Viel Kohle mit Kies

„Bizarre Vulkanformationen, betörende Düfte, sagenumwobene Quellen, stattliche Ritterburgen und verzaubernde Fluss­land­schaften – eine Mischung aus süddeutscher Toskana und mystischem Zauberland“, so neo-romantisch vermarktet „Hegau Touris­mus e.V.“ diese Landschaft nord­west­lich des Bodensees. Aber der Reichtum des Hegaus liegt nicht nur oberhalb des Bodens, sondern auch darunter: Kies und Sand sind die Stoffe, mit denen sich hier Geld verdienen lässt.

Um ein solches Kiesabbauvorhaben der Firma Kieswerk Birkenbühl GmbH & Co. KG geht es auch bei der derzeitigen Anhörung zum Raumordnungsverfahren beim Gewann „Dellenhau“, einem Waldgebiet westlich der Bundesstraße 34 zwischen Singen und Gottmadingen. Es umfasst rund. 14,7 ha und das geschätzte mögliche Abbauvolumen beträgt 1,1 Mio. Kubikmeter. Protest gegen den Abbau hat sich bereits 2014 formiert, zum einen von den Naturschutzverbänden, zum anderen von den Gemeindeverwaltungen Singen, Gottmadingen, Rielasingen-Worblingen und von zahlreichen betroffenen BürgerInnen.

Gute Gründe gegen den Kiesabbau

Belastungen durch stark erhöhtes Verkehrsaufkommen, Staub und Lärm kommen für über 10 Jahre auf die Bewohner der umliegenden Gemeinden zu. Dass mehr als 40 Prozent des Kieses gar nicht in der Region bleiben, sondern in die Schweiz exportiert werden, ist für viele nicht verständlich. Der „Dellenhau“ selbst liegt in einem Landschaftsschutzgebiet, außerdem grenzt er unmittelbar an die FFH-Gebiete (FFH = Fauna-Flora-Habitat) „Hohentwiel“ und „Gottmadinger Eck“. Ferner befindet sich mit einem Grabhügel aus der Eisenzeit auch ein Kulturdenkmal auf dem geplanten Abbaugebiet.

Das gewichtigste aller Argumente ist aber, dass laut Regionalplan die Kiesvorkommen im Dellenhau als „Sicherungsgebiet für oberflächennahe Rohstoffe“ für künftige Generationen ausgewiesen sind und nicht schon heute und ohne Not ausgebeutet werden dürfen. Denn die Versorgung der Region mit Kies für den Eigenbedarf ist aus bestehenden Abbaugebieten auf Jahre hinaus gesichert, ein weiteres Abbaugebiet bräuchte es nicht.

Eine Liste mit über 3.000 Unterschriften hat die Bürgerinitiative „Nein zum Kiesabbau“, unterstützt von Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler und den Bürgermeistern der Gemeinden Rielasingen-Worblingen, Ralf Baumert, sowie Gottmadingen, Dr. Michael Klinger, bereits 2015 im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz abgegeben, in der Hoffnung, die geplante Verpachtung des Dellenhaus an das Kieswerk Birkenbühl rasch stoppen zu können. Dass der Plan aber nicht aufging, dafür gebe es einen Schuldigen, nämlich den seinerzeitigen grünen Minister Alexander Bonde bzw. die Gier der grün-roten Landesregierung, der Profit über Naturschutz gehe – so der wiederholte Vorwurf vor allem seitens der Anhänger der schwarzen und neoliberalen Fraktionen. Doch die Sachlage ist weitaus komplexer.

Und was ist mit Kiesgrube Birkenbühl?

Seit über 60 Jahren wird im Gewann „Birkenbühl“ in Überlingen a. R. Kies abgebaut. Für die Anrainer der Kiesgrube alles andere als ein Vergnügen, so dass sie 2008 forderten, nach Ausschöpfung der damaligen Abbaufläche solle hier Schluss sein und das Gebiet rekultiviert werden. Der Singener Gemeinderat hatte ein Einsehen und lehnte es ab, der Firma Birkenbühl weitere städtische Flächen zu verpachten. Eine Entscheidung, die allerdings im Widerspruch zu der 2005 erfolgten Zustimmung der Stadt Singen und ihrer Mandatsträger im Regionalverband zum „Teilregionalplan Rohstoffe“ steht. Denn damals wurde einvernehmlich beschlossen, dass zunächst die Kiesvorkommen in Überlingen abgebaut werden, bevor die Suche nach weiteren Standorten beginnt.

