Ein „Mauerlæufer“ wird zum Dauerläufer
Im vierten Jahr wird das literarische Jahresheft „Mauerlæufer“ erwachsen, hat jetzt seine Form gefunden: Reichhaltiger im Umfang, zahlreicher die AutorInnen, klarer im Layout; „regional, radikal, randständig“ ist es dennoch geblieben, wie nicht nur der Titel „Hier schließt sich kein Kreis“ der letzten Ausgabe verrät. Die aus der Meersburger Autorenrunde entstandene Schriftsteller-Schar überzeugt auch in ihrem vierten Jahresheft mit Texten von schräg bis schwermütig, von bizarr bis betulich – ein Lesevergnügen mit Überraschungen, das die Vorfreude auf die nächste Ausgabe schürt.
Zuerst aber die Form: Abwechslungsreicher als bei den Vorläufern kommt das Layout daher – die Schrifttypen verschieden groß, mal linksbündig, mal Blocksatz, mal farbig, immer aber großzügig die Titel und ganzseitig die Fotos: Der „Mauerlæufer“ 2017 hat dank der Grafikerin Eva Hocke jetzt ein Gesicht und ein Ordnungsprinzip, das zum Lesen verleitet und zum Bleiben einlädt.
Vielfalt auch in der Qualität
Die über 60 Texte – ein Drittel Lyrik, zwei Drittel Prosa – der gut 40 SchriftstellerInnen zwischen Allgäu und Konstanz, zwischen Stuttgart und der Schweiz sind so unterschiedlich wie ihre SchreiberInnen, unter ihnen prominente wie der Lyriker Jochen Kelter oder der Historiker Stefan Keller oder die Konstanzer Peter Salomon und Chris Inken Soppa: Wenn die Theaterautorin Andrea Gerster in „Selma und Max“ vom Unfalltod ihres ungeliebten Gatten erzählt, liest sich das ganz anders als die Geschichte von der letzten gemeinsamen Reise mit der längst verstorbenen Mutter von Bestseller-Autor Thommie Bayer – nur: Die phantastische Kurzgeschichte hätte einen flotteren Titel als „Das Wesentlichste“ verdient. Das aber macht solche Jahrbücher aus – Vielfalt auch in der Qualität.
Fünf Kapitel gliedern das Buch, dessen Untertitel „Inseln, Klöster, Zirkel, Zellen“ sich allerdings ebenso wenig erschließt wie der leicht kryptische Titel „Hier schließt sich kein Kreis“. Denn die Texte sind meist rund und stimmig – Aktuell-Politisches ist darunter wie „nach einer Wahl“ (gemeint ist die von Donald T.), einem Gedicht von Hajo Fickus, und „bewegung 9. november“, eine skurrile Erinnerung an eine Jugend-Revolte, aber auch ein besinnlich-bemerkenswerter Text „von der Weisheit der Wörter“ des syrischen Geflüchteten Dersim Ahmed.
„Nach vier Jahren gingen wir in Konkurs“
Im dritten Kapitel „Sie hatte die schönsten Haare von allen“ trifft Mitherausgeberin Katrin Seglitz das Motto des Heftes noch am ehesten, wenn sie in „Die Stille beheimaten in sich“ ein Gespräch mit Schwester Birgitta von den Franziskanerinnen im Kloster Reute reportiert und in einem zweiten Text der Alten Lisel auf Schloss Salem begegnet. Aber auch der gänzlich andere Text über „Pater Adalbert“ von Stefan Keller gehört in diesen Kontext: Keller erzählt vom Bau der Klosterkirche Weingarten und gleichzeitig von seinem Versuch – 260 Jahre später – am Fuß des Weingartner Klosterhügels einen linken Kleinverlag aufzubauen: „Nach vier Jahren gingen wir in Konkurs“, nicht ohne zuvor jedoch die Studie von Pater Adalbert über die sozialen Bedingungen zur Zeit des mal wieder überprächtigen Kirchenbaus veröffentlicht zu haben.
Ein Lesevergnügen mit Überraschungen also auf 255 zumeist eng bedruckten Seiten. Und ein Periodikum, das sich längst einen Platz erobert hat in der Bücherwelt der Region. Man ist gespannt auf die fünfte Veröffentlichung – viel Besseres lässt sich über ein literarisches Jahresheft kaum sagen.
hpk
Der „Mauerlæufer“ kann bezogen werden unter bestellung@mauerlaeufer.org oder bei guten Buchhandlungen, darunter Schwaaz Vere Buchhandlung, Bad Saulgau; Anna Rahm mit Büchern unterwegs, Ravensburg; Buchhandlung Wälischmiller, Markdorf; Linzgau-Buchhandlung, Salem und Pfullendorf; Buchladen zur Schwarzen Geiss GmbH, Konstanz; Buchlandung – Lesen am See, Überlingen.
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