Der Maultaschenpreis-Gewinner 2011: Terra-Verlag, Konstanz

Die Konstanzer Maultasche ist ein Preis, den niemand will – und den doch viele Unternehmen verdient haben. Denn mit ihm prämiert ein unabhängiges Komitee besonders beschäftigtenfeindliches Verhalten im Landkreis Konstanz. Im zweiten Jahr seiner Verleihung geht der Maultaschenpreis an den Konstanzer Terra-Verlag, die Preisübergabe fand am heutigen Donnerstag statt. Doch auch die übrigen Ausgezeichneten aus Singen und von der Reichenau können auf ihren Preis nicht so richtig stolz sein.

Auch in diesem Jahr hat die Jury wieder unter mehreren Firmen und Einzelpersonen auswählen müssen, die sich in letzter Zeit besonders hervorgetan haben: Der Südkurier zum Beispiel, der einen Tarifvertrag verweigert, oder die Stadtverwaltung Konstanz, die einen unliebsamen Chefarzt feuert, hätten ebenso „ausgezeichnet“ werden können. Denn trotz des Aufsehens, das die fristlose Kündigung einer langgedienten Altenpflegerin 2009 erregte, die sich ein paar Maultaschen auf die Seite gelegt hatte, schikanieren Großunternehmen, Kleinbetriebe, Manager im öffentlichen Dienst, Behörden und selbst Wohlfahrtseinrichtungen ihre Beschäftigten.

So manche Personalmanager glauben, sich alles herausnehmen zu dürfen – weil ja niemand hinschaut. Genauso das aber will der Maultaschenpreis verhindern. Und deshalb wird jedes Jahr der Konstanzer Maultaschenpreis verliehen. Hier die Preisträger 2011 und ihre Geschichte:

Erster Preisträger: Terra-Verlag, Konstanz. Betriebsratsfrei mit allen Schikanen

Alles begann recht harmlos: Im Jahre 2003 organisierten sich die circa dreißig Angestellten des Terra-Verlags in der Gewerkschaft ver.di und wählten einen dreiköpfigen Betriebsrat. Dies geschah damals unter dem Eindruck, dass sich das Betriebsklima durch diverse Entscheidungen der Geschäftsführung zunehmend verschlechterte. Durch den Eintritt des Juniorchefs Dr. Dirk Heizmann Ende 2006 verschärfte sich der Umgangston. Der Betriebsratsvorsitzende A. erhielt nach 25 Jahren unbeanstandeter Tätigkeit in kurzem Abstand vier Abmahnungen, wurde durch unsinnige Arbeitsanweisungen schikaniert und schied entnervt aus dem Unternehmen aus.

Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Einstellungen und Kündigungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat die Geschäftsführung weitestgehend ignoriert. Beschäftigte wurden beim Besuch des Betriebsrats kontrolliert und mit Sanktionen bedroht. Betriebsratsschulungen wurden verweigert und mussten mühsam erkämpft werden; im Betriebsratsbüro fehlte es faktisch an allem – was zur Verfügung gestellt wurde, war nicht funktionstüchtig.

Im Juni 2008 wurde der Betriebsrat regulär im Rahmen der Betriebsratswahlen 2008 neu gewählt und neu konstituiert. Zwischenzeitlich war die Belegschaft auf 26 Beschäftigte reduziert. Die Auftragslage hatte sich nicht verändert, aber die Geschäftsführung arbeitete zunehmend mit so genannten Freien und Leiharbeitsunternehmen.

Der seit 38 Jahren in vertrauensvoller Stellung beschäftigten Angestellten B. wurden die bisherigen Aufgaben und die Arbeit entzogen, „weil sie als aktives Mitglied des Wahlvorstandes für die Geschäftsführung nicht mehr vertrauenswürdig“ sei. Bereits im Juli 2008 – nach gerade mal zwei Monaten Amtszeit – wurde die neu gewählte Betriebsratsvorsitzende C. fristlos gekündigt.

Der Betriebsrat (BR) konstituierte sich erneut. Im November 2008 kündigte die Geschäftsführung einem weiteren BR-Mitglied, Herrn D.; auch er gehörte dem Unternehmen seit 38 Jahren an. Sein Arbeitsplatz hatte sich in den letzten Monaten im Keller des Firmenanwesens befunden: Es gab einen Stuhl und einen Tisch, aber weder ausreichendes Licht noch Heizung noch Telefon – und keine Arbeit. Der Kollege brach einen Tag vor dem Arbeitsgerichtstermin zusammen und musste in die Notaufnahme des Krankenhauses.

Im Januar 2010 erhielten die beiden letzten Betriebsrätinnen und Gewerkschaftsmitglieder des Terra-Verlags, Frau E. und Frau B., nach elf beziehungsweise vierzig Jahren Betriebszugehörigkeit eine Kündigung. Sie waren mittlerweile psychisch und körperlich am Ende ihrer Kräfte und schieden zum Mai und August des Jahres mit Abfindungsvergleichen aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Mindestens vier ehemalige Beschäftigte sind nach jahrelangen Mobbing-Attacken psychisch erkrankt – zum Teil sind sie bis heute in Behandlung. In nahezu allen Fällen war monatelanger Arbeitsentzug vorausgegangen; Schikanen waren an der Tagesordnung.

Innerhalb von wenigen Jahren hat es die Zeitschriftenverlegerfamilie Heizmann geschafft, einen gewählten Betriebsrat zu beseitigen und sich aller Gewerkschaftsmitglieder zu entledigen. Dabei geht es dem Unternehmen gut: Immerhin konnte es sich der Verlag offenbar problemlos leisten, Abfindungen in beträchtlicher Höhe als Preis für seine Schikanen zu bezahlen. Die weiteren Kosten mussten die Krankenkassen schultern.

