Entscheidung im Regionalverband: Die Grünen verabschieden sich aus der Windenergie-Nutzung

Sechs Jahre hat der Regionalverband Hochrhein-Bodensee (RVHB) geplant, um vergangene Woche den Teilregionalplan zur Windenergienutzung für die drei Landkreise Konstanz, Lörrach und Waldshut zu beschließen. Theoretisch gibt es in der Region rund 31 000 ha, die für die umwelt­freund­liche Gewinnung von Windenergie geeignet wären. Davon hat der Regionalverband jetzt 490 ha an sieben Standorten (fünf im Landkreis Lörrach, null im Landkreis Waldshut und zwei im Landkreis Konstanz) heraus gefiltert, auf denen nach Entscheidung des RVHB der Bau von Windenergieanlagen (WEAs) vorstellbar sei.

Bei nur drei Gegenstimmen (Birgit Brachat-Winder, Rainer Luick, beide GRÜNE, und Marco Radojevic, DIE LINKE) wurde der neue Teilregionalplan Wind verabschiedet. Als mutig und zukunftsweisend bezeichnet die Verbandsvorsitzende Marion Dammann, Landrätin aus Lörrach und Vorsitzende des Regionalverbandes, dieses Ergebnis und als einen wichtigen Beitrag zur Energiewende.

Sowohl die Verbandsvorsitzende als auch Redebeiträge aus Fraktionen äußerten in ihren Stellungnahmen zum Beschluss, dass diese doch geringe Potentialfläche nicht weiter tragisch sei, da man hier in der Region die Energiewende problemlos auch mit einer verstärkten Nutzung von Energie aus Wasser und Sonne gestalten könne und dies sogar wünschenswerter sei. Bemerkenswert ist, dass gerade der sonnenreiche Landkreis Lörrach, dem Frau Dammann vorsteht, mit lediglich 62 Megawatt installierter Leistung mit weitem Abstand Schlusslicht bei der Nutzung von solarer Energie in Baden-Württemberg ist.

Kehrtwende der Grünen

Während die klar ablehnenden Positionen für eine Nutzung der Windenergie in den drei Landkreisen bei den Verbandsvertretern von CDU, Freien Wählern, SPD und FDP erwartbar war, kommt die Zustimmung zum mageren Ergebnis des Teilregionalplans Wind der Fraktion der GRÜNEN doch überraschend. Diese stellte sich in ihrem Statement, vorgetragen vom Fraktionssprecher Lüder Rosenhagen aus Bad Säckingen, klar hinter das Planungsergebnis und attestierte hervorragende Arbeit, die der Planungsausschuss des Regionalverbandes geleistet habe. Rosenhagen widersprach auch vehement der Kritik, die von seinem Fraktionskollegen Prof. Dr. Rainer Luick (auch Mitglied des Kreistages Konstanz) vorgetragen wurde, dass mit diesem Beschluss im Grunde das Ende und der Gestaltungsunwille für einen sinnvollen regionalen Beitrag für eine zukunftsfähige und nachhaltige Energiewirtschaft im Südwesten beschlossen werde. „Das sei eine Einzelmeinung, die von der Fraktion so nicht vertreten wird“, lautet der Platzverweis von Lüder Rosenhagen stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen.

Verwundert muss festgestellt werden, dass sich die regionalen GRÜNEN mittlerweile einer notwendigen und möglichen, sinnvollen Nutzung der wichtigsten Form an erneuerbaren Energien, der Windenergie, anscheinend weitgehend verschließen. War diese Partei nicht 2011 mit Regierungsverantwortung angetreten, um die Energiewende auch im Südwesten kraftvoll voranzubringen und zu gestalten? Zumindest hier in der Region scheint bei den GRÜNEN nur noch ein sehr laues Windchen zu wehen und Grundsätze aus der Vergangenheit scheinen ihre Bedeutung verloren zu haben.

Der negative Bescheid des Regionalverbandes zur Windenergienutzung hat auch fatale Auswirkungen in einem anderen Planungssektor: Denn neben den Regionalverbänden können in Baden-Württemberg auch die Kommunen über die Aufstellung von Flächennutzungsplänen Standorte für einzelne WEAs ausweisen, theoretisch. Mit dem Rückenwind einer Ablehnungskultur wird es in den Kommunen vermutlich kaum noch Eigeninitiative in diesem Sektor geben. So haben z.B. im Landkreis Konstanz zwar alle Verwaltungsgemeinschaften Ende 2012, Anfang 2013 die Aufstellungsbeschlüsse für Flächennutzungspläne zur Windkraft getroffen, doch der aktuelle Status ist, dass es nach mittlerweile mehr als vier Jahren in keinem einzigen Planungsverband einen entsprechenden Flächennutzungsplan gibt.

