Und täglich grüßt das Schweizer Murmeltier

Wäre Dornröschen Schweizerin und würde nach 100jährigem Schlaf vom Prinzen wach geküsst, würde es mit Blick auf die Politik kaum realisieren, wie viel Zeit verstrichen ist: Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hätte garantiert eine Volksinitiative gegen Ausländer und die EU gestartet. Momentan heißt diese Aktion nur  scheinheilig bloß „Begrenzungsinitiative“ – ein neuer Angriff auf die Fremden im Land.

2014 hatte sich die SVP mit ihrer Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) knapp durchgesetzt, 2016 scheiterte sie mit der Durchsetzungs-Initiative. Dazwischen war sie sauer darüber, dass die Umsetzung der MEI in Gesetzesform nicht so verlief, wie von ihr gewünscht: Weder Parlament noch Regierung wollten die Personenfreizügigkeit mit der EU aufheben, um a) Ausländer gar nicht erst in die Schweiz zu lassen oder b) nach Belieben wieder hinauswerfen zu können. Sie drohte sofort mit einer neuen Initiative.

Die hat sie nun am 15. Januar lanciert und hat nun 18 Monate Zeit, 100 000 Unterschriften für ihre Volksinitiative „Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)“ zu sammeln. Innerhalb weniger Jahre steht also die nächste Abstimmung zum immer gleichen Thema ins Haus. Und die SVP kann den 2019 bevorstehenden Nationalratswahlkampf wieder einmal mit dem Schüren von Fremdenhass zubringen.

Raus mit den Bilateralen

Würde diese Initiative angenommen, müsste die Schweiz spätestens 13 Monate später das Personenfreizügigkeits-Abkommen (PFZ) mit der EU kündigen. Womit weitere sechs Abkommen zwischen der EU und der Schweiz kippen würden. Denn zwischen EU und Schweiz wurde vereinbart, dass bei Kündigung der PFZ innerhalb von sechs Monaten auch das Luftverkehrs-, das Landverkehrs-, das Forschungs- und das Landwirtschaftsabkommen sowie die Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen und die technischen Handelshemmnisse fallen.

Damit würde die SVP das erreichen, was ihr Übervater und Vordenker Christoph Blocher (Foto) schon immer wollte: Keine Bilateralen und mehr Abschottung. Gleichzeitig könnte die Schweiz mit der EU auch keine neue Regelung zur PFZ ausarbeiten – das untersagt nämlich die Initiative. Sie legt im Begleittext auch fest, dass die Schweiz Ausländern kein Recht auf gleiche Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie Schweizern einräumen dürfte.

Ausländer sind an allem schuld

Dieses neueste „Machwerk“ aus der SVP-Küche unterscheidet sich von der MEI vor allem dadurch, dass die SVP dieses Mal ihr Ziel wenigstens zur Hälfte klar deklariert. Vor vier Jahren tat sie noch so, als könne man den Fünfer und das Weckli (schweizerisch: de Füüfer un s Weggli) haben: PFZ und eigene Reglementierung der Zuwanderung. Was sie auch dieses Mal zu verschweigen versucht, ist ihr Ziel, die Bilateralen los zu werden.

Bei ihren Hardcore-Fans verfängt das Vorgehen auch. In Leserbriefen und Forenbeiträgen äußern sie schon zahlreich ihre Freude über das Vorhaben, diese Ausländer los zu werden, die an allem schuld sind: an Verkehrsstaus, hohen Mieten, der Tatsache, dass über 50-Jährige nur noch schwer neue Stellen finden, an Kriminalität und was einem sonst noch so alles einfällt. Man solle nur endlich das PFZ-Abkommen kündigen, so ihre Meinung, die EU werde auf jeden Fall mit der Schweiz neue bilaterale Verträge schließen. Denn die EU brauche die Schweiz dringend. Dringender als die Schweiz die EU. Realität hat da keine Chance.

Eine gegen Alle

Dass die Schweizer Wirtschaft fast 55 Prozent ihrer Waren exportiert, diese aber nur 8,8 Prozent der gesamten EU-Importe ausmachen, spielt in diesem Denken keine Rolle. Auch nicht, dass die Schweiz über 73 Prozent ihrer Importe aus der EU bezieht – das aber bei der EU lediglich 15 Prozent ihrer gesamten Ausfuhren ausmacht.

Der Wirtschaft und allen Parteien außer der SVP ist das aber sehr wohl bewusst. Ihnen ist klar, dass ein Wegfallen der Bilateralen die Ex- und Importe von und in die EU deutlich schwieriger machen könnten. Und damit die Gewinne unter Druck kämen. Was wohl entweder Produktions-Verlagerungen ins Ausland oder schrumpfende Produktion und damit wirtschaftliche Probleme nach sich ziehen würde.

Der frühere FDP-Präsident Philipp Müller, der in früheren Jahren selbst einmal eine Anti-Ausländer-Initiative gestartet hatte, findet jedenfalls gegenüber dem „Tagesanzeiger“: „Es wird eine Freude, diese Initiative zu bekämpfen“. Er bezieht sich dabei auf die Umfrageergebnisse, die bis heute zeigen, dass die Mehrheit der SchweizerInnen die Bilateralen nicht aufgeben will.

Gleichzeitig vermischen viele Initiativ-Begeisterte die PFZ mit ihrer Flüchtlingsphobie: Die Initiative beuge dem Trend vor, dass immer mehr „kulturfremde“ Flüchtlinge kämen und dann auch noch ihre Familien nachzögen. Nur, dass das Flüchtlingswesen auch in der Schweiz im Asylgesetz geregelt wird und nicht via PFZ mit der EU. Deshalb findet Müller: „Diese Initiative ist wie eine Rakete von Kim Jong Un: Macht einen Saukrach, hat aber null Wirkung am Ziel“. Bleibt nur zu hoffen, dass das bei der Abstimmung dann auch eine Mehrheit der Abstimmenden so sieht.

Bis dahin bewirtschaftet die SVP mit Unterstützung der ihr verwandten Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) und dem „Egerkinger Komitee“ (das die Anti-Minarett-Initiative verantwortete) ihr Lieblingsthema noch mit der „Selbstbestimmungsinitiative“, mit der sie Schweizer Recht vor Völkerrecht setzen will. Und sie unterstützt ihre Getreuen bei der „Burka-Initiative“ – offiziell „Ja zum Verhüllungsverbot“.

Manchmal fühlt man sich Bill Murray im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ sehr nahe: Man ist in einer Zeitschleife gefangen und muss immer wieder die gleichen Abstimmungen erleben. Wenn nur das Murmeltier mal endlich aus seinem Bau käme …

Lieselotte Schiesser (Foto: SVP)