Moschee: Vom Versuch einer Annäherung
Letzte Woche öffnete die Konstanzer Mevlana Moschee zum Abschluss der Interkulturellen Wochen ihre Türen für die interessierte Allgemeinheit. Motto: „Gute Nachbarschaft – Bessere Gesellschaft“. Die Situation in der Türkei wirft seit einiger Zeit viele Fragen auf, die auch für Konstanz von Belang sind. Wie beurteilen unsere türkischstämmigen MitbürgerInnen die Vorgänge in ihrer Heimat? Sind sie bereit, auch auf Kritik einzugehen und einen interkulturellen Dialog in Gang zu setzen? Kurzprotokoll eines Ortstermins.
Mildes Sommerlicht bescheint die Konstanzer Moschee an der Reichenauerstraße. Viele BesucherInnen sitzen draußen, an den Ständen werden allerlei kulinarische Leckereien zubereitet, die Kinder bekommen Süßigkeiten. Vordergründig ein Bild harmonischen Zusammenlebens, wie man es von einem guten Nachbarn auch erwarten darf.
Einen Stock darüber, im prächtigen Gebetsraum, finden stündliche Führungen statt. Junge Frauen der Moschee-Gemeinde erklären den Besuchern, was hier vor sich geht, wann und unter welchen Mühen ihr Gotteshaus gebaut wurde und wie hier die hiesigen Muslime ihren religiösen Alltag praktizieren. Überaus freundlich werden diverse Fragen zu Glaubensinhalten beantwortet und man wähnt sich an einem Ort, der friedlicher und beschaulicher kaum sein könnte.
Die Stimmung kippt aber sofort, als der versuchte Meinungsaustausch auf die aktuellen Verhältnisse in der Türkei zu sprechen kommt. Die Gesichtszüge der Moschee-Führerin verhärten sich umgehend. Alle Fragen werden rigoros und mit aggressivem Unterton abgeblockt oder mit Gegenfragen beschieden. Verstöße gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, inhaftierte Journalistinnen in türkischen Gefängnissen? „Schauen Sie doch mal Richtung China, Russland oder sonstwohin, darüber sollten Sie berichten. Sie schreiben doch nur negativ über unsere Moschee, um die Klickzahlen auf seemoz zu erhöhen“.
Außerdem: Wer sich in der Türkei wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen schuldig gemacht habe, müsse eben mit „dementsprechenden Konsequenzen“ rechnen. Aber vergleichbar mit Deutschland geschehe das alles „im Rahmen rechtsstaatlicher und demokratischer Verfahren“. Auch die Verbindungen des Dachverbands Ditib mit dem türkischen Religionsministerium Diyanet, das wiederum unter dem direkten Einfluss und der Kontrolle Erdogans steht, werden abgebügelt. „Wir sind in jeder Hinsicht völlig eigenständig und können uns sogar die Texte für die jeweiligen Freitagsgebete selber aussuchen“. Dazu der mehrmals vorgetragene Hinweis, dass man mit Politik „grundsätzlich nichts zu tun“ habe und die Konstanzer Mevlana Moschee einzig und allein ein Ort der Religionsausübung sei.
Ein weiterer und auch letzter Versuch, verbunden mit der Frage nach einer Einschätzung über die von türkischen Verbänden unabhängige und liberale Moscheebewegung, die sich seit einiger Zeit hierzulande zu Wort meldet, läuft ebenfalls ins Leere. „Wir sind völlig liberal, liberaler geht es kaum“. Schließlich mischt sich noch ein restlos aufgebrachter junger Deutscher ein, auf dessen T-Shirt arabische Schriftzeichen prangen. „Wer so fragt wie Sie, dem fehlt jeglicher Respekt vor Religionen und eine gute Kinderstube haben Sie wohl auch nicht genossen“.
H. Reile
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„Und wann sonst als an einem „Tag der offenen Tür“ in den Moscheen haben wir die Gelegenheit, mit den Mitbürgern aus der Türkei ins Gespräch darüber zu kommen, was in ihrem Land geschieht?“ – Bei mehreren Tausend Menschen in Konstanz, die türkischer Herkunft sind, bieten sich solche Gelegenheiten jeden Tag.
Den Wunsch nach einer offiziösen Stellungnahme kann ich nicht verstehen. Mich vertritt weder MdB Andreas Jung noch Landrat Hämmerle noch Ministerpräsident Kretschmann. Man darf diese Herren gern nach ihrer Meinung zu einem Thema fragen, aber es ist und bleibt ihre Meinung – falls sie eine haben – und sie vertreten nichts außer sich selbst.