17 Jahre Energiewende an Hochrhein und Bodensee – und heute?

In Baden-Württemberg werden 12,9% (Status 12/2016) des Energiebedarfs über alle Formen der erneuerbaren Energieträger produziert. Mit diesem geringen Wert belegt unser Musterländle nach mittlerweile 17 Jahren Energiewende bundesweit gesehen im Vergleich der Flächenländer vor dem Saarland einen der letzten Plätze. Noch weniger Anteile mit kaum 10% hat die Region Hochrhein-Bodensee und liegt damit im baden-württembergischen Ranking auf den hinteren Rängen. Ohne Berücksichtigung der kreisfreien Städte rangiert der Landkreis Konstanz noch deutlicher unter dem Landesdurchschnitt, denn hier gibt es weder nennenswert nutzbare Wasserkraft und erst seit wenigen Tagen die ersten Windenergieanlagen am Standort Verenafohren in Tengen-Wiechs (s. Fotos). Diese werden – so der Wille des RVHB – auch auf lange Zeit die einzigen im Landkreis Konstanz bleiben.

Die bei der Sitzung des RVHB in Konstanz von den Vertretern vorgetragenen Positionen zur Energiewende offenbaren schonungslos, wie naiv und wissenslos sich die gewählten Volksvertreter bei der dringend notwendigen Gestaltung einer neuen Energiewirtschaft positionieren. So fordert der auch im Regionalverband sitzende FDP-Landtagsabgeordnete Jürgen Keck, dass eine verstärkte Nutzung der Wasserkraft die Windenergie überflüssig werden lasse.

Staudämme im Ländle?

Die Realität und die tatsächlichen Potentiale sehen aber ganz anders aus: Energie aus Wasserkraft hat nach Darstellung des Umweltministeriums aus dem April 2017 einen Anteil von 1,2% an unserem Energiekonsum. Detaillierte Untersuchungen zeigen außerdem, dass die sinnvoll nutzbaren Potentiale von Wasserkraft im Land bereits zu 95% ausgeschöpft sind. Theoretisch könnte man im Bereich des RVHB in den Schluchten der Wutach, Alb und Wehra tatsächlich noch Staudämme errichten. Und vielleicht denken Dammann und Keck auch, dass für die dazu notwendigen Absiedlungen, inklusive der Aufgabe des Naturschutzgebietes Wutachschlucht, problemlos politische Mehrheiten organisiert werden können. Immerhin würden sich damit weitere 0,2% der Energiewende realisieren lassen.

Aus ökologischer und erst recht aus ökonomischer Sicht macht es wenig Sinn, dass an den wasserwirtschaftlich noch nicht genutzten kleinen Fließgewässern Strom für einige wenige Haushalte produziert wird. Hinzu kommt, dass diese mit der zunehmenden Erwärmung und den längeren Trockenperioden in den Sommermonaten immer weniger Wasser führen und damit nur unbeständig und über lange Zeiträume sogar ganz ausfallend, Strom produzieren, dies wird in Zukunft auch ein massives Problem für die großen Wasserkraftwerke am Rhein werden.

Die wundersame Schrumpfung von 31 000 auf 490 ha Eignungsfläche

Wie war es überhaupt möglich, dass die windhöffigen Gebiete von 31 000 auf 490 ha schrumpfen konnten? Mit viel planungsrechtlichem Pathos und begründet durch vorhandene Restriktionen wurde mitgeteilt, dass man gezwungen war, sich auf diese wenigen Standorte zu beschränken. „Daran ist allein das vom GRÜNEN Minister Franz Untersteller geführte Umweltministerium schuld“, so Manfred Jüppner (CDU). Doch im Grunde verbirgt sich hinter diesen „Zwängen“ die politisch gewollte Ablehnungskultur in der Region gegen die Nutzung einer sinnvollen und vor allem regional verfügbaren Energiequelle.

Nach dem Motto: Abschalten der Schweizer Atomanlagen ja, und natürlich halten wir auch eine Energiewende für notwendig, doch die konkrete Gestaltung hier in der Region mit der Nutzung von Windenergie würde keinen Sinn machen. So wurden Ausschlussoptionen, die sich aus bestimmten Gebietskategorien ergeben (z. B. Naturschutz- und EU-NATURA 2000 Schutzgebiete) und auch weiche Faktoren wie Erholungs- und Ästhetikwirkungen bis an das Maximum des Interpretierbaren bemüht.

