Billiger PR-Bluff: Doch kein Insektensterben?
Mit Neonicotinoiden wie Fipronil, das gegenwärtig durch die Schlagzeilen geistert, Glyphosat und anderen Giften machen Konzerne wie Bayer, Monsanto und Syngenta ungemein satte Gewinne – die Debatte um das Insektensterben gefährdet diese Gewinne massiv. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die PR-Abteilungen der Agrochemie-Multis zur Gegenoffensive blasen. Aber deren Kampagne läuft verdeckt ab und auch die Akteure halten sich bedeckt.
Der BUND und die Naturschutzverbände warnen seit vielen Jahren und jetzt bestätigt auch das Bundesumweltministerium das große Insektensterben in Deutschland. Entomologen und Naturinteressierte beobachteten binnen weniger Jahre einen erheblichen Rückgang zahlreicher Insektenarten und insektenfressender Wirbeltiere. Dieses Insektensterben ist von großer Tragweite für die Ökosysteme, die Biodiversität und die Landwirtschaft in unserem Land und ein wichtiger Grund für das Vogelsterben.
Ursachen für Insektensterben, Schmetterlingssterben und das damit verbundene Vogelsterben gibt es viele. Wiesen wurden umgebrochen und aus bunten Blumenwiesen wird zunehmend monotones, artenarmes, gedüngtes Einheitsgrün, das immer häufiger im Jahr gemäht wird. Wo früher eine artenreiche Acker-, Wiesen- und Streuobstlandschaft war, steht heute fast überall giftgeduschter Mais. Viele der in der Landwirtschaft eingesetzten Spritzmittel und Gifte (Neonicotinoide/ Glyphosat …) sind ein Grund für den massiven Rückgang der Artenvielfalt auf Ackerböden und in deren Umgebung.
Agenturen managen den Protest
Die professionelle, industriegelenkte Leugnung von Umweltgefahren hat eine lange Tradition, nicht nur in Deutschland. Wir erinnern an die jahrzehntelang herunter gespielten Gefahren von Asbest, Zigaretten, Atomkraftwerken, Dieselabgasen, Holzschutzmitteln und des menschengemachten Klimawandels. Die jetzt langsam beginnende Gegendebatte zum Thema Insektensterben erinnert an den Beginn der Debatte der Klimawandelleugner und auch an deren Strategien.
Eine kritische Debatte zum Insektensterben wird auch vom BUND und der Umweltbewegung gewünscht. Die Einführung eines industrieunabhängigen Langzeit-Monitorings für Insekten und weitere gründliche Untersuchungen fordert zum Beispiel der „Offene Brief der Umweltbewegung“. Ein positives Beispiel für konstruktive Kritik liefert Tina Baier in der „Süddeutschen“ vom 22.7. Sie kritisiert zu Recht die Verallgemeinerung einer einzigen Studie auf den Rest der Republik. Leider erwähnt sie die vielen anderen Studien nicht, die wir auszugsweise unter diesem Text verlinkt haben. So schrieb die Europäische Umweltagentur 2013 in ihrem Bericht: (EEA) „Zwischen 1990 und 2011 brach die Population von 17 in der EU verbreiteten Schmetterlingsarten um rund die Hälfte ein“.
Der dreimal mit dem deutschen PR-Preis ausgezeichnete ehemalige FDP-Kandidat für die Europawahl, Hasso Mansfeld, machte im Sommer 2017 den Aufschlag für die Gegenkampagne. Der Text des „Medienprofis Mansfeld“, der schon im Titel mit einer gezielt platzierten Verschwörungstheorie beginnt, erinnert an Strategien der Klimawandelleugner:
► Rufe Zweifel am Thema und an Studien hervor.
► Stelle die Motive und die Integrität von Aktiven und WissenschaftlerInnen in Frage.
Herr Mansfeld bezweifelt die Übertragbarkeit einer wichtigen Studie zum Insektensterben aus Nordrhein-Westfalen auf den Rest der Bundesrepublik und schreibt vom „Angeblichen Insektenschwund“. Dass der massive bundesweite Rückgang der Insekten aktuell von immer mehr unabhängigen Insektenforschern bestätigt wird, verschweigt er. Die bundesweit „saubere Windschutzscheibe“ ist kein wissenschaftlicher Beweis, wohl aber ein wichtiges, zusätzliches Indiz für das ökologische Problem. Der PR-Text von Herrn Mansfeld wurde auch vom baden-württembergischen Agrochemie-Lobbyisten und Landwirtschaftsminister Hauk über die sozialen Medien verbreitet.