Aus diesem Grund ist jede Meinung jedes Menschen, der türkische Wurzeln hat, gleich viel wert, denn auch er vertritt nur sich selbst. Dass man beim Fragestellen je nach Methodik und Situation andere Ergebnisse bekommt, ist klar. Wenn meine Fragen Vorwurfcharakter haben, lösen sie einen Verteidigungsreflex aus. Ich habe Anfang der 90-er Jahre mal eine eindrückliche Erfahrung mit einem türkischen Vortragenden an der Uni Konstanz gemacht. Er sprach damals über die Türkei als Brücke ins turksprachige Zentralasien. Ich fragte ihn dann, ob er nicht seine Kontakte nutzen könnte, um sich für inhaftierte Oppositionelle in Usbekistan einzusetzen. Darauf kam die überraschende Antwort, man müsse erst mal bei sich zu Hause nach dem Rechten sehen, bevor man anderswo interveniere. Er gab also direkt zu, dass es mit der Menschenrechtslage in der Türkei so schlecht bestellt sei, dass er vor diesem Hintergrund nicht anderswo etwas einfordern wollte, was in seinem Land nicht verwirklicht war. So eine ehrliche Antwort hätte ich nie erhalten, wenn ich ihn direkt auf die Menschenrechtslage in der Türkei angesprochen hätte. Dann hätte ich das zu hören bekommen, was Herr Reile gehört hat: Nämlich die Terroristen, und das böse Ausland, das sie unterstützt, und Europa redet eh mit zwei Zungen (was ja stimmt) und legt zweierlei Maßstäbe an die Polizei an (was auch stimmt, siehe Stuttgart 21) usw. Wenn wir wissen wollen, was die Moschee in Konstanz für Funktionen hat, müssen wir uns natürlich die DITIB anschauen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Moschee genauso von Algeriern, Sudanesen oder Afghanen besucht wird. Und genauso wenig, wie wir von der Deutschen Bahn eine ehrliche Antwort über Stuttgart 21 erwarten dürfen, sollten wir von Vereinen wie DITIB ein kritisches Wort über Erdogan erwarten. Angesichts der massiven Säuberungen im Staatsapparat und der gewaltigen Prozesswelle gegen angebliche Anhänger von Fethullah Gülen würde jeder, der da abweicht, Gefahr laufen, seinen Job zu verlieren und hinter Gittern zu landen.
Ich habe Respekt vor Religionen, solange sie sich nicht von Politik beeinflussen lassen – und sich selbst wiederum nicht in Religionen einmischen. Wer zumindest den Anschein erweckt, sich über die Grenze der Trennung zwischen Staat und Religionsgemeinschaft zu wagen, der muss letztlich auch mit kritischen Fragen rechnen. Das hat nichts mit der Kinderstube, sondern mit einer weltoffenen Erziehung zu tun, die Anstand vor dem Glauben wahrt, aber keine falsche Toleranz übt.
Und wann sonst als an einem „Tag der offenen Tür“ in den Moscheen haben wir die Gelegenheit, mit den Mitbürgern aus der Türkei ins Gespräch darüber zu kommen, was in ihrem Land geschieht? „SeeMoZ“ hat wiederholt versucht, eine Stellungnahme einzuholen, doch hat sie nie bekommen. Und pauschale Antworten nach dem Liberalismus deuten doch darauf hin, dass man gar nicht näher auf das Thema eingehen möchte – und wohl doch sehr wohl darum weiß, dass man dazu etwas sagen könnte, wenn man wollte. Natürlich ist niemand dazu verpflichtet, sich zu äußern oder zu rechtfertigen. Doch dann darf sich auch niemand über wachsendes Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen beklagen.
Nein, es wäre falsch verstandener Respekt, wenn wir die Religion als Schutzwall anerkennen würden, der unser Gegenüber vor einer Auseinandersetzung mit dem, was im eigenen Herkunftsland passiert, bewahrt. Andersherum wäre die Erwartung sicher dieselbe, das zeigen die gegenseitigen Positionierungen der Politiker auf beiden Seiten. Gerade, weil viele Türken ihre Wurzeln zu Recht nicht verleugnen, müssen sie es auch hinnehmen, dass wir als Deutsche – die wir einerseits die Lage in der Türkei nur von außen einschätzen können (und daher interessiert sind, wie es jene wahrnehmen, die zumeist noch oft intensive Kontakte in ihre Heimat pflegen), die wir andererseits aber auch wissen möchten, welche Ideologien in unser Land getragen werden – Unklarheiten mit uns tragen, die wir gern ausräumen würden.