Zweiter Preisträger: E.W. Gohl GmbH, Singen: Auf Dauer gut gekühlt

Auf der Homepage der Singener Firma heißt es: „Die E.W. Gohl GmbH zählt seit einem halben Jahrhundert zu den europäischen Marktführern im Bereich Serienkühlturmbau. Innovatives technologisches Knowhow, Premiumqualität und modernste Fertigungsverfahren sind die Basis für unseren Erfolg. Aber auch die partnerschaftliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Kunden trägt zum langfristigen zukunftsweisenden Fortschritt von Gohl bei. Auf Dauer gut gekühlt.“

Die Stimmung der Beschäftigten dürfte man als eher unterkühlt bezeichnen. Denn die Firma war bis zum Jahr 2000 Mitglied des Arbeitgeberverbands Südwestmetall und trat dann aus dem Verband aus – mit erheblichen Folgen für die Belegschaft.

Seit etwa zehn Jahren gab es bei der Firma Gohl keine Lohnerhöhung mehr (und wenn, dann nur einzelvertraglich), Urlaubs- oder Weihnachtsgeldansprüche mussten teilweise eingeklagt werden, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats werden regelmäßig missachtet (etwa bei Einstellungen), Neueinstellungen erfolgen auf der Basis einer 40-Stunden-Woche zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro und ohne Anspruch auf Urlaubs-und Weihnachtsgeld. Und dafür sollen die Kolleginnen und Kollegen Premiumqualität liefern? Der neueste Clou war, dass man vom Betriebsrat eine Vereinbarung verlangte, die es erlaubt, 30 Prozent der Belegschaft in Form von Leiharbeit zu beschäftigen.

Die Geschäftsleitung hat bisher auch trotz einer Unterschriftensammlung der Belegschaft keinerlei Anstalten gemacht, die Löhne zu erhöhen. Berücksichtigt man allein die Inflationsentwicklung der letzten zehn Jahre, dann haben die Gohl-Beschäftigten einen Reallohnverlust in Höhe von mindestens zwanzig Prozent hinnehmen müssen. Gleichzeitig aber leistet sich die Firma (rund siebzig Beschäftigte) drei Geschäftsführer.

Dritter Preisträger: Maurer-Atmos GmbH, Reichenau: Bewusster Rechtsbruch

Es gibt viele Methoden, eine Belegschaft unter Druck zu setzen. Eine besonders fiese kam beim Unternehmen Maurer-Atmos (Reichenau) zum Einsatz, das am 15. März 2011 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragte. Die Firma, deren 137 Beschäftigte Anlagen zum Räuchern, Kochen, Kühlen und Backen von Fleisch-, Wurst-, Geflügel- und Fischprodukten produzierten, war in eine finanzielle Schieflage geraten.

Daraufhin setzte das Amtsgericht Konstanz den Rechtsanwalt Norbert Wischermann als Insolvenzverwalter ein. Und dieser legte dem Betriebsrat ein Erwerberkonzept vor, das einen Personalabbau von insgesamt sechzig Stellen vorsah: Es gebe einen US-amerikanischen Investoren, der bereits ausrechnet habe, dass sich eine Übernahme des Betriebs nur lohne, wenn sechzig Beschäftigte ausscheiden, argumentierte Wischermann. Und so präsentierte der Insolvenzverwalter während den Verhandlungen über einen Interessensausgleich dem Betriebsrat eine Namensliste nach dem Motto: Entweder gehen diese Mitarbeiter – oder alle stehen auf der Straße.

Auf seiner Liste standen die Namen von Beschäftigten, die im Rahmen einer normalen Sozialauswahl nicht kündbar wären oder denen ohnehin nicht gekündigt werden darf – wie beispielsweise Betriebsratsmitglieder. Der Betriebsrat, vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt, stimmte dem Sozialplan und der Kündigung der genannten MitarbeiterInnen zu. Doch damit nicht genug. Insolvenzverwalter Wischermann forderte alle Gekündigten auf, eine sogenannte Abwicklungsvereinbarung zu unterschreiben – und damit auf ihr Recht einer Kündigungsschutzklage zu verzichten.

Damit waren natürlich nicht alle einverstanden. Daraufhin drohte der Insolvenzverwalter, dass der potenzielle Investor abspringe, sollte die Vereinbarung nicht von allen sechzig Gekündigten unterzeichnet werden. Einige von ihnen berichteten daraufhin, dass sie von KollegInnen und Vorgesetzten angerufen, aufgesucht oder beim Einkauf abgefangen und gedrängt wurden, das ihnen zustehende Recht nicht wahrzunehmen. Gezielter kann man eine Belegschaft kaum spalten.

Mehr noch: Insolvenzverwalter Wischermann wusste genau, dass es rechtlich nicht zulässig ist, Betriebsratsmitgliedern zu kündigen; nach eigenen Aussagen war ihm das aber egal. So wird Recht gebrochen, Herr Dr. Wischermann! Ein vereidigter Rechtsanwalt sollte eigentlich wissen, dass sich auch ein Insolvenzverwalter an die Gesetze halten muss.

PS: Ende Juli 2011 hat der US-Konzern Middleby Maurer-Atmos übernommen – obwohl über ein Dutzend der Gekündigten nicht auf ihr Recht einer Kündigungsschutzklage verzichten wollten. Es sind, so Wischermann gegenüber dem Südkurier, „noch Gerichtsverfahren im zweistelligen Bereich anhängig?. Die Geschäftsführung, die viele für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich machen, bleibt im Amt.

Autor: Red

 

Flyer zum downloaden: Flugblatt zur Maultaschenverleihung