Der Rotmilan als Ablehnungsgrund

Man gewinnt den Eindruck, dass jede Grillhütte und jeder Hochsitz durch Abstandsregelungen von Windenergieanlagen geschützt werden müssen. Und dann das Faktum des überall brütenden Rotmilans: Kaum einer der Windenergiekritiker hätte vermutlich diesen schönen Greif noch vor wenigen Jahren am Himmel bestimmen oder dessen konkrete Lebensraumbedürfnisse beschreiben können, aber als gesetzlich möglicher Ablehnungsgrund für eine Windenergieanlage ist der Rotmilan zu einer der bekanntesten Vogelarten in Baden-Württemberg aufgestiegen. „Wer hat noch einen Rotmilan gesehen, um einen möglichen Windpark auf unserer Gemarkung zu verhindern“, heißt die Devise.

Dass an großen Windkraftanlagen (WEAs) vor allem Greifvögel tödlich verletzt werden können, ist unbestritten. Gleichzeitig zeigen aber Studien zum Vorkommen des Rotmilans in Rheinland-Pfalz und in Brandenburg, Ländern mit schon sehr hohen Zahlen an WEAs, dass sich der Rotmilan dort sogar ausbreitet und sich die Bestandszahlen erhöhen. Es gibt wohl Lerneffekte bei diesen intelligenten Greifen, und der Rotmilan ist anscheinend auch ein Profiteur vom Klimawandel, denn die milderen Winter garantieren bessere Beute bei den Mäusen, der für ihn wichtigsten Nahrungsquelle. Und es kann als bewiesen gelten, dass die drastischen Rückgänge, die es bei vielen Kleinvogelarten und vor allem bei Fledermäusen gibt, vor allem auf die Folgen intensivster Landwirtschaft und dem damit verbunden Verlust von 80 bis 90% an Insektenbiomasse zurückgeht. Windenergieanlagen haben einen zu vernachlässigenden Anteil an diesen Rückgangszahlen.

An sieben Standorten sind jetzt noch WEAs in der Region möglich und auch dazu gab es Stimmen von den Vertretern im Regionalverband, dass dies noch zu viel seien. Und in der Tat wird die konkrete Umsetzung zeigen, dass es vermutlich nur an vier Standorten WEAs geben wird, dazu zählen die bereits erwähnten drei Windräder von Verenafohren und drei Standorte im Landkreis Lörrach; dazu gehört auch der kleine Windpark am Rohrenkopf bei Schofpheim-Gersbach mit fünf WEAs, der vor kurzem in Betrieb ging.

10% des Stroms aus heimischer Windkraft ist damit unerreichbar

Bleibt es beim bisherigen Energiekonsum, müssen zwischen Hochrhein und Bodensee noch 87% unseres Energiebedarfs in den kommenden Jahrzehnten durch erneuerbare Energieträger ersetzt werden, wenn die Region ihren Verpflichtungsanteil zur Umsetzung des Klimavertrages von Paris verantwortlich übernimmt. Doch der Schwung ist raus und im Augenblick sieht es nicht danach aus, dass sich an diesem geringen Gestaltungswillen bald etwas ändern wird. So ist auch das Ziel der Landesregierung, bis 2020 mindestens 10% des Stroms aus heimischer Windkraft zu decken, schon jetzt unerreichbar.

Und auch in anderen für die Energiewende entscheidenden Sektoren, einem effizienteren und sparsameren Umgang mit Energie, gibt es weder vom Regionalverband und schon gar nicht von den beteiligten Landkreisen getragene Strategien. So zeigen die Energiekenndaten zum Verbrauch in der Region keine Bewegungen – dieser nimmt in manchen Sektoren, wie im Verkehrsbereich, sogar zu. Man könnte auch zynisch konstatieren: Die Energiewende haben andere beschlossen, sollen die sich doch auch um die Umsetzung kümmern und die Rechnungen für die Folgen des Klimawandels, für Hagel, Überschwemmungen oder frühe Forstschäden in den Obst- und Weinkulturen bezahlen – dafür gibt es Versicherungspolicen oder wir fordern von den Politikern ganz einfach welche.

Fritz Murr

HTWG KOMPETENZZENTRUM ENERGIEWENDE (2016): Monitor Energiewende im Landkreis Konstanz, http://www.energiewende.htwg-konstanz.de/index.php?eID=tx_nawsecuredl&u=0&g=0&t=1501661866&hash=e9c670c79e781e3425ce4b7337fb1d61f2e81e9a&file=fileadmin/media/iqf_ew/downloads/Dokumente/Monitor_2016_v1.2_web.pdf
UMMWELTMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG (2015): Jahresbericht Erneuerbare Energien 2015, https://um.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-um/intern/Dateien/Dokumente/2_Presse_und_Service/Publikationen/Energie/Erneuerbare_Energien_2015.pdf
UMWELTMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG (2016): Erneuerbare Energien 2016, https://um.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-um/intern/Dateien/Dokumente/2_Presse_und_Service/Publikationen/Energie/Erneuerbare_Energien_2016_erste_Abschaetzung.pdf