„Auch wir haben Augen – wir sind auch Menschen“

Der Afghanistan-Tag im Konstanzer Café Mondial interessierte mehr als 100 Besucher. Damit setzte die engagierte Mondial-Gruppe die Reihe ihrer Länder-Informationstage fort, die im Dezember mit einem aktuellen Nachmittag über Gambia begonnen hatte. Im Vordergrund standen am letzten Samstag Berichte und Informationen über das Land am Hindukusch und die Lage der Geflüchteten hierzulande. Und über ihre Angst vor Abschiebung.

Afghanistan hat in den letzten Jahrzehnten voller kriegerischer Auseinandersetzungen kaum zu sich finden können. Das Land, zersplittert in 34 Provinzen, in denen oft Stammeshäuptlinge oder Warlords alle Straßen und Provinzgrenzen kontrollieren, soll zukünftig wieder Heimat für unzählige geflüchtete Menschen werden.

Immer mehr Bundesländer setzen Abschiebungen aus

So wollen es Bund und Land, die Afghanistan zum „sicheren Herkunftsland“ erklärten und schon in den ersten Wochen dieses Jahres verstärkt abgeschoben haben. Allerdings setzen immer mehr Bundesländer solche Abschiebungen aus – nach Schleswig-Holstein nun auch Berlin, Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Nur die Landesregierung in Stuttgart schaltet weiter auf stur.

Dies hatte das Café Mondial zum Anlass genommen, über die aktuelle Lage in Afghanistan und die derzeitige Abschiebepraxis im Rahmen eines Afghanistan-Tags aufzuklären. Am 14. Dezember 2016 wurden die ersten der mehr als 120 000 afghanischen Geflüchteten mit unsicherem Status von Frankfurt aus nach Afghanistan abgeschoben.

Clara Schlotheuber, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, informierte über die Hintergründe der aktuellen Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der EU mit der afghanischen Regierung. Danach solle die Rückführung zügig vorangetrieben werden. Afghanistan verpflichte sich, innerhalb von vier Wochen afghanischen Flüchtlingen die für die Rückführung notwendigen Reisepässe auszufüllen und die Rückkehrer rasch aufzunehmen, Deutschland wiederum übernehme die Kosten der Rückführung einschließlich eines Startergeldes, wobei dieses für freiwillig Ausreisende höher ausfalle.

Baden-Württemberg zählt zu den Hardlinern

2015 hatten noch 78 % der geflüchteten Afghanen einen Schutzstatus in Deutschland, 2016 sank diese Quote auf 52,9 %. „Dabei hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan eher verschlechtert, was auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen am 22.12.2016 in einem Bericht erklärt hat“, so Schlotheuber (Foto). Die Zentralregierung in Kabul könne gerade in den von regionalen Machthabern kontrollierten Provinzen kaum für den Schutz der Bevölkerung garantieren. Kritisch kommentierte Clara Schlotheuber daher auch das Verhalten der Landesregierung Baden-Württemberg, die die Linie des Bundes stütze.

Was die politischen Veränderungen im einzelnen für die Asylverfahren von afghanischen Geflüchteten bedeutet, erläuterte Holger Kuhnt, Jurist und Mitglied bei Café Mondial. So müsse beispielsweise die Vorbereitung auf eine Anhörung im Asylverfahren nun zügiger erfolgen, persönliche Gefährdungslagen detailliert vorgetragen werden.

Auch einige der anwesenden Afghanen meldeten sich zu Wort. Von vielen Toten und einem nicht funktionierenden Staatsapparat in seinem Land berichtete beispielsweise Ramin. Ein weiterer junger Afghane, der derzeit eine Konstanzer Werkrealschule besucht und Polizist werden möchte, schloss seine Schilderungen sehr bewegt so: „Wir haben auch Augen, wir sind doch auch Menschen wie ihr.“ Und der Afghane Jalali erzählte von Korruption, Gewalt, einer hohen Arbeitslosigkeit und der Drogenproblematik in seiner Heimat.

Dabei könnte Afghanistan ein reiches Land sein: Rohstoffe wie Gold, Edelsteine und Seltene Erden lagern in den zahlreichen Minen der Gebirgszüge, Erdöl ist in großen Mengen vorhanden. Doch die Bevölkerung hat nichts davon, illegal bedienen sich die Mächtigen in den Regionen. IS und Taliban, bewaffnete Milizen, ein Völkergemisch mit konkurrierende Clans und selbstsüchtigen Warlords – die Lage in Afghanistan scheint alles andere als sicher.

Mehrere Organisationen, unter anderem PRO Asyl, rufen zu Demonstrationen gegen die Abschiebung von afghanischen Geflüchteten auf, auch eine Petition ist im Umlauf. Informationen unter: www.fluechtlingsrat-bw.de, www.proasyl.de.

Petra Schlitt-Kuhnt