G20: Festung der Arrivierten

Dieser Kommentar des langjährigen Südkurier-Kolumnisten Jochen Kelter fand in den Augen des neuen Ressortchefs Wirtschaft kein Gefallen. „Ich kann keinen neuen Aspekt in Ihrer Kolumne erkennen…“ antwortet Walther Rosenberger dem Kollegen. Die seemoz-Redaktion hingegen meint, dass der Südkurier politische Gründe hat, eine solche Veröffentlichung zu verweigern. Und deshalb bringt seemoz jetzt Kelters Kolumne:

Es hätte nicht der keineswegs zu rechtfertigenden, weil völlig sinnlosen Krawalle am letzten Wochenende bedurft, um sich darüber klar zu werden, dass Metropolen wie Hamburg, sofern dort Versammlungsfreiheit herrscht, der denkbar ungünstigste Ort für den Aufmarsch der vermeintlichen Führer der Welt sind. Das weiß man schon seit dem berüchtigten G8-Gipfel von 2001 in Genua. Warum treffen sich die Damen und Herren nicht auf einem Flugzeugträger oder in der Arktis?

Die fehlende Nähe der 80 000 friedlichen Demonstranten von Hamburg wird es kaum sein, zumal die Runde das Elend der Welt recht gut spiegelte. Neben dem Club der Neoliberalen (Merkel, Macron, May, Renzi & Co.), die das Heil in Sozialabbau und mehr Macht für die Multis suchen, saßen da ja auch waschechte Autokraten (Putin, Erdogan, Xi Jinping), Rechtsradikale (Trump, Modi) und Kleptokraten (Zuma, Temer).

Die 20 Staaten, denen diese Herrschaften vorsitzen, stehen für zwei Drittel der Weltbevölkerung, vier Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung und drei Viertel des Welthandels. Und sie fällen unkontrolliert Entscheidungen, die direkt oder über internationale Institutionen indirekt die 170 nicht vertretenen Staaten dieser Welt betreffen, etwa den afrikanischen Kontinent, der durch völlig unfaire Freihandelsverträge mit der EU verarmt und alleine durch Südafrika (s.o. „Kleptokraten“) vertreten ist. Ägypten, Thailand, Nigeria, Iran oder Polen besitzen jeweils alleine mehr Wirtschaftskraft.

Die G20-Runde ist also völlig willkürlich zusammengesetzt und spielt sich als Ersatz-UNO ohne Mandat und ohne verbindliche Regeln auf, was nicht zuletzt durch die Unfähigkeit internationaler Organisationen wie Internationaler Währungsfonds (IWF) oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) begünstigt wird.

Keine Zustimmung ohne Mitbestimmung, das war einmal. „No taxation without representation“ lautete der Slogan der 13 amerikanischen Kolonien im Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien. Hehre Ziele und durch die Aufklärung beförderte Grundsätze von Gerechtigkeit und Gegenseitigkeit. In der globalisierten, alleine von den wirtschaftlichen Interessen der multinationalen Konzerne und der nationalen Regierungen bestimmten Welt des 21. Jahrhunderts scheinen sie so endgültig ausgedient zu haben wie die nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs geschaffene Weltordnung, für die symbolhaft die UNO steht.

Stattdessen haben die USA, Deutschland, aber auch Kanada und andere nach willkürlichem Gutdünken einen (im Unterschied zu den G7 oder G8) erweiterten Kreis von Ländern abgesteckt und 1999 die G 20 aus der Taufe gehoben, deren Finanzminister und Notenbankchefs sich fortan trafen. In der Finanzkrise von 2008 wurde daraus die heutige G20 der Staats-und Regierungschefs, die über Wirtschaft, Handel, Klima der Welt bestimmen.

Die Zivilgesellschaften der europäischen Länder sind aufgerufen, sich nach wie vor für fairen Handel, Demokratie und Transparenz, gegen Freihandelsverträge wie TTIP (EU – USA) oder TISA (Deregulierung des globalen Dienstleistungssektors) einzusetzen. G20 – nein danke!

Jochen Kelter