Advent ’17: Endlich ein Friedensangebot

Mitten im tobenden 1. Weltkrieg machten vor hundert Jahren die soeben an die Macht gelangten russischen Bolschewiki den kriegsführenden Regierungen und den Völkern Europas ein bedingungsloses Friedensangebot, das sogar im kleinen Lindau ein großes Echo hervorrief. Der Lindauer Histo­ri­ker Karl Schweizer hat die Archive durch­forstet und die Geschichte für seemoz nach- und aufgeschrieben.

Das Interesse war riesig, als das Lindauer Tagblatt vom 2. Dezember 1917 mitten im 1. Weltkrieg das Dekret Nr. 1 der neuen revolutionären russischen Regierung der Bolschewiki mit seinem Friedensangebot an die Völker und Staatenlenker Europas auch in Lindau öffentlich unterbreitete, wenn auch etwas umformuliert: „Jetzt werden alle Regierungen, alle Klassen, alle Parteien aller kriegsführenden Länder aufgefordert, kategorisch die Frage zu beantworten, ob sie zusammen mit uns in die Verhandlungen über den sofortigen Waffenstillstand und den allgemeinen Frieden heranzutreten, einverstanden oder nicht…“.

Die von den „Volkskommissaren“ Lenin und Trotzky unterzeichnete Aufruf hatte u.a. zur Folge, dass Lindaus Bürgermeister, Hofrat Heinrich Schützinger, in seinem Wochenbericht vom 8. Dezember die Regierung von Schwaben und Neuburg in Augsburg über dessen Echo innerhalb Lindaus mit den Worten informierte: „Die anfangs der Woche angekündigten Vorbereitungen zu Waffenstillstandsverhandlungen mit Russland und neuerdings auch Rumänien haben begreiflicherweise die Stimmung der Bevölkerung sehr gehoben, glaubt man doch sicher, den Anfang vom Ende des langen Krieges zu erblicken.“

Die revolutionär-russische Delegation unter Leitung von zunächst A.A. Joffe, seit dem 9. Januar 1918 von Leo Trotzki, hatte in der belorussischen Stadt Brest-Litowsk am 5. Dezember mit den Regierungsvertretern der Kaiserreiche Deutschland und Österreich-Ungarn einen zunächst zehntägigen, am 15. Dezember einen unbefristeten Waffenstillstand vereinbart. Am 22. Dezember begannen die eigentlichen Friedensverhandlungen. Die ebenso eingeladenen Regierungen Frankreichs, der USA und Englands sandten keine Delegationen.

Während Lenin für einen sofortigen Separatfrieden mit Deutschland eintrat, vertraten Trotzki und die Mehrheit der leitenden Bolschewiki zunächst die Haltung „Weder Krieg noch Frieden“. Die großen Arbeiterstreiks in Deutschland und Österreich Ende Januar 1918 gegen eine Weiterführung des Krieges befeuerten Trotzki darin, in Erwartung von Revolutionen in Westeuropa, am 10. Februar die Verhandlungen abzubrechen, ohne dass die russische Armee die Kriegshandlungen wieder aufnahm.

Daraufhin startete die deutsche Armee am 18. Februar 1918 eine neue militärische Offensive und besetzte in wenigen Tagen große Teile Westrusslands. Am 23. Februar wurden die Friedensverhandlungen wieder aufgenommen und am gleichen Tag unter Leitung von Trotzki die neue Rote Armee Sowjetrusslands gegründet.

Am 3. März 1918 unterzeichnete das revolutionäre Russland den ihm nun von Deutschlands Regierung diktierten Friedensvertrag von Brest-Litowsk, welcher für Russland u.a. den Verlust von einem Viertel seiner ursprünglichen Bevölkerung und seines Territoriums bedeutete. Im Sommer 1918 begann der Bürgerkrieg bewaffneter Konterrevolutionäre und fremder Armeen gegen das neue Räte-Russland.

In Lindau wurde der Sieg-Frieden groß gefeiert. Das Tagblatt vom 5. März 1918 berichtete dazu u.a.: „Wenn die Friedensglocken läuten … Aus Anlass des Friedensschlusses mit Russland ertönte heute Mittag ein viertelstündiges Festgeläute von beiden hiesigen Kirchen. Gestern nachmittags zog die Musik des Ersatzbataillons unter klingendem Spiel durch unsere Straßen. Aus Anlass des Friedensschlusses mit Russland wurde auf Befehl des Kaisers angeordnet, dass Montag oder Dienstag der Unterricht in den Schulen ausfällt. Hier war heute schulfrei.“

Karl Schweizer, edition inseltor lindau (Quelle: Stadtarchiv Lindau, Repro: Schweizer)