Ferdinand Porsche, Hitlers Lieblingskonstrukteur

20110904-165330.jpgDieses Buch, das noch viel mehr als seine zweite Auflage verdient hat, porträtiert „Stuttgarter NS-Täter – vom Mitläufer bis zum Massenmörder“. Und eben nicht nur Ferdinand Porsche (s. Foto), nach dem noch heute Schulen und Preise, Firmen und Gesellschaften benannt sind, sondern auch Richter und Beamte, von denen nicht wenige in der Bundesrepublik weiter Karriere gemacht haben. Ein Buch, das in den Schulunterricht gehört.

Das Buch ist aus drei Gründen ein besonderes: Es konzentriert sich geographisch auf die Stadt Stuttgart und die nahe Umgebung und vermittelt damit Eindrücke in Schicksale, Leben und Politik in der NS-Diktatur in einer Dichte, der nicht auszuweichen ist; zurecht wird in Fachblättern von einem „Meilenstein der regionalen Geschichtsschreibung“ geschrieben.

Bei den Texten handelt es sich zudem ausschließlich um Porträts. Die Autoren arbeiten alle an der entscheidenden Stelle: wo der Einzelne zum Täter wird, also oft mehr getan hat, als die berühmt-berüchtigten Umstände ihn unmittelbar zwangen, sie fragen, warum er das tat, wie er davon profitierte und wie er und die Behörden danach mit seinem Tun in der Diktatur umgegangen sind; der Wissenschaftler Wolf Ritscher geht in einem sehr kenntnisreichen, aber leider etwas kurzen Beitrag auf die Diskussion über den Begriff der aktiven und passiven Täter, auch auf das `Vergehen` der zweiten Schuld, ein.

Mitmacher, Handreicher, Massenmörder

Und dieses Buch porträtiert drittens aus allen Bereichen – Politik, Wirtschaft, Justiz, Verwaltung, Kirchen – alle denkbaren Typen von Mitmachern: von demjenigen, der sich wie selbstverständlich als Handreicher einreiht bis zu demjenigen, der sich als staatlich anerkannter Massenmörder an die Spitze stellt.

Auch Angehörige schreiben: Ein Sohn über seinen Vater-Kriegsverbrecher, der unter anderem für Deportationen von slowakischen Juden verantwortlich war, und eine Enkelin über ihren Großvater, der in Auschwitz folterte. Beides besonders bewegende Texte. Insgesamt werden 45 Täter vorgestellt, alles Männer: Leiter von KZ-Lagern, Gemeinderäte und Verwaltungsspitzen, Denunzianten und Sachbearbeiter, Ärzte und Polizeibeamte, Richter, Pfarrer und Künstler – es sind diese vielen `normalen` Bürger, die mal gerne, mal unwillig, mal aus Überzeugung und mal aus reinem Nutzendenken, aber immer zuverlässig wenigstens ihr Scherflein zum Gelingen der nationalsozialistischen Menschenvernichtung beitrugen.

Herausgeber Hermann Abmayr schreibt in seinem Vorwort: „NS-Täter zu werden, war … kein Naturgesetz.“ Abmayr begründet Auswahl und Konzept des Buches mit einem Zitat von Primo Levi: „Es gibt Ungeheuer, aber es sind zu wenige, als dass sie wirklich gefährlich werden könnten. Wer gefährlicher ist, das sind die normalen Menschen.“

Nazi-Tätertum als Karriere-Grundlage

Buchstäblich deprimierend die Bilanz danach: Nur Wenige werden ernsthaft zur Rechenschaft gezogen, für zu viele ist ihr Nazi-Tätertum nicht Hindernis, sondern Grundlage für ihre spätere Karriere im demokratischen Deutschland. Eines dieser widerlichen Paradebeispiele: „Der Stuttgarter Finanzfachmann Paul Binder etwa, der an der ‚Arisierung‘ jüdischer Geschäfte beteiligt war, wurde für die CDU in den Landtag von Württemberg-Hohenzollern gewählt und von diesem Gremium in den Parlamentarischen Rat geschickt, zur Ausarbeitung des Grundgesetzes.“

Das Buch hat verdient, dass es wirkt und hohe Aufmerksamkeit erzielt. Diese wurde ihm auch reichlich zuteil, natürlich in Stuttgart und der Region, aber auch national – dies vor allem, weil auch Ferdinand Porsche, „Hitlers Lieblingskonstrukteur, Wehrwirtschaftsführer und Kriegsgewinnler“, zu den Porträtierten gehört und als „gewissenloser Profiteur des Nazi-Regimes“ beschrieben und nicht länger verfälschend als genialer Konstrukteur hofiert wird.

Ein Buch für den Geschichtsunterricht

Dieses Buch mit Beiträgen von insgesamt 30 Autorinnen und Autoren steht in Stuttgart nicht im luftleeren Raum, sondern auf einem Fundament von Arbeiten und Initiativen, die sich seit vielen Jahren der NS-Zeit widmen: Es gibt antifaschistische Stadterkundungen, die Stolperstein-Initiative – inzwischen markieren in Stuttgart über 500 Stolpersteine den jeweils letztbekannten Wohnort von Opfern -, zahlreiche Bücher und Filme über Widerstand, Leben und Vernichtung während der NS-Zeit in Stuttgart. Dieses Buch und das große Stuttgarter Netzwerk von kompetenten, engagierten Bürger-Historikern mit seinen vielfältigen Arbeiten zeigen, wie groß immer noch die Defizite der offiziellen NS-Geschichtsschreibung sind und wie viel engagierte Laien bewirken können.

Dass jedoch beispielsweise der zuständige Staatsapparat, in diesem Fall das Kultusministerium, solche Werke nicht selbstverständlich in hoher Auflage für den Geschichtsunterricht zur Verfügung stellt, das signalisiert jedoch auch, welche Wegstrecken des Lernens die Behörden, die Verantwortlichen in der deutschen Demokratie noch vor sich haben und wie unentbehrlich das Tun dieser letztlich dann doch wenigen engagierten Bürger ist.

Autor: Wolfgang Storz/woz

Hermann G. Abmayr (Hg.) „Stuttgarter NS-Täter – vom Mitläufer bis zum Massenmörder“, Lizenzausgabe im „Schmetterling Verlag“, Stuttgart, 2. Auflage 2009. Weitere Informationen über Buch, Reaktionen und Aktivitäten unter: http://stuttgarter-ns-taeter.de/