Gegen diese Entscheidung des Gemeinderates hatte deshalb auch der damalige OB Oliver Ehret gestimmt, mit der Begründung, dass das Kieswerk Schadensersatz von der Stadt Singen fordern könne. Dazu kam es zwar nicht, aber die Firma Birkenbühl hat sich für die ihr vertraglich noch zustehende, weitere Kiesabbaufläche anderweitig umgesehen und richtet ihre Begierde nun auf den „Dellenhau“ – ein Grundstück so nah bei Singen, dass die Stadt alle Nachteile des dortigen Abbaus haben wird, aber keinerlei finanziellen Gewinn daraus ziehen kann, weil dieses Gebiet Eigentum des Landes ist. Die Rücknahme des Abbaustopps im Birkenbühl wäre zwar die sichere Rettung des Dellenhau, kommt aber für den jetzigen Gemeinderat und OB Häusler mit Rücksicht auf den Ortsteil Überlingen a. R. nicht in Frage.

Und wer steckt dahinter?

Wer sich die Homepage des Kieswerks Birkenbühl angeschaut oder die Ausführungen von dessen Geschäftsführer Andreas Drewing bei diversen Informationsveranstaltungen zum Dellenhau gehört hat, gewinnt vielleicht den Eindruck, als handle es sich hier um ein regionales Unternehmen mit Sitz in Überlingen am Ried, das die hiesige Region mit Kies versorgt und örtliche Arbeitsplätze sichert.

Doch schon eine schnelle Recherche liefert eine echte Überraschung: Die Liste der Unternehmen, deren Geschäftsführer Andreas Drewing heißt, ist lang: Kieswerke Tullius GmbH & Co. KG, Ulm; RZ Verwaltungs-GmbH Salem; Schotterwerk Bihler GmbH Eigeltingen; Yachthafen Langenargen; Antigonus Verwaltungs-GmbH, Tettnang; Natursteinpark Salem Verwaltungs-GmbH, Salem … das ist nur ein Auszug von mehr als einem Dutzend, auch die Mobilbeton AG in Frauenfeld gehört dazu.

Und wer hinter diesem undurchsichtigen Konglomerat von Firmen steht, die gute Geschäfte mit Rohstoffgewinnung und deren Veredelung machen, lässt sich – mit hoher Wahrscheinlichkeit – zumindest vermuten: Niemand Geringeres als das Haus Baden mit Sitz in Salem, dessen Geschäfte von Prinz Bernhard äußerst erfolgreich geführt werden. Nicht nur als größter Weinbauer Süddeutschlands, auch mit diversen Beteiligungen an Kieswerken und mit gut 4400 ha Wald und intensivster Forstwirtschaft macht das Adelshaus am Bodensee ebenfalls satte Profite.

ForstBW: Wenn Kies mehr wert ist als Wald

Und jetzt wird es wirklich grün, waldgrün allerdings: Nach unseren Informationen wurde erst ein noch nicht bindender Vor-Vertrag zur Verpachtung des Dellenhau zwischen der Firma Birkenbühl und dem Grundeigentümer ForstBW unter seinem für die Außenstelle Freiburg zuständigen Forstpräsidenten Meinrad Joos abgeschlossen und somit wäre das zuständige Ministerium jedenfalls oberster Dienstherr. Zwar ist Forst BW eine 100%-ige Tochter des Landes Baden-Württemberg, agiert aber weitgehend wirtschaftlich und politisch unabhängig.

Auch dessen Webseite sieht hübsch grün und nachhaltig aus: „Forst BW steht für eine multifunktionale, dem Gemeinwohl in besonderem Maße verpflichtete Bewirtschaftung des öffentlichen Waldes. … ForstBW – wir schaffen Zukunft“. Tatsächlich dürfte aber der Profit über dem Gemeinwohl stehen, denn auch mit Wald und Holz lässt sich derzeit gutes Geld verdienen und noch mehr, wenn man selbst Grundbesitzer ist mit großem Kiesvorkommen unter den Bäumen.

Denn der Kies ist trotz guter Holzpreise immer noch ein Mehrfaches wert als jeder noch so gute Wald. Beim Dellenhau handelt es zwar um eine ökologisch wertvolle Waldfläche, die aber, weil noch jung, frühestens in 100 Jahren Erträge bringen würde. Und an diesen schnellen Profiten ist auch das Land Baden-Württemberg über ihren Betrieb Forst BW durchaus interessiert. Bekannt ist auch, dass Meinrad Joos, der der Grünen Partei eher nicht nahe stehen dürfte, gute Geschäftsbeziehungen zum Hause Baden hat: Als „Herren der Wälder“ tauschen sie Flächen, kaufen Holz, gehen wohl auch gemeinsam auf die Jagd … Dieses einvernehmliche Verhältnis könnte auch erklären, weshalb es nie eine offizielle Ausschreibung des Dellenhau als Kiesabbaugebiet gegeben hat: Das war nicht vorgesehen, da als Sicherungsgebiet erst einmal ausgeschlossen, aber das Begehr des Kiesunternehmers lockte wohl als Geldquelle. Vielleicht nur eine Sage vom Forstmann und dem Prinzen, aber Sagen haben oft einen wahren Kern.

