B wie Bild

Fritz Mühlenweg (1932) Foto: Franz-Michael-Felder-Archiv, Bregenz

Eigentlich sollte die neue Seemoz-Rubrik mit „A wie Angst“ beginnen. Aber muss nicht zuerst dieses merkwürdige Foto erklärt werden? Im Museum wird es kurz nach dem Eingang schon sichtbar werden, neben drei anderen Porträtaufnahmen, vom taffen Kaufmann der Zwanzigerjahre bis zum nachdenklichen, ratlosen 60-jährigen Künstler, der nach dem zweiten Schlaganfall sein Körpervertrauen verloren hat.

Dieses Konterfei des Wüstenfahrers: Es ist im Frühjahr 1932 entstanden, vielleicht in Peking, vielleicht in Tientsin. Der 33-jährige Fritz Mühlenweg hat seinen letzten Job als Karawanenführer hinter sich, fünfzehn Monate in der Gobi, zuständig für mongolische Kamelmänner, chinesische Köche, ein paar Dutzend Kamele und Gerätschaften.

Männergesellschaft, aus der er seine Einsamkeiten suchte. An einem Oktobermorgen 1931 fand er die solitäre Stille, früh morgens auf dem Berg Yaga allein zeichnend: das beglückende Erlebnis, wie ihm die Gestaltung der Landschaftsformation mit ihren Schwingungen gelingt, ein Erweis des eigenen Blicks und das Geschick der Hände, Stift und Papier.

Aber nun ist er aus der Expedition befreit, sie war zuletzt vor allem langweilig geworden. Und er geht in ein Fotoatelier. Was er im Moment des Blitzes gedacht hat? Es lässt sich eine leuchtende Selbstsicherheit aus seinem Blick lesen. (Man kann das Foto aber auch mit seinem entwickelten Sinn für Ulk anschauen. Es gibt von ihm – Kindheit aufwärts – einige Aufnahmen, auf denen er Faxen macht, wo andere ernst bleiben.) Er hat sich den Scherz erlaubt, an jenem Tag noch ein zweites Foto machen zu lassen, nach dem Gang zum Friseur: derselbe Anzug mit Krawatte, das wetter gegerbte Gesicht, aber schon mit kurzem Haarschnitt, die freigelegten Halspartien mit hellen Flecken. Der Mann hatte Humor genug, dem Rudel seiner Iche ins Auge zu sehen.

Das Foto vom Wüstenmann, vom Halbwilden. Die Gesichtsfarbe kommt nicht nur aus den Sommermonaten in der Sand- und Kieswüste: an Wintertagen musste er am Edsin-gol fünf Mal am Tag auch bei weniger als Minuszwanzig Grad auf dem Holzturm der meteorologischen Station Messgeräte ablesen und Listen führen („eine ekelhaft stumpfsinnige Arbeit“, schreibt er in einem Brief).

Denn die Expedition diente einem wissenschaftlichen Zweck, der Chef war ein deutscher Meteorologe, der für das übergreifende Projekt, die seit 1927 laufende Zentralasiatische Expedition von Sven Hedin, die Wetterbeobachtungen übernommen hatte. Mühlenweg war schon in der Anfangsphase mit dabei gewesen, als Angestellter der neu gegründeten deutschen „Luft Hansa“. Für sie sollte der Kaufmann aus Konstanz die Ausgaben überwachen und die Buchhaltung führen, denn die Reichsregierung sponserte die Expedition mit viel Geld.

Es ging nicht nur um die Erforschung des Klimas in den Wüsten, die von Berlin aus überflogen werden sollten, nach Peking. Vom Berliner Außenamt war diskret ein halbes Dutzend deutscher Militärs in die Expedition infiltriert worden. Das Flugwesen hatte sich schließlich durch die technischen Erfahrungen der Militärflieger im Weltkrieg rasant entwickelt.

Ein hübsch inszeniertes Foto, Mühlenweg dokumentiert den Moment, in dem der Wüstenfahrer, noch mit der wüsten Haartracht, bereits in den städtischen Anzug geschlüpft ist. Abends mag er in Peking zu einer Fete gegangen sein. In seinem Adressbuch hatte er noch Namen von jungen Frauen, mit denen er vor Beginn der Expedition beim Fasching im diplomatischen Viertel getanzt hatte.

Eigentlich wäre er gern noch ein,zwei Jahre in Nordchina geblieben. In der Mongolei war ihm die Gewissheit gekommen, dass ihm ein Leben als Künstler gelingen könnte, und vom ersparten Lohn der Expeditionsarbeit ließ sich ein sparsames Leben auf dem Land finanzieren. Malen im Freien und im fremden Land.

Gerüchte über politische Veränderungen waren nur selten in die Gobi gedrungen, von Durchreisenden in den Wüstenoasen. Aber nun erfuhr er, dass die Japaner die Mandschurei besetzt hatten. Das Leben in China wurde zu gefährlich. (Der große Zusammenhang blieb vorerst unsichtbar: Reaktionäre japanische Militärs hatten ihren imperialistischen Raubzug begonnen, sie nutzten den Bürgerkrieg zwischen den Kuomintang-Truppen des Mehrheitsführers Chiang Kai-shek und der erstarkenden Revolutionsbewegung um den Nationalkommunisten Mao Zedong aus und griffen sich Teile von China. Die Japaner zündeten eine Lunte, die den bevorstehenden 2. Weltkrieg im fernen Osten schon anfeuerte.)

Mühlenweg musste zurück nach Europa. Was macht einer, der eigentlich nur weiß, was er NICHT mehr tun will ? – nicht mehr ins kleinstädtische Konstanz, nicht mehr in ein Kaufmannsleben, nicht mehr als Chef über Angestellte?
Autor: Ekkehard Faude

Vorabdruck aus dem im Herbst erscheinenden Buch: Ekkehard Faude: Fritz Mühlenweg – Museum eines Lebens. Copyright: Libelle Verlag