Wenn die Würde über die Rache siegt
„Der Tod und das Mädchen“ unter der Regie von Armin Peterka feierte am vergangenen Freitag Premiere in der Theater Werkstatt Konstanz. Das Publikum gespannt, die Karten ausverkauft und das Foyer gefüllt. Chile, nach dem Regimewechsel in die Demokratie. Das Stück behandelt die Aufarbeitung vergangener Untaten des alten Militärregimes aus unterschiedlichen Perspektiven. Und letztlich siegt doch die Würde über die Rache.
Paulina, hervorragend gespielt von Katrin Huke, ist eine gebrochene Frau. Gefoltert, vergewaltigt und unmenschlichen Experimenten ausgesetzt. Entwürdigt, hat sie niemals eine Wiedergutmachung für das ihr angetane Leid erhalten – sie ist das Opfer. Gerardo, ihr Ehemann, ein erfolgreicher, karrierebedachter und verliebter Mann, dessen Berufung die Aufklärung der Verbrechen des alten Regimes ist. Gerardo, Thomas Fritz Jung, spiegelt die staatliche Gerechtigkeit wider. Der dritte und letzte Charakter des Stücks, Roberto, Axel Julius Fündeling, zum einen der Mann, der das Leben einer unschuldigen Frau zerstört hat, zum anderen ein Mensch, der Recht auf Gerechtigkeit hat. Oder nicht?
Zu Beginn wird die Liebesbeziehung zwischen Gerardo und Paulina ausgiebig dargestellt, was die Aufmerksamkeit des Zuschauers strapazieren kann. Eines schicksalhaften Zufalls wegen trifft Gerardo auf den mutmaßlichen Peiniger seiner Frau. Ohne einhundertprozentige Beweise erkennt, fühlt und riecht Paulina, dass Roberto der Mann ist, der ihr vor 15 Jahren unermessliches Leid angetan hat. Doch zählen die rohen menschlichen Sinne als Beweis vor Gericht?
Paulina wittert ihre Chance, endlich aufarbeiten zu können, was ihr seit 15 Jahren Steine in den Lebensweg legt. Sie übernimmt die Macht durch Gewalt, überwältigt die staatliche Gerechtigkeit, ihren Mann und ihren Seelenbrecher. Sie fordert das Versprechen ihres Mannes ein, dass er ihr vor Jahren gegeben hat, den Menschen zu finden, der ihr das angetan hat, und ihm den Prozess zu machen. Im Dilemma zwischen Liebe und staatlicher Gerechtigkeit entschließt sich ihr Mann, Roberto zu verhören, allerdings abweichend der institutionellen Konventionen.
Die Inszenierung schafft es, den Hass Paulinas auf den Täter nachzuvollziehen. Obwohl die Beweise nicht ausreichen, kann der Zuschauer die Rolle des Opfers und dessen Überzeugung über die Wahrhaftigkeit des Täters fühlen.
Das Bühnenbild ist eine fabelhafte Untermalung der entstehenden Machtverteilung. Eine drehbare Holzkonstruktion mit zwei Ebenen. Die beiden Ebenen stellen ebenso die zwei Gesichter jedes Schauspielers dar. Gerardo, der geradlinig, rational und rechtsprechend Handelnde, wirft seine Prinzipien über den Haufen und lässt der Liebe zu seiner Frau die Oberhand gewinnen. Für die er sogar das Gesetz bricht. Roberto, der überhebliche, undurchschaubare und dreiste Arglist, entpuppt sich als doppelzüngiger, vor Angst hechelnder Heuchler. Und Paulina, die einzige Frau des Stücks, entwickelt sich von einer apathischen, desorganisierten, traumatisierten Frau zu dem stärksten Charakter der Inszenierung. Die größte und überraschendste Stärke Paulinas zeigt sich am Ende des Stücks, als sie vor die Wahl gestellt wird: Würde oder Rache?
Ein sehenswertes Stück, das keinen Sieger kennt. Und ein Stück, das die Zuschauer von den Sitzen reißt. Nicht nur mir taten zum Schluss die Hände weh vom Applaudieren.
Beate Fleischhauer (Foto: Theater Konstanz/Bjørn Jansen)