Die Konstanzer Buchhändler sind „stinksauer“
Damit hat sich OB Burchardt keine neuen Freunde gemacht. Kurzerhand kündigte er Verträge mit allen Konstanzer Buchhändlern, die bislang für 170 000 Euro pro Jahr die Stadt mit Fachliteratur, Büchern, Zeitschriften und Ergänzungslieferungen für Kommentare belieferten. Die Händler sind „stinksauer“, so Daniel Widmaier von Homburger und Hepp. Auch seine Kollegen fragen verwundert: Warum?
„Denn“, so Andreas Rieck von der Schwarzen Geiss, „damit wird kein Geld gespart“. Buchverkäufe nämlich unterliegen in Deutschland immer noch der Preisbindung, worauf auch SPD-Stadtrat Jan Welsch in einer Medienmitteilung (s.u.) hinweist. Das heißt: Bücher sind überall gleich teuer. „Einsparungen sind höchstens bei Lose-Blatt-Sammlungen denkbar“, meint Buchhändler Rieck, der von einem herben Verlust ausgeht, sollte die Burchhardt-Idee umgesetzt werden. Ärger träfe es die Münsterplatz-Buchhandlung Homburger und Hepp: „Die Stadt gehört zu unseren Top-Ten-Kunden“, klagt Daniel Widmaier, der sich überdies darüber beschwert, dass der örtliche Buchhandel nicht vorab eingeweiht wurde: „Wir konnten uns an der Ausschreibung nicht beteiligen.“
Zur Vorgeschichte dieser merkwürdigen Entscheidung und zur Frage, wie es weitergeht, dokumentieren wir eine aktuelle Mitteilung der SPD Konstanz:
„Für 170.000 Euro kauft die Stadt Konstanz jedes Jahr Fachliteratur: Bücher, Zeitschriften und Ergänzungslieferungen für Kommentare. Bislang belieferte der örtliche Buchhandel die Verwaltung. Doch damit ist es bald vorbei, erfuhren die Händler vor wenigen Tagen. Eine ‚Fehlentscheidung‘, meinen die SPD-Stadträte Jan Welsch und Dr. Jürgen Ruff. Sie wollen das Thema im Haupt- und Finanzausschuss des Gemeinderats zur Sprache bringen.
Ausgangspunkt war eine Offenlage der Verwaltung im Herbst letzten Jahres, in der Haupt- und Finanzausschuss Zustimmung zur Beschaffung einer Literaturverwaltung gebeten wurde. Diese wurde nach einer kurzen Besprechung auch so beschlossen. Keine Rede war davon, dass Verträge mit örtlichen Buchhändlern gekündigt werden müssen. Die SPD-Fraktion kritisiert daher die damalige Information der Verwaltung über die Tragweite des Beschlusses als unzureichend und lückenhaft.
Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Ruff ist die Vergabe der Beschaffung an einen externen Dienstleister unter dem Aspekt der Wirtschaftsförderung zumindest ‚problematisch‘. Denn vor allem die inhabergeführten Buchhandlungen in der Stadt bereichern nicht nur das Einzelhandelsangebot, sondern leisten vielfältige kulturelle Beiträge.
Stadtrat Jan Welsch zieht in Zweifel, ob die Verwaltung überhaupt Einsparungen mit der Vergabe nach außen erzielen könne. Der Buchhandel weise zu Recht darauf hin, dass für Bücher und Zeitschriften die Preisbindung gelte, so Welsch.
Die SPD will nun von der Verwaltung wissen, wann der Dienstleistungsvertrag wieder gekündigt werden könne. Außerdem soll die Verwaltung die Einnahmeausfälle für den örtlichen Handel beziffern.“
MM/hpk
@Anke Schwede: In der lückenhaften Offenlage war in der Tat davon die Rede das der Vertrag „mindestens drei Jahre“ laufen soll. Das war jedoch vor dem Vertragsabschluss. Wenn die Vereinbarung mit dem Dienstleister beendet werden soll, ist es wichtig das exakte Datum und die Kündigungsfrist zu kennen.