Wie soll Integration gelingen, wenn wir uns nicht einmal auf grundständige Werte wie Transparenz, Meinungsfreiheit und Ehrlichkeit einigen können – und uns stattdessen eher als „Schnüffler“ oder „Versteckspieler“ ansehen?
In Ehren aller kritischer Berichte bei Seemoz, gerade zur Türkei, sehe ich Ihr Vorgehen hier skeptisch. Zu Beginn Ihres Artikels beschreiben Sie Ihr Erkenntnisinteresse: „Wie beurteilen unsere türkischstämmigen MitbürgerInnen die Vorgänge in ihrer Heimat? “
Das Vorgehen am TdoT in die Moschee zu gehen und die Gästeführerin während der Führung zu befragen liefert leider keine Antwort auf Ihre Frage. Weder ist die Moschee, noch erst recht nicht die Gästeführerin eine institutionell abgesicherte Sprecherin aller türkischen Mitbürger*Innen.
„Die Stimmung kippt aber sofort, als der versuchte Meinungsaustausch auf die aktuellen Verhältnisse in der Türkei zu sprechen kommt. Die Gesichtszüge der Moschee-Führerin verhärten sich umgehend.“
Als langjähriger Gästeführer in den Städtischen Museen kann ich das absolut nachvollziehen. Wenn ich (als Beispiel) eine Führung über die NZ-Zeit im Museum halte und auf die aktuelle Diskussion um das Bodenseeforum angesprochen werde (ohne jeden Bezug zum Thema), so verweise ich auch deutlich darauf, dass dies nicht Gegenstand der Führung sei. Für gewöhnlich ist das Dutzend anderer interessierter Gäste auch schlagartig genervt von solchen Abschweifungen (dem von Ihnen genannten jungen Mann ging es da wohl ähnlich).
Die junge Dame, die gerade interessierten Konstanzer*Innen die Moschee zeigte, ist sicherlich nicht die richtige Ansprechpartnerin und der Tag der offnen Türe nicht der richtige Rahmen für kritische Nachfragen zu einem komplexen Thema wie diesem.
Falls eines Tages der Dekan des Münsters nicht auf Ihre Anfragen antwortet, werden Sie sich dann während einer Familienführung an die Gästeführer des Münsters wenden, um deren Position zu den krummen Geschäften der Vatikanbank oder Missbrauchsvorwürfen der Kirche zu erfragen? Oder (in einigen Jahren nach der Fertigstellung), mit einem Gemeindemitglied am Tag der offenen Synagoge kritisch die Politik Israels diskutieren? Beide Fälle wären methodisch genau so falsch.
Auch Ihr zweites Interesse: „Sind sie bereit, auch auf Kritik einzugehen und einen interkulturellen Dialog in Gang zu setzen?“ scheint mir so nicht beantwortbar zu sein. Die Überschneidung von Politik und Kultur ist in der empirischen Forschung schon schwer genug, bei einem Sampel von einer befragten Person de facto unmöglich.
Besonders zynisch finde ich Ihre Verwendung des Begriffes „Heimat“, den Sie hier ausschließlich exkludierend verwenden. Weder haben Sie im Artikel genannt (falls überhaupt erhoben), ob die von Ihnen angesprochene Person Migrationshintergrund oder Migrationserfahrung hat, ob diese (evtl. in zweiter oder dritter Generation* in Deutschland geboren und gut integriert) einen Bezug zur Türkei hat und erst Recht ob sie ihn als „Heimat“ empfindet.
Mit Ihrem Artikel unterstellen Sie allen türkischstämmigen Mitbürger*Innen unabhängig von der privaten Situation oder politischen Position eine Mitverantwortung an der Situation in der Türkei. Allen diesen Menschen die Türkei auch noch als „Heimat“ zu unterstellen ist mindestens drei Schritte rückwärts in der Integrationsleistung, die linke Strömungen eigentlich schon vor Jahrzehnten erbracht haben.
*{Nota: Mein Großvater ist Schlesier gewesen und ich würde seinen Geburtsort nicht auf Google Maps finden; so viel zum „Heimatbezug“ der dritten Generation…}