Über „Seilschaften“ beim Schweizer Nachbarn

Hart ins Gericht geht Lieselotte Schiesser mit dem Autoren des gestrigen seemoz-Beitrages zur „direkten Demokratie“. Ganz nebenbei erfährt man von unserer Schweizer Autorin noch so manch Wissenswertes über politische Gepflogenheiten unserer Nachbarn.

Mir scheint, der Autor will vor allem der SPD nachweisen, dass sie nur so tut, als ob sie sich um das Votum ihrer Mitglieder und/oder der WählerInnen kümmert, wozu er die seltenen Versuche einer direkten Beteiligung abzuwerten versucht. Dafür hätte er sich aber die Ausführungen zur Schweiz schenken können, die teilweise seltsam geraten sind.

Warum z.B. die Fünf-Prozent-Hürde in Deutschland „undemokratische Auswirkungen“ haben soll, die es angeblich in der Schweiz nicht gebe, wird weder erläutert, noch ist die Aussage richtig. In der Schweiz gibt es zwar auf Bundesebene keine prozentuale Hürde für eine Partei, um ins Parlament gewählt zu werden – in einzelnen Kantonen oder Gemeinden aber schon, beispielsweise im Kanton Schaffhausen und der Stadt Zürich. Ist das nun undemokratisch?

Zudem spielen Parteizugehörigkeiten und „Seilschaften“ natürlich auch in einer halbdirekten Demokratie wie der Schweiz eine Rolle – sogar eine große. Als Beispiele können die Verquickungen zwischen Bauernverband und Volkspartei (SVP) genauso herangezogen werden, wie jene zwischen FDP und dem Industrieverband economiesuisse oder zwischen Sozialdemokraten (SPS) und Gewerkschaften.

Die Einflussnahmen sind weniger offen, aber sehr wirksam: Jeder einigermaßen wichtige Gesetzes- oder Verfassungsänderungs-Entwurf der Regierungen wird zuerst allen irgendwie davon betroffenen Verbänden, Parteien, Institutionen zur Stellungnahme – der sogenannten Vernehmlassung – zugeleitet. Danach wird der Entwurf überarbeitet und oft an die Einwände oder Wünsche der Vernehmlassungs-Teilnehmer angepasst und erst dann dem Parlament zur Beratung unterbreitet.

Zudem haben jede Menge Lobbyisten Zutrittsberechtigungen zur „Wandelhalle“ im Parlamentsgebäude, wo sie direkt mit den Abgeordneten zusammentreffen und sich besprechen können. Und gerade in so kleinräumigen Strukturen wie der Schweiz ist es praktisch ausgeschlossen, politische Karriere zu machen, ohne persönliche Kontakte zu haben und zu pflegen.

Abgesehen davon, sind natürlich auch Wahlen Ausdruck der Demokratie – zumindest wenn sie frei, gleich, geheim und allgemein sind. WählerInnen nehmen auch durch Personenwahlen Einfluss, nicht nur durch Sachentscheidungen. Weshalb Wahlen „einigermaßen belanglos“ sein sollen, weiß vermutlich nur der Autor. Denn jedeR KandidatIn vertritt ja auch eine Partei (oder zumindest bestimmte gesellschaftliche und wirtschaftliche Ziele) und nimmt auf dieser Basis politisch-wirtschaftlich Einfluss.

In der Schweiz übrigens werden nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ wie Abgeordnete oder BürgermeisterInnen gewählt, sondern in den meisten Kantonen auch erstinstanzliche RichterInnen. RichterInnen der zweiten und der dritten Instanzen werden durchs jeweilige Parlament gewählt. Wer nun glaubt, dabei spielten Parteien keine Rolle, der glaubt auch noch an den Osterhasen. Der Parteienproporz ist dabei – wie bei Regierungswahlen – fein austariert und wird auch von den Wählenden selten durchbrochen.

In einem allerdings kann man dem Autoren problemlos zustimmen: Auch die (halb-)direkte Demokratie ist keine Garantie für weise Entscheidungen. Sie kann aber dafür sorgen, dass sich interessierte BürgerInnen den staatlichen Institutionen, Parteien, Mandatsträgern weniger ausgeliefert fühlen, weil sie um ihre Meinung gefragt werden. Friede, Freude, Eierkuchen bricht deshalb aber noch lange nicht aus. (Der zitierte „Bundesrat“ Arnold Koller ist übrigens schon seit 1999 nicht mehr Bundesrat.)

Lieselotte Schiesser