Konstanz legt Köder für Immobilien-Investoren aus
Friedhelm Schaal, Leiter der Konstanzer Wirtschaftsförderung, ist wieder mal auf Tour: Auf der EXPO REAL in München, einer Fachmesse der Immobilienbranche, ist Schaal, Großmeister oft leerer Versprechungen (Kompetenzzentrum oder Bodenseeforum) ab heute mit einem Stand präsent. Dort, so kann man in einer Pressemitteilung lesen, preist er die Vorzüge der Stadt an: „Für ausländische Investoren in deutschen Städten zwischen 50 000 und 200 000 Einwohnern ist Konstanz bereits die beliebteste Stadt“. Grund genug für unseren Kommentator, kritisch nachzufragen.
Irgendwie schien mit dieser Presseaussendung wieder einmal ein Projekt umschrieben, bei dem ich mich fragte, ob man die Gesellschaft von Konstanz überhaupt mitnimmt in Zeiten, in denen wir uns mehr denn je Gedanken darüber machen, in welche Richtung sich unsere Stadt eigentlich entwickeln soll. Die „Vierländerregion“ bietet sich in der bayerischen Hauptstadt auf einer großen Messe dar – und Konstanz ist mittendrin im Werben um neue Investoren für sich, für die „Gründerstadt“ am See, zwischen Deutschland, Schweiz, Österreich und Liechtenstein, die attraktiv gemacht werden soll für Firmen diesseits und jenseits der Grenze, doch niemand interessiert sich dafür, ob hinter diesem Stand B1.023 auf der EXPO REAL in München auch die Menschen mit ihren Meinungen von der Zukunft Konstanz‘ stehen, wenn die Wirtschaftsförderer der Stadt sich sichtbar Mühe geben, neue Interessenten zu finden, die Geld in die Kassen bringen.
Wo will Konstanz hin?
Ja, natürlich können wir uns nun alle aufmachen und reisen gemeinsam zur Messe, um uns dort mit den Verantwortlichen zu unterhalten, wie wir das eigentlich sehen, als die einfachen Bürger. Doch warum vermisse ich eine Diskussion hier vor Ort, die wir parallel zu den Bemühungen der Marketingstrategen führen, die Konstanz in ein rechtes Licht rücken wollen bei den Unternehmen in der Welt? Eine Debatte darüber, ob Konstanz das eigentlich will, ob es allein um jene werben möchte, die uns wirtschaftlich stark machen, sozial aber nicht immer weiterbringen. Wir beschäftigen uns oft mit Einzelfragen, ob wir ein Gebäude an der Straße XY haben möchten, ob eine Straße nun links oder rechts Parkplätze aufweisen oder ob ein Quartier eher mehr oder weniger Wohnungen für junge Familien mit sich bringen sollte. Aber haben wir uns auch schon genügend Gedanken darüber gemacht, wo Konstanz in seiner Gesamtheit hin möchte? Wirtschaftsstandort, Stadt der kulturellen und sozialen Vielfalt, Touristenziel, Wissenschaftshochburg, Zentrum für Immobilienhaie – oder alles zusammen?
In Konkurrenz zum Wohnraum
Wir werben auf einer Fachmesse um neue Investoren, vor allem für den wirtschaftlichen Bereich. Und das ist einerseits auch richtig so. Denn Konstanz wird sich zukünftig nicht mehr allein auf den Tourismus verlassen können, wenn es darum geht, die ökonomische Vielfalt in der größten Stadt am See abzubilden. Da braucht es Innovationen, für die der Hochschulstandort und ein Zentrum für neue Technologien auch bekannt ist. Aber wenn wir nun um neue Firmen ringen, die sich in Konstanz niederlassen sollen, vor allem auch um kleinere Unternehmen und Gewerbetreibende, die dem Platzmangel angemessen nicht den Raum benötigen, den große Betriebe für einen funktionierenden Standort bräuchten – treten wir dann nicht in Konkurrenz um Wohnraum, um nötige Flächen für Menschen, die auch irgendwo leben müssen, gerade auch dann, wenn wir ihnen zur Fahrt ins neue Großraumbüro nach Konstanz keine ewig langen Fahrten zumuten möchten?
Die Blase droht zu platzen
Ja, wir haben verschiedenste Handlungsprogramme und somit unterschiedliche Kochfelder, auf denen wir gleichzeitig arbeiten. Doch köchelt es dort auch ausgewogen? Oder droht nicht vielleicht der Topf, in dem wir uns nun um die wirtschaftliche Zukunft von Konstanz bemühen, überzulaufen, weil wir vor Begeisterung über unsere Innovationskraft aus den Augen verlieren, dass es noch immer die Wohnraumsituation ist, die Konstanz nicht nur zu spalten droht, sondern die gar unser Wachstum generell verhindern und uns abschotten könnte von der Außenwelt, die zu Recht aufgrund der guten Standortbedingungen an den Bodensee drängt? Und wie steht es um den Dampfdruck aus, der uns die in die Höhe schießenden Mieten, den unendlich steigenden Bedarf, das viel zu geringe Angebot und die wachsende Blase am Immobilienmarkt um die Ohren zu hauen droht?
