Mehr Wohnungen!
In der gestrigen Gemeinderatssitzung kam es – im Zuge der Überprüfung des Handlungsprogramms Wohnen und angestoßen durch einen weitreichenden Antrag der Linken Liste zur Wohnungspolitik – zu einer fundierten Debatte über mögliche Wege aus der Wohnungsnot. Am Ende wurde das Handlungsprogramm Wohnen nachgebessert.
Dass die Lage auf dem Konstanzer Wohnungsmarkt auch vier Jahre nach dem Stapellauf des Handlungsprogramms Wohnen weiterhin katastrophal ist, dass Singles wie Familien aus Wohnungsmangel die Stadt verlassen und ins Umland ziehen und manche Menschen bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden müssen, das ist Alltag. Ebenso bekannt ist, dass sich so mancher Spekulant gerade eine goldene Nase verdient, mancher raffgierige Vermieter jeglichen Anstand wie eine Fasnachtsmaske von sich wirft und etliche Unternehmen vom Bau die Preise angesichts der hohen Nachfrage radikal erhöht haben. Die Jagdsaison auf das Geld normalverdienender Mieter und kleiner Bauherren hält seit Jahren an. Dem freien Markt sei Dank.
Der freie Markt ist der Untergang
Mittlerweile ist es selbst bis tief ins bürgerlichste Lager hinein Konsens, dass hier etwas geschehen muss, weil der Markt und private Bauherren es nicht richten können. Die Linke Liste (LLK) hatte deshalb einen weitreichenden Antrag formuliert, in dem sie einige handfeste Forderungen im Interesse von Schlecht- und Normalverdienern erhob: Der Anteil des öffentlich geförderten Wohnens am gesamten Handlungsprogramm solle auf 50 Prozent erhöht werden, die Mietobergrenzen für solchen Wohnraum sollten auf 5,50 € bzw. 8,50 € festgesetzt und die Mietpreisbindung für geförderten Wohnraum auf 30 Jahre verlängert werden. Außerdem forderte die LLK, städtische Grundstücke nicht mehr zu verkaufen, sondern nur noch in Erbbau zu vergeben, um die Spekulation mit Immobilien zu verhindern.
Holger Reile (LLK) begründete diesen Antrag nicht nur mit den unerträglich hohen Mieten und dem dadurch bedingten Verdrängungswettbewerb unter den Wohnungssuchenden, sondern verwies auch auf das Vincentius-Gelände, das neulich von der öffentlichen Hand an ein Privatunternehmen verkauft wurde, das damit einen satten Profit einstreichen und sich schnell wieder vom Acker machen werde. Daher seine Forderung nach Erbbau und einer umfassenden Stärkung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, der Wobak. Sein Fazit: „Es sind fast nur städtische Bauträger und Genossenschaften, die garantieren können, dass bezahlbarer Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen entsteht.“ Die Stoßrichtung des linken Antrages war klar: Das Handlungsprogramm Wohnen soll vor allem den unteren Einkommensschichten, die unter der derzeitigen Situation existenziell zu leiden haben, zugute kommen.
Verwaltung für „maximale Markteingriffe“
Der Verwaltung gingen die Wünsche der Linken teils zu weit, teils in die falsche Richtung. Die oberste Stadtplanerin Marion Klose argumentierte in ihrer gelassenen hannöverschen Art gegen das linke Projekt: Man habe bereits das Maximum an Markteingriffen ausgereizt, mehr gehe nicht. Vor allem aber würden im Zuge des Handlungsprogramms auch massiv private Bauprojekte entstehen, und auf die könne die Stadt kaum Einfluss nehmen. Sie ließ anklingen, dass die Privaten, die nicht für sich selbst bauen, wegen der höheren Profite wohl weitgehend im gehobenen Segment bauen werden – das für Normalsterbliche (zumindest bis zum Tage der Weltrevolution!) unzugänglich sein wird. Auf dem städtischen Anteil der Flächen sollen nach ihren Angaben bis maximal 80% der Wohneinheiten gefördertes Wohnen bieten. Aber angesichts des Anteils von Bauprojekten in privater Hand sei eine so hohe Quote für das Gesamtprojekt, wie sie die LLK fordere, einfach nicht zu schaffen, denn auf die Privaten habe die Stadt keinen Einfluss. Außerdem warnte sie bei einem hohen Anteil geförderten Wohnraums in Neubaugebieten vor einer Gettobildung im Stile etwa des früheren Berchengebiets. Immerhin versprach sie: Es soll keinen hochpreisigen Wohnraum auf Flächen in städtischem Besitz geben.
