Digitale Tarnkappen
„Bübi“, „Glaubnix“, „Nocomment“ nennen sich Kommentatoren selbst auf seemoz. Anonym sagen sie auch anderswo in Netzforen ihre Meinung, manche formulieren scharf bis zur Beleidigung und mobben den Gegner mit Klarnamen. Verantwortung? Fehlanzeige! Es fehlt den Internet-Diskutanten an Courage. Digitale Tarnkappen statt offenem Visier – das darf nicht (die Internet-Zukunft) sein.
Als ich vor Jahrzehnten den Journalistenberuf lernte, landeten anonyme Leserbriefe noch ungelesen im Papierkorb. Heutzutage aber hackt jede/r seinen Sermon in die Tasten, sendet ihn per Mausklick in die weite Medienwelt und zeichnet mit Fantasienamen – Rassenhetze, Nazipropaganda, Sexismus inbegriffen. Wir von seemoz verbannen solche Wirrtexte in die Spamleiste – fast jeder zehnte Kommentar landet dort. Aber wir freuen uns über jeden Kommentar mit Klarnamen (schon diese Wortschöpfung ist verdächtig: Klarname?). Doch anderswo machen sich die anonymen Spinner ungebremst breit – und berufen sich auf die Meinungsfreiheit.
Anonymität als Grundrecht? Im Kampf gegen Diktaturen mag das gelten. Und als Arztgeheimnis oder Zeugenverweigerungsrecht von Rechtsanwälten und Journalisten hierzulande auch. Und, zugegeben: Ohne die anonymen, dann auch veröffentlichten Kommentare zahlreicher Mitarbeiter hätten wir und andere in Konstanz die Mauscheleien beim Altana-Nycomed-Deal, im Südkurier-Tarifstreit oder im Konstanzer Klinik-Konflikt nicht aufdecken können. Bleibt dennoch die Frage: Wer braucht die Tarnung der digitalen Tarnkappe wirklich?
Denn der demokratische Diskurs verlangt anders als die Information auch im Internet das offene Visier, verlangt Courage: Ich stehe zu meiner Meinung und erwarte das von meinen Kritikern auch. Das Versteckspiel hinter Masken bleibt der Fasnacht vorbehalten.
Der vermeintliche Fortschritt ungebremster, anonymer Meinungsflut im digitalen Zeitalter beschert uns tagtäglich Hassorgien brauner Naziportale, bewirkt weltweit eine Flut krimineller, kinderpornografischer Seiten sowie anderer Gewaltattacken und bereichert unsere Diskussionskultur mit unzähligen, unsäglichen, dummdreisten bis doofen Zwischenrufen selbstherrlicher Besserwisser. Und das alles unter dem Segel freier Meinungsäußerung.
Nein danke, liebe Netzgemeinde, da habt ihr Meinungsfreiheit falsch verstanden.
Wer beispielsweise Google+ vorwirft, der Klarnamenzwang diene allein der Identifizierung möglicher Werbekunden, verdrängt – bewusst oder unbewusst – die Offensichtlichkeit, dass gerade die Anonymität im Netz dem Konsumentenansturm alle Zugänge öffnet: Noch nie konnten Kunden derart barrierefrei erreicht werden, noch nie wurde der Anschein weltweiter Offenheit derart unverfroren verhökert. Wir sind so frei. Wir Werber allemal.
Klar ist: Keine noch so machtvolle Kontrollbehörde kann sämtliche Internetnutzer identifizieren. Aber wäre nicht eine Übereinkunft denkbar, die ohne juristische Keule ein offenes, faires, verantwortungsvolles Miteinander im Netz regelt? Die für eine Diskussion ohne Beschimpfungen, aber mit Bekennermut, ohne Hetze, aber mit Verantwortung sorgt? Und die die, die die Veröffentlichung erst ermöglichen, in Konstanz und anderswo, zur Selbstverpflichtung eines sauberen Forums verpflichtet?
Meint, wahrlich naiv
Autor: Hans-Peter Koch (mit Anleihen bei Klaus Staeck)
Ich teile im Grundsatz die Meinung von Herrn Koch. Was jetzt im Netz abgeht, klappte im Print allerdings auch schon vor gut 30 Jahren. Da ging es in Singen um neue Sendemaste auf dem Hohentwiel für Feuerwehr und Rettungsnetze. Bevor der Gemeinderat entscheiden konnte, gab es eine wilde Leserbriefkampagne im Singener Südkurier gegen solche Anlagen auf dem Turm im Naturschutzgebiet. Der Gemeinderat diskutierte über die lebensentscheidende Frage . . . Ein paar Jahre später kam heraus, dass fast alle Leserbriefe gefälscht waren. Da stimmten weder Namen noch Adressen!
Nur ein HInweis auf anonyme Leserbriefe: Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn keinen direkt in den Papierkorb geworfen. Zuvor habe ich die Anliegen überprüft. Und da landete man sehr schnell bei durchaus amtsbekannten Problemen. Manchmal konnte dann auch geholfen werden. Oft auf dem ganz kleinen Dienstweg.
H.P. Koch hat das System der Freiheit noch nicht begriffen.