Ich fürchte, dass mit dem Engagement auf der EXPO REAL wiederum ausländische Investoren nach Konstanz gelockt werden, die die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht einfacher machen. Darum stellt sich auch hier die Frage, wie sich Konstanz definieren will: Als ein Mekka mit vergleichsweise niedrigen Mieten für die, die es sich leisten können – ob nun auf dem Markt für Immobilien, die später einmal als Wohnung genutzt werden für Schöne und Reiche aus dem In- und Ausland, oder eben auf dem, der Gewerberäume für jene zur Verfügung stellt, welche im Wettbewerb mit hiesigen Mietern aufgrund ihres Geldbeutels nur gewinnen können? Wollen wir Spitzenreiter in den Außenstellen von auswärtigen Investoren werden, die Konstanz für sich vereinnahmen und damit abkapseln vom Angebot für Betriebe aus der Region?
Ist Konstanz noch meine Stadt?
Und ringen wir tatsächlich genug um das Miteinander zwischen Wohn- und Gewerberaum, wenn wir uns derart prominent und überzeugt auf einer Messe präsentieren, die laut Pressemitteilung „die Gelegenheit [bietet], die Kontakte mit Investoren, Projektentwicklern, Immobilienmaklern und Expansionsabteilungen weiter zu vertiefen und neue Interessenten für Konstanz als Investitionsstandort zu gewinnen“? Und wie authentisch klingen Worte, die schwärmen „vom großen Kultur- und Freizeitangebot und hohen Gästezahlen, über die sehr gute Arbeits- und Lebensqualität sowie zwei angesehenen Hochschulen, die Nachwuchskräfte fördern“, wenn wir doch eigentlich wissen, dass es in Konstanz rumort. Zwischen denen, die sich abgehängt fühlen von einer prosperierenden Gesellschaft, die im Wohlhaben schwelgt und vor Ort mehr denn je darstellt, wie Vermögen über das Bild einer Stadt schon heute bestimmen kann. Und denen, die sich fragen, ob Konstanz noch „ihre“ Stadt ist, wenn sie überrannt wird als Touristenhochburg und Einkaufszentrum, das sich mittlerweile mehr nach seinen Gästen als nach der eigenen Bevölkerung zu orientieren scheint.
„Konstanz gilt als das Zentrum dieser dynamischen, stark wachsenden Zukunftsregion“, so verheißt es die Pressemitteilung zur Präsenz der Stadt auf der EXPO REAL. Doch wohin wachsen wir? Und wollen wir überhaupt so weiterwachsen, wie es in den vergangenen Jahren geschehen ist? Solche Fragen blenden wir gerne aus, denn sie könnten gerade in Zeiten, in denen sich der Wutbürger an den Urnen deutlich Ausdruck verliehen hat und Wahlergebnisse eine Schere zeigen, die gerade für Konstanz soziale Sprengkraft mit sich bringt, unangenehm werden, wenn sie von denen beantwortet werden sollen, die seit jeher hier leben oder wissen möchten, ob sie jemals die Chance haben dürften, sich am Bodensee niederzulassen. Denn auch wenn wir den „Campus Konstanz“, „Petershausen West“ oder das „Stromeyersdorf“ auf der Messe als „konkrete gewerbliche Projekte“ vorstellen, so schwingt doch mein Unmut mit, nur eine Seite der Medaille zu sehen, nur eine Perspektive für Konstanz, an dem gerade viele Interessen nagen …
Stand B1.023 ist keine Lösung
Nein, man möge mich nicht falsch verstehen. Ich spreche mich nicht gegen den Wirtschaftsstandort Konstanz aus. Ich habe auch nichts gegen jene, die hier verantwortungsvoll Ökonomie leben möchten. Und auch nicht gegen jene, die ethisch verantwortbar wohnen wollen. Aber ich bin dafür, Politik und Public Relations nicht vorbei an den Menschen zu betreiben. Sich nicht das Stimmungsbild einzuholen, nicht zu hinterfragen, was Konstanz mit seinen Bewohnern denn möchte, das empfinde ich als fahrlässig – und befürworte viel eher, dass wir gemeinsam, unter Wahrung aller Belange, Notwendigkeiten und Zwänge, im Diskurs und in einem Verhandeln zu einem Weg finden, wie wir Konstanz zu einer lebenswerten Stadt machen und sie bleiben können.