Die Agrochemie-Multis schicken in Krisensituationen gerne den Bauernverband nach vorne (Was häufig dazu führt, dass die Landwirte stellvertretend für die Industrie den Ärger bekommen.). Der Deutsche Bauernverband sieht in einer Presseerklärung vom 17.7. das Thema „Insektensterben in einer Wolke der Unwissenheit“ und sagt zurecht: „Der Lebensraum von Insekten und anderen Tieren gehe überall dort verloren, wo Felder, Wiesen, Weiden und Wälder unter Asphalt und Beton verschwinden, derzeit immer noch 66 Hektar täglich“.
Debatte auf Nebenschauplätzen
Der Bauernverband verwendet hier ähnliche Strategien wie die frühen, industriegelenkten Klimawandelskeptiker. Es geht darum, Zweifel an den Grundaussagen zu erzeugen („Insektensterben in einer Wolke der Unwissenheit“). Vom Problem der industrialisierten Landwirtschaft und der Neonicotinoide wird abgelenkt und die Debatte auf Nebenschauplätze (Flächenverbrauch) gelenkt.
Der Flächenverbrauch ist tatsächlich ein großes, wichtiges Umwelt- und Naturschutzthema. An den Ursachen des Insektensterbens hat der Flächenverbrauch allerdings nur einen kleinen Anteil. Die vom Bauernverband gelobten Blühstreifen und artenreichen Feldränder sind schön und nutzen tatsächlich der Pflanzenwelt. Sie sind allerdings wegen der Gifte auf den direkt daneben liegenden Äckern sehr insektenarm. Jörg-Uwe Meineke, Schmetterlingsexperte und ehemaliger Leiter des Referats für Naturschutz und Landschaftspflege im Regierungspräsidium Freiburg, sagt, dass die Fernwirkung der Agrargifte selbst in Naturschutzgebiete hinein wirkt und dort Insekten gefährdet.
Die Krisenkommunikation der Konzerne in Sachen Insektensterben stehen noch ganz am Anfang. Nach den schrecklich gut gemachten Leugnungskampagnen der Gefahren von Asbest, Zigaretten, Atomkraftwerken und des menschengemachten Klimawandels müssen wir mit intensiver PR-Arbeit rechnen. Beim Bienensterben ist es der Industrie mit viel PR-Aufwand und Geld gelungen, einen wichtigen Randaspekt des Problems, die Varroamilbe, zum Hauptproblem zu erklären.
Die Agrochemie-Lobby wird versuchen, Studien zum Insektensterben zu finanzieren und zu beeinflussen, KritikerInnen anzugreifen und wie bei Tabak und Co. werden sich auch WissenschaftlerInnen finden, die im Sinne der Industrie argumentieren. Nicht nur bei Asbest und Tabak haben solche Strategien die Verbote jahrelang verhindert. Es ist erschreckend, dass dies weder für die Medien noch für die Umweltbewegung bisher ein Thema war.
Gerade die Umweltbewegung hat im großen Themenbereich Insektensterben noch viele offene Fragen. Wir wollen aber eine wissenschaftlich-kontroverse Debatte, die nicht von ökonomischen Interessen und von einem Interesse an einer Zeitverzögerung gelenkt wird. Wohin ökonomisch gelenkte Debatten und eine von wirtschaftlichen Interessen gesteuerte Politik führen, sehen wir aktuell beim Dieselskandal.
Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer
Eine umfassende Hintergrundinformation über das Insektensterben/Schmetterlingssterben mit einer Vielzahl von Quellen finden Sie hier, einen offenen Brief besorgter Entomologen und Umweltverbände hier.
Dass wir eine etwas andere Landwirtschaft benötigen sollte längst allen klar sein. Randstreifenprogramme etc. und andere „Feigenblätter“ sind irreführend.
Wenn ich meinen Bienen (ich bin Imker, http://www.einfachbienenhalten.de) etwas Gutes tun will, dann bringe ich sie in die Stadt, wo dauerhaft was blüht. Vielleicht gilt auch für sie: „Stadtluft macht frei“.
Wir brauchen eine Landwirtschaft, die die Ressourcen nachhaltig pflegt und langfristig bereitstellt und sie nicht zerstört.
Wir brauchen auf 100 % der landwirtschaftlichen Fläche das Prinzip „Umkehr“ und nicht kleine Korrekturen hier und da zur Beruhigung des Gewissens.
