Versuch einer Reinwaschung 1. Klasse

Mit reichlich professoralem Dünkel versucht ein verrenteter Konstanzer Professor, seinen Kollegen reinzuwaschen: Das Buch „Anatomie einer Kampagne – Hans Robert Jauß und die Öffentlichkeit“ von Wolfgang Schuller ist ein um zwei Jahre verspäteter Versuch, die Kritik am berühmten Romanisten Jauß als böswilligen Rufmord zu entlarven. Doch der Skandal an der Konstanzer Universität wird allzu einseitig abgehandelt. Oder auch: Man merkt die Absicht und ist wieder mal verstimmt.

Zur Vorgeschichte: Der Konstanzer Rechtsanwalt und Autor Gerhard Zahner veröffentlichte 2014 das Stück „Die Liste der Unerwünschten“, das dann auch im Audimax der Universität Konstanz uraufgeführt wurde. Das Uni-Rektorat nahm das zum Anlaß, den Historiker Jens Westemeier um ein Gutachten zur NS-Verstrickung von Hans Robert Jauß zu bitten. Das 2015 veröffentlichte Gutachten belegte faktenreich die Nazi-Affinität des Waffen-SS-Offiziers Jauß, verneinte jedoch eine persönliche Beteiligung des Beschuldigten an Kriegsverbrechen.

Zum Vorwurf: Dies allerdings ist der zentrale Vorwurf von Schuller, der sich 200 Seiten lang daran abarbeitet, Zahner habe dem „über alles geschätzten Kollegen“ Jauß unterstellt, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Doch das ist gar nicht das Zentrale am Zahner-Stück: Der wirft dem jungen SS-Offizier viel mehr vor, für die Deportation französischer Freiwilliger ins KZ verantwortlich zu sein. Denn da gab es gut 8000 freiwillige Franzosen in den Reihen der Wehrmacht, die 1944 zwangsweise der Waffen-SS unterstellt wurden. Man schuf hierfür die Inspektion Charlemagne, geleitet von SS-General Gustav Kruckenberg. Sein Verbindungsoffizier war – Hans Robert Jauß. Die Aufgabe dieser Inspektion: Wer den Vorstellungen der Waffen–SS nicht entsprach, wurde ins Konzentrationslager Stutthof oder ins Arbeitslager geschickt; die entsprechenden Listen trugen die Überschrift „die Unerwünschten“, daher auch der Titel von Zahners Stück.

Frage: Ist die Deportation ins KZ ein Kriegsverbrechen? Schuller streift diese Frage kaum: Für ihn gilt als Kriegsverbrechen höchstens die persönliche Mittäterschaft. Und die ist Jauß eben nicht nachzuweisen, sagt auch der Gutachter. Basta. Für Schuller ist Jauß damit freigesprochen.

Gleichzeitig geißelt der Autor die publizistische Begleitung des Zahner-Stücks: Der „links-alternativen Lokalpostille“ seemoz werden da „widerwärtige Entgleisungen“ unterstellt, der bürgerliche Südkurier kommt nur unwesentlich besser weg. Insgesamt glaubt der Autor an eine von „Andeutungen und Verdächtigungen“ genährte Kampagne, die Zahner mit seinem „Agitationsstück“ aus PR-Absichten entfachen wollte und in der Journalisten wie Uni-Verantwortliche auch vor „Verschweigungen“ und „Verdrehungen“ nicht zurückschreckten.

Die „Verantwortlichen“: Die wahren Zielscheiben seiner Philippika findet Schuller aber sowieso an der Uni, zuvörderst in Rektor Rüdiger. Der Univerwaltung wird Verschleierung vorgeworfen, weil sie den Gutachter-Auftrag nicht veröffentlicht habe; Vertuschung, weil sie wichtige Schreiben der Alt-Rektoren Sund und Rüthers nicht veröffentlicht habe und überhaupt habe sie uniinterne Diskussionen unterdrückt. Das übrigens sieht Albrecht Koschorke, derzeit Literatur-Professor an der Uni Konstanz, ganz anders, wenn er in einem seemoz-Beitrag schon 2016 schreibt: „Im Fall von Jauß spitzt sich das auf die Frage zu, wie ein Mann, der in gehobener Position aktives Mitglied einer verbrecherischen Organisation war, später als Literaturprofessor über das Thema Erinnerung räsonnieren konnte, als wäre nichts gewesen. Dieses Rätsel wird bleiben“.

Die Fortschreibung: Der 2004 an der Universität Konstanz emeritierte Professor für Alte Geschichte, Wolfgang Schuller, belässt es aber im Schlussteil seines Buches nicht mit der Schelte an kampagnegeilen Medien und verantwortungslosen Rektoren, wenn er über „reflexartige Antinazismen“ und „die Selbstgewissheit der Ankläger“ schwadroniert. Er lobt stattdessen – und damit ist wohl Jauß gemeint – den „Mut, mit dem ein Soldat mit Gegnern kämpfte, die sich wehren konnten, und der dabei sein eigenes Leben aufs Spiel setzte“. Und noch einen obendrauf: „Das wird von Heutigen nur noch selten als Wert verstanden.“

Das ist wohl glücklicherweise so: Fehlte dann nur noch ein Loblied auf die tapfere Waffen-SS.

hpk

Wolfgang Schuller: Anatomie einer KampagneHans Robert Jauß und die Öffentlichkeit“. Leipziger Universitätsverlag, 7/2017. 206 Seiten, Broschur, 19,90 €, ISBN978-3-96023-126-4

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