Vier Gemeinden geeint gegen den Kiesabbau

Bei der Informationsveranstaltung (am Donnerstag, 4. Mai) zur weiter brodelnden Auseinandersetzung um den geplanten Kiesabbaus im Gewann Dellenhau gab es im Tagungsraum in der Singener Stadthalle kaum noch einen freien Platz. Eingeladen hatten die Stadt Singen und die Gemeinden Gottmadingen und Rielasingen-Worblingen, die eine gemeinsame Stellungnahme beim Regierungspräsidium Freiburg (RP) im Rahmen des Raumordnungsverfahrens abgeben.

Immerhin konnte Oberbürgermeister Bernd Häusler gleich zu Beginn positiv stimmende Neuigkeiten verkünden: Zum einen hat sich nun auch die Gemeinde Hilzingen dieser Stellungnahme angeschlossen und deren Bürgermeister Rupert Metzler war daher als vierter im Bunde zusammen mit seinen Kollegen Ralf Baumert (Rielasingen-Worblingen) und Dr. Michael Klinger (Gottmadingen) in die Stadthalle gekommen. Hilzingen hatte sich zunächst mit knapper Mehrheit für den Kiesabbau auf seiner Gemarkung Dellenhau ausgesprochen, doch diese Entscheidung konnte aufgrund hartnäckigen Protests und viel Aufklärungsarbeit der SPD/UL-Fraktion noch in letzter Minute gekippt werden. Bürgermeister Metzler sagte zu, diese Entscheidung nun mitzutragen.

Zum zweiten hatte am selben Tag – und dies war die Überraschung des Abends – eine nichtöffentliche Begehung des Dellenhau und des noch aktuellen Abbaugebiets in Überlingen am Ried u.a. mit Bärbel Schäfer, der Präsidentin des RP Freiburg, stattgefunden (seemoz berichtete). Dass diese anschließend in einer Presseerklärung eigens die „Transparenz des Verfahrens“ zusagte, ist allerdings so etwas wie „ein weißer Schimmel“: Verwaltungsentscheidungen müssen grundsätzlich nachprüfbar sein, Voraussetzung dafür ist die Offenlegung aller Entscheidungskriterien. Als besonderes Entgegenkommen braucht man dies aber nicht zu betonen.

Podiumsdiskussion fand nicht statt

Geplant war der Abend ursprünglich als Podiumsdiskussion, doch hatten entscheidende Akteure wie Birkenbühl-Geschäftsführer Andreas Drewing, Forstpräsident Meinrad Joos und Regionalverbands-Direktor Karl Heinz Hoffmann abgesagt. Dafür nahm der Freiburger Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Professor Dr. Reinhard Sparwasser die Einladung nach Singen an. Als Verfasser der Stellungnahme der Gemeinden stellte er diese – auch für Nicht-Juristen verständlich – vor.

Singens Stadtplaner Adam Rosol zeigte anhand von projizierten Karten die bestehenden Kies-„Abbaugebiete“, die „Vorranggebiete“ und die „Sicherungsgebiete“ des aktuellen Regionalplans von 2005 und erläuterte die Begriffe: Im „Abbaugebiet“ wird jetzt Kies abgebaut, eine Genehmigung liegt vor. Das Vorranggebiet gehört zu derselben Kategorie, aber es wurde noch kein Genehmigungsverfahren durchgeführt, es kann also noch nicht abgebaut werden. Die Gebiete dieser ersten Kategorie stehen für den Planungszeitraum (ca. 15 Jahre) zur Verfügung. Erst wenn diese Gebiete nachweislich ausgekiest sind, dürfen die Sicherungsgebiete angegriffen werden. Die ausgewiesenen Vorranggebiete böten einen Vorrat von geschätzten 44 Mio m³. Laut OB Häusler würden diese Flächen im Radolfzeller Stadtwald (auf der Gemarkung Singen, bei Friedingen) für etliche Jahrzehnte zur Kiesgewinnung ausreichen. Nur habe darauf das Unternehmen Meichle und Mohr Zugriff, nicht die Fa. Birkenbühl.

„Den Behörden auf die Finger schauen“

Gleich zu Beginn seiner Ausführungen bemerkte Professor Sparwasser, dass „das, was die Kieswirtschaft aufruft“, sehr schnell umgesetzt werde, was er so aus keinem anderen Bereich kenne. Deshalb lohne es sich in diesem Bereich besonders, den Behörden auf die Finger zu schauen, damit das Land nicht vermeintlich das Gemeinwohl, in Wirklichkeit aber private Profitinteressen bediene, statt sich um eine ausgewogene Entscheidung zu bemühen.