Der lukrative Export in die Schweiz

Bleibt die Frage, wie es möglich ist, dass ein Sicherungsgebiet nun doch vorzeitig abgebaut werden könnte? Obwohl kein Mangel an Kies herrscht und beileibe ein Gutteil davon nicht in der Region bleibt, kann das Kieswerk damit argumentieren, dass es eine Verpflichtung zur Grundversorgung der Region mit einem für die öffentliche Daseinsvorsorge benötigtem Rohstoff habe und somit ein Anrecht auf die ihm weiterhin zustehende Abbaufläche. Da andere Kiesgruben schon von anderen Firmen betrieben würden und Grundstücke weiterer privater Eigentümer nicht zur Verfügung stünden, gäbe es für Birkenbühl keine Alternative. Wäre der Dellenhau einfach Vorrang- statt Sicherungsgebiet, bräuchte es für die Abbaugenehmigung noch nicht einmal das jetzt beginnende Raumordnungsverfahren.

Sicher ist, dass mindestens 40 Prozent des abgebauten Kieses direkt in den Thurgau exportiert werden, nach Frauenfeld, zur Mobilbeton AG, der eigentlichen Veredelungsanlage, die wiederum zur Firmengruppe „Birkenbühl u.a.“ gehört. Experten schätzen allerdings, dass es weitaus mehr als 40% sind. Dies nachzuweisen, ist aufgrund der oben genannten Firmenverflechtungen äußerst schwierig.

Und außerdem gibt es keine bindende Vorgabe hinsichtlich der Verwendung des abgebauten Materials in einer Region und eine „Beschränkung der Kiesförderung auf die regionale Eigenversorgung würde eine Absatzsteuerung darstellen, die der marktwirtschaftlichen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland widerspreche“ – so die Antwort des Ministeriums Ländlicher Raum und Verbraucherschutz von 2014 auf eine kleine Anfrage des damaligen Landtagsabgeordneten Hans Peter Storz (SPD). Und außerdem gibt es da noch das 1973 geschlossene Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Schweiz.

Kies vom Hegau in den Thurgau zu transportieren, ist aber genauso unsinnig wie Eulen nach Athen zu tragen, denn die Schweiz hat genug eigene Kiesressourcen. Deren Abbau ist allerdings restriktiver geregelt und bedeutend teurer. Derzeit kostet eine Tonne Kies im Hegau zwischen 9 und 9.50 €, schon in Schaffhausen sind dafür mindestens 35 € zu bezahlen. Hier also lässt sich mit billigen Abbaugebieten im Hegau viel Kies verdienen. Auf Kosten der Umwelt, der Natur und vor allem künftiger Generationen.

Noch eine Chance für den Dellenhau?

Ganz schön kompliziert das Ganze. Und dass „die Grünen“ an allem schuld sein sollen, greift zu kurz. Die Voraussetzungen und Gesetzesgrundlagen für diesen Raubbau an einer endlichen Ressource wurden schon viel früher geschaffen und auch genutzt. Die Macht privater Unternehmen – und der Einfluss des Adels gehören in unserem Ländle dazu – und eine eigenständig agierende Untere Verwaltungsbehörde, egal unter welcher Regierung, sind an diesem Spiel um immer höhere Profite beteiligt.

Mit zur jetzigen Situation hat auch der Singener Gemeinderat beigetragen, der es mit der Entscheidung für den Abbaustopp in Überlingen am Ried gut meinte, sich aber nicht an die Vereinbarungen des Regionalplans hielt. Und auch einen Regionalplan, der keine konkreten Festlegungen zum notwendigen, regionalen Rohstoffbedarf regelt, sollte es so nicht geben. Ein Minister, der nicht anwesend ist, wenn eine Bürgerinitiative eine Unterschriftenliste überreicht, ist eine zusätzliche Enttäuschung. Passiert aber Bürgerinitiativen des Öfteren bei Politikern, egal welcher Couleur. Außerdem ist da noch das Freihandelsabkommen EU-Schweiz.

Aber welche Chance gibt es noch für den Dellenhau? Da ist zum einen die Möglichkeit, mit Einwendungen auf das Raumordnungsverfahren Einfluss zu nehmen. Singen, Gottmadingen und Rielasingen-Worblingen werden eine gemeinsame Einwendung abgeben. Nur Hilzingens Bürgermeister, Rupert Metzler, macht nicht mit. Er befürwortet den Kiesabbau und hat auch eine knappe Mehrheit des Gemeinderates dafür gewinnen können, dass man sich politisch nicht positioniert und es im Grunde mehrheitlich gut findet, wenn der Dellenhau ausgekiest werde. Das ist gelebte Verantwortlichkeit für das Allgemeinwohl.