Ich stimme Christel Thorbecke zu, dieses Vorgehen ist ein weiteres Beispiel für die nachteiligen Folgen neoliberaler Politik, in diesem Fall für die lokalen Anbieter. Die „Ausschreibung und der Abschluss eines Dienstleistungsvertrags an einen externen Dienstleister zur Literaturverwaltung“ sollte über eine Offenlage, also ohne Debatte im zuständigen Haupt- und Finanzausschuss beschlossen werden. Die Linke Liste hielt diese wegen ihrer inhaltlichen und finanziellen Bedeutung an, das heißt, der Beschlussvorschlag der Stadtverwaltung musste im Dezember-HFA debattiert werden.
Unserer Auffassung, die Bedarfs- und Bestandserhebung der benötigten Bücher und Zeitschriften für die städtischen Ämter sei eine klassische interne Aufgabe, wurde leider nicht gefolgt; auch, weil nur der finanzielle Aspekt vom Personal- und Organisationsamt in den Mittelpunkt gestellt und die Folgen für den örtlichen Buchhandel nicht benannt wurden.
Zur Frage der SPD, wann der Dienstleistungsvertrag gekündigt werden kann: die Vertragslaufzeit beträgt mindestens 3 Jahre, nachzulesen in der Vorlage.
Eine Unterstützung der lokalen (Buch)läden macht aus vielerlei Hinsicht Sinn. Oder anders herum gefragt:
– Wie viele Jugendliche aus der Region haben über einen Onlinehandel einen Ausbildungsplatz finden können?
– Wie hoch war das soziale Engagement, die Spenden für Vereine, Schulen, Kindergärten etc. hier in Konstanz von externen Anbietern?
– Wie viel Gewerbesteuer zahlt Amazon an Konstanz und den Landkreis?
– Wann hat mir das Internet letztes mal ein Arbeitsplatz angeboten?
– Wann wurde ich das letzte mal kompetent im Onlinebuchhandel beraten?
– Wie war denn so der Service nach dem Kauf im Internet?
– Was kommt an Stelle von möglichen geschlossenen kleinen regionalen Händlern hin?
– Wo arbeiten die jetzigen Angestellten und Inhaber, wenn es die Buchläden nicht mehr geben sollte?
– Inwiefern hat ein externer Anbieter zur Attraktivität von Konstanz und der Region beigetragen?
– Wann hatte ich das letzte mal einen netten Plausch mit meinem Onlineshop und habe viel mehr als nur was über Bücher erfahren?
Selbst wenn sich durch eine Ausschreibung zunächst leichte Einsparungen erzielen ließen, so kann in der gesamtrechnerischen Betrachtung dies u.U. schnell ins Gegenteil umschlagen.
Aktiv unterstützen kann übrigens jeder von uns, der hier vor Ort einkauft, oder auch beim regionalen Buchdandler bequem online bestellt: die Stadt, die UnternehmerInnen und jeder einzelne von uns Bürgern selbst. Ich muss mich hierbei selbst oft an meine eigene Nase fassen. Groß genug dafür ist sie ja.
Mal wieder „vollendete Tatsachen“ geschaffen!
Weil die Stadt sparen will, denkt sie sich hinter den dicken Mauern im kleinen Rathauskämmerchen wieder etwas aus: Einen Wettbewerb ausschreiben für die Vergabe der Ausgaben der jährlichen Schulbücher und Loseblattsammlungen.
Wieso andere Buchhandlungen aus der Ferne billiger liefern sollten als die Traditionsbuchhandlungen in Konstanz, diese Frage muss man sich als Stadtverwaltung nicht stellen. Vielleicht ist der Begriff „Buchpreisbindung“ dort auch gänzlich unbekannt.
Die eigenen Buchhandlungen bezieht man nicht ein. Wieder ein unbeantwortetes Rätsel. Dann vergibt man den großen Auftrag an die Gewinnerin. Warum man diesen Auftrag erst ausgeschrieben hat, hat man inzwischen vergessen. Eine gewinnt auf alle Fälle, nicht weil sie billiger ist, sondern weil sie das richtige Los gezogen hat.
Vorher die Betroffenen fragen? Ein paar Erkundigungen einziehen?
Den Antrag im Fachausschuss so formulieren, dass die Räte auch wissen, worüber sie abstimmen? Nicht in Konstanz. Hier macht die Verwaltung offensichtlich, was sie will. Und der OB unterschreibt, ohne Gespür dafür, dass hier etwas nicht stimmen kann.
Man könnte lachen darüber, dass die Schildbürger in Konstanz in der Verwaltung anstatt unter den schlichten Einwohnern sitzen, wenn die Folgen nicht so dramatisch wären.