„Die Raumordnung kennt Grundsätze und Ziele. Die Ziele sind verbindlich, die Grundsätze sind überwindbar. Die Sicherungsgebiete sollen die künftige Abbaubarkeit gewährleisten […] damit nichts stattfinden darf, was einer künftigen Abbaubarkeit entgegenstünde.“ Und bringt es auf den Punkt: „Die Fläche jetzt abzubauen, steht einer künftigen Abbaubarkeit ganz offensichtlich entgegen, oder?!“

Deswegen sei es falsch, ein Raumordnungsverfahren durchzuführen, richtigerweise müsse man ein Zielabweichungsverfahren durchführen. Auch mit der Begründung, die Fa. Birkenbühl habe ja einen Anspruch auf Kiesabbau, aber es stünden ihr keine geeigneten Flächen zur Verfügung, ließe sich nicht die Einleitung eines Raumordnungsverfahrens rechtfertigen, da es auch dabei um das Ziel geht, ein Sicherungsgebiet abzubauen, bevor die bestehenden Vorrangflächen ausgeschöpft sind. „Die Zulassung eines Abbaus an dieser Stelle ist ohne ein Zielabweichungsverfahren raumordnungswidrig.“

Für die Raumordnung sei es belanglos, ob es für einen bestimmten Vorhabenträger Alternativen gibt oder nicht. D.h. die privatrechtliche Verfügbarkeit an Abbaugebieten spielt für die Raumordnung solange keine Rolle, wie die ausgewiesenen Gebiete ausreichen, um den Bedarf im Planungszeitraum von 10 bis 15 Jahren zu decken. Richtigerweise sei der Bedarf aus der Schweiz hierbei nicht mit einzurechnen.

„Unterlagen sind oberflächlich“

Die Antragsunterlagen seien auch in anderer Hinsicht höchst oberflächlich. Denn in Abbaugebieten habe – anders als bei Sicherungsgebieten – bereits eine sehr viel tiefergehende Prüfung stattgefunden. Selbst wenn man die Möglichkeit in Betracht ziehen würde, im Rahmen eines Raumordnungsverfahrens eine solche Prüfung durchzuführen, ließen die Unterlagen eine solche vertiefte Prüfung nicht erkennen. In einem „regionalen Grünzug“ dürfe ein Abbau überhaupt nicht stattfinden, deshalb müsste auch hierzu ein Zielabweichungsverfahren durchgeführt werden. Auch die Belange des Verkehrs, des Wasserschutzes und des Naturschutzes seien nur völlig unzureichend beleuchtet worden. Mit der „Landschaftsschutzgebietsverordnung Hegau“ habe man sich bisher überhaupt nicht auseinandergesetzt.

Fragerunde und das „Wünsch-Dir-Was-Prinzip“

Zu Beginn der Fragerunde erklärte OB Bernd Häusler, weshalb Prof. Sparwasser in seiner Darstellung immer wieder süffisante Bemerkungen bezüglich des Einzelhandels gemacht hatte: Der Raumordnungs-Experte ist auch der Rechtsbeistand der Stadt Konstanz gegen die ECE-Ansiedlung in Singen.

Auf die Frage nach der Verbindlichkeit der Regionalpläne wies Prof. Sparwasser darauf hin, dass die Ziele der Raumordnung absolut verbindlich seien. Es brauche aber auch den Druck, auf Einhaltung dieser Ziele zu bestehen. Er brachte als Beispiel: Konstanz habe berechtigte Einwände gegen die Erweiterung des Outlet-Centers in Radolfzell gehabt, wollte aber nicht mit einer Stellungnahme oder einer Klageandrohung dagegen vorgehen und hat sich stattdessen darauf verlassen, dass das RP schon richtig entscheiden und die Erweiterung in Radolfzell nicht genehmigen werde. Damit habe Konstanz gekniffen, die Erweiterung wurde genehmigt, weil die Einhaltung der Ziele der Raumordnung nicht nachdrücklich genug eingefordert worden sei.

Auf die Frage nach der politischen Bedeutung der gemeinsamen Stellungnahme der vier betroffenen Gemeinden, sagte er, er glaube, dass das RP ohne diese Stellungnahme das Vorhaben Dellenhau durchgewunken hätte. Es gab auch Kritik an der Forstverwaltung, die als „Hüter des Waldes“ und nicht als deren „Ausverkäufer“ handeln solle.

Selbstkritisch wies OB Häusler deutlich darauf hin, dass alle Entscheider – er eingeschlossen – einmal den jetzigen Zielen, die Rohstoffe betreffend, zugestimmt hätten. Sie als Verantwortliche seien alle ein Stück weit selbst daran schuld, dass man damals relativ unsensibel entschieden habe.

OB Häusler gab zu verstehen, dass er damit rechne, dass der Dellenhau vor Gericht entschieden werde. Im Falle einer Ablehnung des Kiesabbaus würde die Fa. Birkenbühl dagegen klagen, wie umgekehrt alle vier betroffenen Gemeinden gemeinsam gegen eine Genehmigung klagen würden. Zum Abschluss stellte er fest, dass der Druck gegen den Kiesabbau im Dellenhau auf jeden Fall aufrechterhalten werden müsse, auch wenn das Verfahren beim RP üblicherweise sechs Monate dauern werde.

Dieter Heise