Würde man auf die Lebensmittel aus konventioneller Landwirtschaft die ökologischen Folgekosten draufschlagen (demnächst bekommen wir eh die Rechnung serviert, wenn mit hohem technischen Aufwand die Nitratbelastung des Trinkwassers reduziert werden muss) hätten sie einen ehrlichen Preis und könnten mit denen aus BIO-Landwirtschaft (locker) konkurrieren.
Das wäre echte Marktwirtschaft, die doch sonst so unantastbar ist.
Noch ein weiterer lesenswerter Artikel in der Beilage der Tageszeitung „junge welt“ vom 09.08.2017 zum Thema Glyphosat. Hier ist der Link dazu:
https://www.jungewelt.de/beilage/art/315474
Vielen Dank für diesen interessanten und wichtigen Artikel! Kleine Anekdote: Ich bin in einem kleinen Hegaudorf aufgewachsen, umgeben von Natur. Im elterlichen Garten stand ein großer Sommerflieder – zugegeben ein Neophyt, aber dennoch Nahrungsquelle für zahlreiche Insekten. Und die kamen auch zahlreich, vor allem Schmetterlinge. Kaum eine Blütenrispe, die nicht von Schwalbenschwanz, Tagpfauenaauge, Kleiner Fuchs, Distelfalter, Admiral, diversen Perlmutterfaltern und vielen mehr bevölkert wurden. Das war in den 1980er- und frühen 90er-Jahren. Und heute? Wo sind die Falter geblieben? Ein paar verirren sich zwar noch in den Dörfern der Region in die Gärten (in den Städten wohl kaum mehr), die Artenvielfalt ist aber verschwunden.
Als Naturliebhaber und Insektenkenner kann ich die Beobachtungen des Autors nur voll und ganz unterstreichen. Es wird viel zu viel gemäht und auf Monokultur gesetzt. Angeblich werden die Kühe und Rinder durch Futterklee – einer der am meisten bäuerlich angebauten Nutzpflanzen auf den von Blumen freigeräumten Wiesen – immer fetter, für die heimische Insektenfauna gibt´s auf den eintönigen Grünflächen aber kaum mehr etwas zu holen. Da bringen auch einzelne, brach liegen gelassene Naturinseln nicht mehr viel – Insekten haben einen viel größeren Radius. Zum Trost und kleinen Ausgleich lege ich in unserem Garten in Scherzingen viel Wert auf Naturnähe: So habe ich erst kürzlich wieder mal einen Schwalbenschwanz entdeckt, eine wunderschöne Zebraspinne hat ihr Radnetz aufgespannt, am Teich treiben Libellen ihr Unwesen, im Teich tummeln sich mindestens zwei Frösche und die Blindschleichen und Igel vertilgen die lästigen Nacktschnecken. Noch ist nicht alles verloren, wir müssen nur ALLE etwas dafür tun. Und vor allem weniger mähen und Gifte versträuen!!!
Damit gezielt gestreute Fake-News oder Desinformation sich durch die Aufklärung nicht noch stärker in den Köpfen festsetzt, ist es wichtig in den Überschriften nicht die falsche These zu verwenden, da oft nur Überschriften gelesen werden. Vielleicht also besser in solchen oder ähnlichen Artikeln eine Überschrift in der Art „Verharmlosung des Insektensterbens durch PR Bluff“ wählen? Hier klingt es zudem so, als ob die Behauptung des Insektensterbens der eigentliche PR-Bluff wäre.
Guter Artikel zu dem Thema:
https://www.heise.de/ct/ausgabe/2017-16-Wie-Fake-News-entstehen-und-warum-sie-eine-Gefahr-darstellen-3775058.html
„Zudem machen viele Richtigstellungen den Fehler, die falsche Nachricht noch mal zu zitieren. Das verankert diese aber wieder in den Köpfen der Betrachter“
Ob aller vermeintlichen Ohnmacht gegenüber nebulösen Lobbyisten, geheimnisvollen Verschwörern und sonstiger Snokes und Smaugs – das Schöne bei der Sache ist, dass jeder von uns ohne viel Aufwand was kleines beitragen kann, um Artenvielfalt zu fördern.
Egal ob Mieter, Häuschenbesitzer oder Großgrundbuddler, egal ob Fensterbrett-, Balkon- oder Schrebergartenbesitzer.
Hier ein paar schnelle Anregungen dazu:
https://utopia.de/ratgeber/insektensterben-tipps-helfen/?utm_source=Utopia+Newsletter&utm_campaign=3f1f108527-Newsletter_Mo_17KW32&utm_medium=email&utm_term=0_b26f88423e-3f1f108527-261656721
Und: das ganze macht nicht nur Sinn, sondern vor allem mächtig Spaß.