Zum Tod von Dr. Ottomar Neuss

Kurz nach seinem 90. Geburtstag verstarb Ende Juni der Arzt und Altstadtrat Dr. Ottomar Neuss. Mit dem gebürtigen Rheinländer ostpreußischer Abstammung verlor Konstanz ein kommunalpolitisches Urgestein. Neuss, ein kantiger und eigenwilliger Typ, saß fast 30 Jahre für die CDU im Konstanzer Stadtparlament, kehrte seiner Partei aber dann den Rücken. Das mag mit ein Grund sein, dass es die CDU vor Ort nicht für nötig befand, an ihr langjähriges Mitglied auch mit nur einer Zeile zu erinnern.

Der Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten kam nach dem Studium der Medizin in Bonn und der Facharztausbildung in Frankfurt und New York nach Konstanz, eröffnete hier seine Praxis und war zudem Konziliararzt an den städtischen Krankenanstalten.

Neben seinem Beruf galt sein Interesse insbesondere dem Studium antiker Mittelmeerkulturen. Neuss wanderte auf einsamen Pfaden im Südwesten Kretas, zeltete in Elafonisi und besuchte das für die Freiheitskämpfer der Kreter berühmte Kloster Preveli. Der Griechenlandexperte trug entscheidend zur Entzifferung einer über 3500 Jahre alten Tonscheibe des „Diskos von Phaistos“ aus der Bronzezeit bei, die vor 100 Jahren in den Ruinen einer minoischen Tempelanlage auf Kreta entdeckt wurde.

Neuss publizierte im Laufe der Jahre insgesamt 70 Veröffentlichungen. Entsprechend seinem Lebensstil widmete er sich dem gezielten Einsatz zur Förderung einer gesundheitsbewussten Lebensweise und der sportlichen Betätigung, insbesondere dem Bergsteigen.

Sportlich und kämpferisch war Neuss auch in der Politik: Neuss, von 1975 bis 2004 Mitglied des Konstanzer Rates, war im besten Sinne traditionsbewusst, von gelassener Selbstgewissheit und zeichnete sich durch geistige Beweglichkeit aus. Er brach manches Tabu, provozierte bewusst und wusste um die Macht des Wortes und die Symbolwirkung der Gesten. Freunden gegenüber bekannte er sich zur Aristokratie des Geistes. Neuss war ein Freidenker. Die Grenze zur Unverbindlichkeit lehnte er als Ende des Auftrags des die Verwaltung zu kontrollierenden Gemeinderates ab.

Gemäß seiner eigenen These, nach der Politik die Koordinierung vorhersehbarer Entwicklungen sei, achtete er im Gemeinderat stets auf die Sparsamkeit des städtischen Haushalts, vor allem im Bereich des Krankenhauswesens. Seiner Geisteshaltung entsprechend, zitierte er bei Haushaltsdiskussionen auch gerne mal Marcus Tullius Cicero (55 vor Chr.): „Der Staatshaushalt muss ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert; die Arroganz der Behörden muss gemäßigt und kontrolliert werden.“

Die stärkere Vernetzung der Universität und der HTWG mit dem Stadtleben war stets ein Herzenswunsch von Ottomar Neuss. „Hinter beiden Institutionen steht ein unschätzbares Potential für Konstanz, sowohl wirtschaftlich als auch kulturell“, so der Mediziner.

Neuss zählte nicht zu den Bequemen, machte es vielmehr der Stadtverwaltung und der CDU-Fraktion, der er lange angehörte, nicht immer leicht. So sprach er sich mit allem Nachdruck gegen eine Autobahntrasse durch das Ulmisried aus, die er als Entfaltungsgelände für die Strategie des Individualverkehrs ablehnte. In namentlicher Abstimmung stimmte Neuss mit Nein, als es um die Schließung des Naturmuseums in der Katzgasse oder um die Einführung des Katamaran ging. Bis zuletzt blieb er ein Gegner der Integration des Vincentius-Krankenhaus in den Funktionsneubau des Klinikum Konstanz. Im Spitalausschuss stimmte er oftmals mit den Vertretern der Grünen und der SPD. Das Verhältnis zu seiner CDU-Fraktion wurde dadurch, gelinde gesagt, schwierig.

1999 kam es dann zum endgültigen Bruch mit der CDU, als die Partei ihn nach fast drei Jahrzehnten nicht mehr auf die Kandidatenliste für die Gemeinderatswahl setzen wollte. Neuss wechselte zur „Neuen Linie Konstanz (NLK)“, einer heute in Konstanz ins politische Nichts versunkenen Wählergemeinschaft (die gleichwohl noch in der Nachbarstadt Singen und auf Kreisebene eine Rolle spielt). Trotzdem hatte sich der erfahrene Stratege verrechnet und wurde knapp nicht wiedergewählt. Der Neuen Linie blieb er bis zum Tod verbunden.

Claus-Dieter Hirt