Soziale Durchmischung ein Ziel
Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn sekundierte, das Handlungsprogramm Wohnen solle jetzt statt der ursprünglich geplanten 5300 Wohneinheiten deren 7900 errichten. Die Zahl der preisgebundenen Wohnungen, auf die allein die Stadt Einfluss habe, solle von 1800 auf 3700 steigen, und in allen Quartieren des Handlungsprogramms werde der Anteil geförderter Wohnungen bei mindestens 30 Prozent liegen. Außerdem wolle man die Preisbindung auf 25 Jahre erhöhen. Danach flössen neue Fördermittel für die Renovierung, und dann sei es auch möglich, die Preisbindung zu erneuern.
Der Antrag der LLK auf eine Bindung von 30 Jahren führe hingegen zum Verlust der Fördermittel 25 Jahre nach dem Bau. KLS forderte auch, die Mitte nicht zu vernachlässigen, die Wohnraum für ca. 10 € pro Quadratmeter suche. Eine Begrenzung der Mieten im sozialen Wohnungsbau auf 5,50 € ist nach seinen Angaben nicht möglich, weil nach der Landeswohnbauförderung die Mietobergrenze bei 33 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liege, was eben auch höher sein könne als die von der LLK geforderten 5,50 €.
Am Ende stimmte die Mehrheit des Rates mit der Verwaltung und gegen den Antrag der LLK. Auffällig war, dass auch Teile der SPD mit den Bürgerlichen gegen die Vergabe von Grundstücken nur in Erbpacht und andere genuin linke Mieteranliegen stimmten. Ergebnis: Im Zeitraum 2011-2035 sollen nach der momentanen Planung in Konstanz 10 300 Wohneinheiten entstehen. Davon wurden bisher schon 2400 gebaut, es sind also noch 7900 Wohneinheiten offen, im Schnitt sind also etwa 400 Wohneinheiten pro Jahr geplant.
Ein ideologisches Feuerwerk
Neben all diesen Sachargumenten war der Beitrag des nach Klaus-Peter Kossmehl fachkundigsten Abgeordneten der Freien Wähler in Baufragen eine Erfrischung: Jürgen Faden nämlich entlarvte den Antrag der LLK als ideologisches Blendwerk. In Deutschland seien derzeit etwa 67 Prozent des Wohnraums in privater Hand, und das seien ja nun nicht alles Spekulanten, wie hier suggeriert werde. Faden geißelte vielmehr die Regelungswut, die auch hinter dem linken Antrag lauere: In Deutschland gebe es rund 20 000 Regeln am Bau, in anderen Ländern nur 1000. Was solle etwa der Unfug, die Zahl von Fahrradparkplätzen vorzuschreiben? Das alles koste Zeit und ohne diese Regeln würden die Mieten sinken, und zwar um mindestens 1 € pro Quadratmeter.
Den Linken schrieb er noch mit eiserner Faust ins Stammbuch: „Die LLK will Konstanz als Plattenbausiedlung mit Einheitswohnungen. So will ich nicht leben“. Das muss er auch nicht. Aber dass viele Konstanzer eine bezahlbare Wohnung in der Platte mit Handkuss nähmen, wenn es sie denn überhaupt gäbe, kann Faden natürlich nicht sehen. Extra gegen diese Erkenntnis hat er sich ja in seiner linken Gehirnhälfte, wo normalerweise die Vernunft haust, eine schöne große ideologische Scheuklappe installiert.
O. Pugliese
@Dirk Kirsten – Wg Areale Vincentius und Siemens: Die Linke Liste Konstanz (LLK) hat sich in beiden Fällen dafür eingesetzt, dass die Stadt die Grundstücke kauft und sie mit Partnern selbstständig entwickelt – war damit allerdings alleine auf weiter Flur. Und richtig, eine Mehrheit des Konstanzer Gemeinderates hatte und hat keinerlei Skrupel, lieber Millionen für das defizitäre Bodenseeforum in den Seerhein zu kippen. Genauso richtig: Über Vorstösse und Vorschläge der LLK berichtet der Südkurier in der Regel nicht. Aber es soll ja auch andere Medien und Portale geben, über die man sich informieren kann. Übrigens: Kommendes Jahr sind Kommunalwahlen, ein Jahr darauf OB-Wahlen. Termine schon mal vormerken.