Kommunizieren wir nicht nur mit Investoren, sondern auch mit Bürgern. Werben wir bei ihnen für die besten Lösungen – und hinterfragen wir manches Mal auch, wie derart isolierte Maßnahmen wie Stand B1.023 bei den Menschen vor Ort ankommen mag, bei denen, die momentan damit zu kämpfen haben, ihre nächste Miete zusammenzukratzen.
Dennis Riehle
Herr Riehle,
es hat mit Starrsinnigkeit nichts zu tun, die Dinge beim Namen zu nennen. So kenne ich nichts asozialeres als die Marktwirtschaft und ihre Entwicklung innerhalb der letzten 25 Jahre. Wenn Sie mir überzeugend darlegen können, wie Zügel an der Marktwirtschaft funktionieren, warte ich mit Zustimmung zu Ihrer Haltung nicht bis zum Jüngsten Tag. Nehmen wir die Bankenregulierung bspw. Und flugs sind wir bei der Erkenntnis, daß der Markt die Kontrolle über die Politik ausübt.
Mit dem Attribut „sozial“ ist übrigens schon Hugenberg, Wegbereiter Hitlers, hausieren gegangen. Daß sich die Kanzlerin nicht entblödet, fast wörtlich diesen Schmonzenz zu wiederholen, ist für denkende Menschen wohl selbsterklärend.
Eine Wirtschaftsform, die demokratisch ist und den Menschen dient, kann m.M.n. nicht aus den altbekannten Wurzeln entstehen. Daß es dazu mehr bedarf als zu kritisieren, ist mir bewußt. Ein Anfang kann aber darin bestehen, beschönigende Floskeln beiseite zu schieben. So gesehen, darf Herr Schaal gerne den Ausverkauf von Konstanz vorantreiben. Er darf sich nur nicht wundern, wenn Ross und Reiter genannt werden.
Sehr geehrter Herr Stribl,
ich habe mir das Zitat noch einmal angesehen, ich denke, es spricht für sich selbst und seine Ironie, die es im damaligen Kontext zu FDP und Grünen wiedergab.
Ja, ich bin zweifelsfrei ein Anhänger einer Marktwirtschaft, aber einer tatsächlich sozialen Marktwirtschaft. Eine Marktwirtschaft, die sich einbettet in eine Gesellschaft, die den Bürger berücksichtigt, die die Augen nicht vor den Konsequenzen verschließt, die sie bei Zügellosigkeit anrichtet. Marktwirtschaft, der man gnadenlos die Grenzen aufzeigt, die man überall dort reguliert, wo es nötig ist, die man zum Wohle der Menschen aber sich gleichsam entwickeln lässt, wo es möglich bleibt.
Zwischen Kapitalismus und sozialer Marktwirtschaft gibt es in meinem Verständnis im Übrigen einen himmelweiten Unterschied.
Vereinnahmen will ich aber ohnehin niemanden, da haben Sie mich damals wie heute falsch verstanden – denn dazu bin ich viel zu dankbar für die Demokratie, in der wir leben, und in der wir alle unterschiedlicher Meinung sein dürfen.
Im Übrigen glaube ich durchaus, dass durch unterschiedliche meiner Texte bereits deutlich wurde, dass ich weder schwarz noch weiß sehe und male – und dass es nichts mit Widersprüchlichkeit zu tun hat, wenn man im Rahmen seiner Haltung verschiedene Perspektiven einnimmt. Also kein „Hü und Hott“, aber auch nicht der Wunsch, starrsinnig zu werden…
Beste Grüße
Dennis Riehle
Werter Dennis Riehle, so ganz komme ich bei Ihren Verrenkungen nicht mit. Noch vor gar nicht so langer Zeit formulierten Sie auf dieser Webseite „Obwohl wir ja alle Anhänger der Marktwirtschaft sind…“ und bereits da reizte es mich, dem zu widersprechen. Eine Vereinnahmung gerade für den Kapitalismus, um nichts anderes geht es ja, lehne ich für meine Person ab.
Nun beschreibt die Marktdiktatur in München eine Pirouette, und nun ist Ihnen das dann doch wieder nicht recht.
Hier ein Teil meiner damaligen Überlegungen zu Ihren Äußerungen:
Nein, Marktwirtschaft
– tötet
– ist asozial
– bringt nur Typen wie Soros, Chodorkowsky, Blankfein oder Buffett tatsächlich weiter
– plündert die Ressourcen des Planeten rücksichtslos aus.
Dazu stehe ich damals wie heute.