Hat Fußball ein Geschlecht?

Dieser Tage versuchen die deutschen Fußballerinnen, ihren WM-Titel zu verteidigen. So allmählich wird Frauenfußball hierzulande akzeptiert und die WM – so hoffen die Verantwortlichen – könnte der ehemaligen Randsportart einen neuen Kick geben, denn das Interesse war schon im Vorfeld groß. Doch wie sieht es eigentlich in unserem Nachbarland Schweiz mit dem Frauenfußball aus? Eher schlecht, meint unser Schweizer Kollege Pedro Lenz.

In der Schweiz gibt es, wie in fast jedem Land, eine grosse Anzahl weiblicher Sportikonen. Zu den unvergessenen sportlichen Ausnahmeerscheinungen gehören Frauen wie die Mehrfacholympiasiegerin Vreni Schneider, Weltstar Martina Hingis oder Eislaufprinzessin Denise Biellmann. Sie alle und viele Sportlerinnen mehr bilden das kollektive Sportgedächtnis des Landes. Interessierte Sportfans könnten aus dem Stegreif noch Namen wie Marie-Theres Nadig (Ski), Meta Antenen (Leichtathletik), Gianna Bürki (Fechten), Natascha Badmann (Triathlon) oder Ariella Käslin (Kunstturnen) nennen. Selbstverständlich bleibt die Liste unkomplett. Aber ganz gleich, wie lange wir hier die Aufzählung weltberühmter Schweizer Sportlerinnen fortsetzen, eine Fußballerin wird nicht darunter sein.

Warum ist das so? Warum ist Frauenfußball auch über 40 Jahre nach Durchführung der ersten Schweizer Frauenfußballmeisterschaft eine Randsportart, über die in den einschlägigen Medien kaum berichtet wird? Den ganzen Winter durch können wir im Fernsehen Frauenskirennen schauen. Im Tennis werden Frauenspiele mit der gleichen Selbstverständlichkeit übertragen wie Männerspiele. Nur beim Fußball ist es anders. Sogar Leute, die von sich behaupten, sie wüssten alles über Fußball, können selten mehr als drei Namen von Fußballerinnen aufzählen. Die Arroganz der Unwissenheit lässt die grosse Mehrheit der Fußballfans seit vielen Jahrzehnten glauben, Frauenfußball verdiene keine Aufmerksamkeit.

Bis vor wenigen Jahren fand zum Beispiel der Cupfinal im Schweizer Frauenfußball als Vorspiel des Cupfinals der Männer statt. So begannen die Frauen ihren Final in einem fast leeren Stadion, das sich erst im Verlauf des Spiels allmählich mit den Fans der männlichen Cupfinalisten zu füllen begann. Unten auf dem Platz spielten beispielsweise die Luzernerinnen von LUwin.ch gegen Zürich Seebach und oben auf den Rängen wurden Sion und die Berner Young Boys besungen. Der Cupfinal, ein Höhepunkt auf den sich die beiden Frauenteams eine Saison lang eingestellt hatten, wurde so zum Pausenfüller.

Wir dürfen vermuten, dass es in der Schweiz wesentlich mehr Fußballerinnen als Tennisspielerinnen gibt. Trotzdem bleibt in den Köpfen von Fans und Medienleuten die Idee haften, Frauenfußball sei eine exotische Randnotiz. Dieses Phänomen lässt sich mit fußballerischen Argumenten nicht erklären. Selbst soziologische Erklärungen dürften keine nachvollziehbare Antwort auf die Frage liefern, weshalb der Frauenfußball in der Schweiz, im Unterschied zu anderen Sportarten, derart weit entfernt von jeder Gleichbehandlung ist.

Dieses Wochenende beginnt in Deutschland die Frauen-Weltmeisterschaft 2011. im Vorverkauf sind bereits über 70 Prozent der Tickets verkauft worden.16 Teams aus fünf Kontinenten spielen um den Titel. Deutsche Medien berichten seit Monaten täglich über den Anlass. In der Schweiz findet eine breite Berichterstattung im Vorfeld der Frauen-WM allerdings erst statt, wenn das Plaboy-Magazin ein paar deutsche Nationalspielerinnen in leichter Kleidung portraitiert. Nicht dass nun deswegen in hiesigen Massenblättern auf einmal ernsthaft über Frauenfußball geschrieben worden wäre. Aber immerhin durfte die geneigte Leserschaft im Newsnetz von TA-Media die folgende, nicht ganz uninteressante Neuigkeit lesen: «Die Fußballerinnen, die für den Playboy in nassen Retro-Shirts und ohne BH posierten, wollen ihren Auftritt nutzen, um mit alten Vorurteilen aufzuräumen.»

Da werden die über 20’000 Fußballerinnen, die in der Schweiz lizenziert sind bestimmt froh und dankbar sein, dass endlich mit alten Vorurteilen aufgeräumt wird. Dass dadurch die neuen, genau so fragwürdigen Vorurteile gerade im Entstehen sind, dürfte sie freilich ein bisschen weniger freuen.

 

Autor: Pedro Lenz/WOZ