Die Argumente der Verwaltung sind ja gar nicht von der Hand zu weisen, aber ich finde, daraus zieht sowohl die Verwaltung als auch der Rat leider zu häufig die falschen Schlüsse. Es stimmt ja, dass der Anteil der Privaten so hoch ist und man deshalb es wohl kaum schaffen kann, mit den momentanen Bedingungen auf 50% geförderten Wohnungsbau zu kommen. Die Frage sollte doch dann aber sein, warum gibt es so viele private Bauherren? Es wäre schlicht möglich, dass die Stadt bzw. die Wobak mehr selbst baut. In den letzten jahren wären dafür hervorragende Gelegenheiten gewesen, man hätte nur das Vorkaufsrecht beim Vicentius- und Siemensareal ausüben müssen. Warum hat man das nicht einfach getan?
Das einzige Argument wäre fehlendes Geld, aber das finde ich einen wahren Hohn. Beim Siemensareal waren die Stadt und der Eigentümer ja lediglich knappe 4 Millionen Euro auseinander. In einer Stadt, die 20+ Millionen in ein fragwürdiges Kongresshaus steckt und über 5 Millionen in eine Füßgängerbrücke investiert, kann ich einfach nicht verstehen, dass keine 4 Millionen übrig sein sollen, um hunderte bezahlbare Wohnungen zu schaffen.
Und das Argument von Herrn Faden finde ich wirklich überraschend: ich würde mal davon ausgehen, dass Herr Faden als Elektromeister sonst erfreut ist, dass wir einige Regelungen in Deutschland haben: Dass die Leitungen nicht mal 80V oder 500V führen, je nachdem wie der Installateur gerade Lust hatte. Oder dass die Leitungen an bestimmten Stellen gezogen werden und nicht kreuz und quer durch eine Wand. Ich hoffe doch, sein Unternehmen hält sich an solche Regelungen. Und rein betriebswirtschaftlich: Die Preise für einen Fahrradabstellplatz sind Peanuts, wenn man es mit einem Autoabstellplatz vergleicht. Ein wahrlich schlecht gewähltes Beispiel, da könnte man jetzt wirklich Ideologie dahinter vermuten.
Mir scheint, als habe die Verwaltung das Problem zumindest erkannt, kann es aber aus ihrer Sicht mit realistischen Mitteln nicht lösen. Das ist insoweit ehrlich, als dass man eingesteht, wonach die meisten privaten Bauträger nicht zu denen gehören, die Wohnraum im unteren und mittleren Preissegment anbieten werden. Ob man die „maximalen Eingriffe“ bereits ausgereizt hat, bleibt bei den Forderungen der LLK, die zwar visionär, aber letztlich nicht utopisch sind, eher zu bezweifeln. Denn gerade von linker Seite wird ein Spielraum gesehen, den man bei der Stadt und der Mehrheit der anderen Fraktionen nicht erkennen will.
Und ja, was wäre solch eine Diskussion ohne ideologische Keule, mit der jegliches Argument zunichte gemacht und Zusammenhänge aufgestellt werden, die dem Normalsterblichen verschlossen bleiben. Natürlich frage auch ich mich, ob wir in Deutschland alles regeln müssen. Aber Fahrradabstellplätze gehören in einem modernen Staat, der nicht nur auf Autoverkehr abfährt, zum Alltagsbild fortschrittlichen Wohnraums dazu. Manch Vorschrift für Gauben und Begrünung mag überholt und übertrieben sein, doch diese Vorgaben sind es wahrlich nicht, die die Mietpreise in die Höhe treiben.
Dafür reicht es bereits, wenn Spekulanten auf immer mehr Gewinn setzen, wenn die Dollarzeichen der fetten Rendite in den Augen derer aufleuchten, denen es egal ist, wenn nicht einmal mehr Plattenbau Platz hat, um auch den Schwächsten dieser Gesellschaft noch ein Dach über dem Kopf zu bieten. Manchmal lässt mich der Eindruck nicht los, als ob auch manch ein Stadtrat im Wunderland der grenzenlosen Naivität nach Milch und Honig sucht. Vor der Einheitswohnung muss sich zumindest keiner fürchten, wenngleich ich zugeben muss, dass sie mich beim Anblick wachsender Obdach- und Wohnungslosigkeit in diesem Land ab und zu reizen würde…