerne auch Anbahnung und Erleichterung für denAufbau eines kleinen Programmkinos gerade in Konkurrenz zum Lago zählen.
Helfen hierbei würde ich mit meinen kleinbürgerlichen Mitteln gerne.
Dr.Henning Hülsmeier
wann hört dieses alberne Theater ums Kino-Theater endlich auf?
Nun ja, das ist halt Konschdanz wie es leibt und lebt und was es immer war: Deutschlands letztes Zipfele, aber man glaubt, man sei der Nabel der Welt.
Das abgegangene Kino hat mit Schweizer Einkaufsgewohnheiten nichts zu tun. Die sind historisch mal so – oder anders. Wie umgekehrt die Deutschen Einkaufsgewohnheiten in der Schweiz auch. Grenzbewohner wissen das. Sebastian Lentz schreibt frustriert vor sich hin, ohne einen Gedanken aufzunehmen, wie denn ein neues Kino nach seinem Geschmack, einen „Steinwurf entfert“ vom „CinéStar“, entstehen könnte. Darum sollte es gehen. Nicht ums Beweinen. Das wurde nun lange genug gepflegt.
Danke Herr Lentz
Habe durch sie als Nicht-Konstanzer noch ein paar fehlende Info’s zu dem Thema erhalten.
Aber nicht nur die „bösen Unternehmer“ sind ausschliesslich daran schuld.
Eine Bevölkerung bekommt aber IMMER EXAKT die Stadt (oder auch Regierung) die sie will/geschehen lässt.
Und wenn das gemeine Volk halt nur ums Fressen/Saufen/Sch… kümmert dann gibt es halt marktkonforme Innenstädte.
Mit der Dummheit und (Denk-)Faulheit der Bevölkerung lässt es sich als Politiker oder Lobbyist hervorragend arbeiten.
Bleibt nur noch den Konstanzern herzlichst zu ihrer Stadt zu gratulieren.