Das Dellenhau gehört übrigens zur Gemeinde Hilzingen. Reibach mit dem Kies dürfte die Gemeinde aber nicht machen. Der Hilzinger Bürgermeister steht als FDP-Mann eher für den ungezügelten Freihandel. Ihm gehe es um die Bedeutung der Schweiz für die Region Hegau-Bodensee-Hochrhein, so erklärte er in einem Interview. Hilzingens SPD und UL dagegen werden weiter gegen den Kiesabbau kämpfen. Auf www.spd-hilzingen.de sind auch alle Unterlagen zum Raumordnungsverfahren eingestellt.

„Zahlreicher Bürger-Protest ist nötig“

Kritikpunkte an den von der Firma Birkenbühl in Auftrag gegebenen und bezahlten Gutachten gibt es genug, so Rainer Luick, Professor für Natur- und Umweltschutz an der Hochschule Rottenburg, Regionalverbandsmitglied, Grünen-Kreisrat und lange auch in Hilzingen Gemeinderat der UL (Unabhängige Liste). Offensichtliche Schlampereien fallen darin ins Auge, wie die Nennung des Landratsamtes (LRA) Bodenseekreis statt des tatsächlich zuständigen Regierungspräsidiums (RP) Freiburg bzw. des nachgeordneten LRA Konstanz, wenn dann der eigentliche Abbauantrag gestellt werden kann.

Wichtig ist, dass alle betroffenen BürgerInnen ebenfalls mit schriftlichen, persönlich verfassten Einwendungen gegen den Kiesabbau an der Öffentlichkeitsbeteiligung zum Raumordnungsverfahren teilnehmen. Jeder Einwand muss vom Regierungspräsidium geprüft werden. Unterschriftenlisten und Online-Petitionen reichen nicht; denn jede Liste oder Petition gilt nur als ein Einwand.

Mit einer Entscheidung sei wohl nicht vor Ende Herbst zu rechnen, so Rainer Luick, der appelliert, dass jetzt möglichst viele BürgerInnen ihren Protest und ihr Unverständnis öffentlich machen müssen. Jetzt gelte es, den politischen Instanzen klar zu machen, dass man es sich nicht gefallen lasse, wie hier ohne Notlage die für zukünftige Generationen wichtige Ressource für den schnellen Profit geopfert werden solle.

Und falls das RP und dessen (parteilose) Präsidentin Bärbel Schäfer der Umwidmung zum vorzeitigen Abbaugebiet zustimmen? Dann muss das LRA Konstanz den Abbau-Antrag prüfen. Und hier könnten wiederum eine lange Reihe von Einwänden vorgebracht werden, angefangen mit Landschaftsschutz, Wasserschutz, Naturschutz. Wichtig sei, dass die Bürger den politischen Druck aufrechterhalten. Und auch ein Minister könnte noch verhindern, dass der Pachtvertrag geschlossen wird, zuständig für „ländlichen Raum und Verbraucherschutz“ ist nun Peter Hauk (CDU).

Vorerst aber ist das Raumordnungsverfahren bis 4. Mai verlängert und die Gemeinden Rielasingen-Worblingen und Gottmadingen und auch die Stadt Singen wappnen sich mit juristischem Sachverstand. Geprüft werden soll u.a., ob der ausschreibungslose Abschluss eines Vor-Vertrages rechtens war und ob dieser nicht doch schon europaweit hätte ausgeschrieben werden müssen. Geprüft werden auch die vorgelegten Unterlagen der Firma Birkenbühl für das Raumordnungs-Verfahren. Denn es gibt mehr als einen Hinweis, dass hier unvollständig und auch schlampig gearbeitet wurde. Gut für den Dellenhau!

Und der Knaller zum Schluss

Während bei der Gemeinderatssitzung am vergangenen Dienstag Singens CDU-Fraktionschefin Veronika Netzhammer mit einem möglichen Kiesabbau im Dellenhau das Ende unserer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nahen sah, herbeigeführt durch die verantwortungslosen, bürgerfernen Grünen, wurde im zeitgleich tagenden Planungsausschuss des Regionalverbandes Hochrhein-Bodensee im Rahmen der Fortschreibung des Regionalplans die Umetikettierung des Dellenhaus in ein Abbaugebiet beschlossen. Grüne, Linke und SPD stimmten geschlossen dagegen. CDU und FDP mehrheitlich dafür!

Uta Preimesser (Hegau-Fotos: Dieter Heise)