Was wäre in all den Diktaturen (z.b. Nazi, DDR, arabische Länder) nicht alles schnell beendet gewesen, wenn mit Courage und ohne Tarnkappen sondern mit offenem Visier für Freiheiten gekämpft worden wäre?
Moment mal.
Ich habe den Diskussionsbeitrag vom Verleger Ekkehard Faude sehr aufmerksam gelesen und ebissl nach Koch gegoogelt. Oje…
Ich denke doch das die genannte Person real existiert. Es ist allerdings bedauerlich, das er sich einer öffentlichen Diskussion zum von ihm selbst angeschobenen Thema nicht stellt. Mir persönlich kommt der Verdacht auf, das er sich neu profilieren möchte und es noch nicht aufgegeben hat, in den Bundestag einzuziehen.
Im vom Hans-Peter Koch angeschobenem Thema sollten wir auch die neueste Erklärung des CSU-Abgeordneten Hans-Peter Uhl (Googeln nach #iminternetgeboren) gegenüber der Tagesschau, bei der er nochmals auf die momentane Modeerscheinung Freiheit verwies http://www.tagesschau.de/multimedia/video/ondemand100_id-video979136.html nich vergessen. Es geht also vielmehr um die Einschränkung der im GG verankerten Grundrechte. Er hat uns, den Nutzern des Internet, bis heute noch nicht erklärt, wie seiner Ansicht nach Freiheit neu definiert werden muss.
Vergessen wir nicht: Das Grundgesetz wurde als Ergebnis des damals soeben untergegangenem 3. Reiches formuliert. Das neue Deutschland sollte die darin begangenen Fehler niemals mehr wiederholen können und Deutschland sollte nie wieder ein Land der Feiglinge, Ignoranten, Verleumder und Denunzianten werden.
Wenn das eine momentane Modeerscheinung ist, so … Bitte hindert mich an weiteren Überlegungen.
Viele Grüße aus Hinterwaldhofen
der Hinterwäldler
Das ist eine sehr schöne Diskussion um den unter seiner offiziellen Tarnkappe schreibenden Hans-Peter Koch – hoffen wir einfach, dass ihm für sich selber im Lauf seines Lebens noch ein paar andere Namen einfallen.
Es geht hoffentlich nicht wirklich um „Bekennermut“ und ein „sauberes Forum“. Mir kamen bei diesen Worten Erinnerungsbilder hoch, sehr konstanzerische: wie ich Anfang der 60er-Jahre zusammen mit einem ansonsten wohlmeinenden evangelischen Pfarrer im Ausgang des „Gloria“-Kinos die bedripsten Zuschauer spät Abends erwartete, um ihnen ein hektographiertes Blatt gegen den Film in die Hand zu drücken, den sie eben gesehen hatten: „Das Schweigen“ von Ingmar Bergmann. Bekennermut in Sachen Christentum, das wir damals gefährdet sahen, hatte uns in den zugigen Gang zur Neugasse hin getrieben. Der Untergang des Abendlands war nah. Es ging um Sauberkeit. Wenigstens auf der Leinwand. Es dauerte etwas, bis mir das peinlich genug war.
Ein paar gelockerte Jahre später las ich bei Ernst Fischer, dem denkenden Marxisten, in seiner Autobiographie die einleuchtende Formel, mit der er sein schwieriges Leben zu fassen suchte: „das Rudel meiner Iche“. In einem Buch, dem man mangelnden Bekennermut nicht nachsagen kann.
Also lasst die Einzelnen weiterhin in vielen Namen schreiben, wenn ihnen danach ist, unter Tarnkappen, das gehört zum Zirkus der Uneitelkeiten;ein paar Deppen missbrauchen das halt. Es geht ohnehin nur eine Weile noch, denn der Prozess der unendlich feinen Identifizierung ist ja im Gang. Ohne SIM-Karte geht bald nix mehr.
Noch mal eins drauf:
Ich erinnere mich, dass Seemoz bis vor nicht all zu langer Zeit nur Kommentare mit Echtnamen annehmen wollte. Das Magazin war relativ langweilig, weil fast keiner kommentiert hat. Auch bei Seemoz hat man was gelernt.
Im Übrigen meine ich auch wie @NoComment, dass Rassenhetze, Nazipropaganda, Sexismus nichts im Blog zu suchen haben und dabei dürft Ihr gerne kräftig zensieren.
Getretene Hunde bellen, daher will ich das als namentlich benannter Anonymus hier gar nicht kommentieren. Jedoch behagt es mir ganz und gar nicht, mit den hier bemühten No-Name Jedermanns oder Brachial-Senf-Sermonisten in einen Topf geworfen zu werden, Zitat: „…dann hackt jede/r seinen Sermon in die Tasten, sendet ihn per Mausklick in die weite Medienwelt und zeichnet mit Fantasienamen – Rassenhetze, Nazipropaganda, Sexismus inbegriffen.“
Auf gut deutsch: Wenn Euch mein Kommentar oder mein Avatar, sprich Pseudonym nicht behagt, steht es Euch doch ohnehin frei, diesen zu zensieren, sprich, zu ignorieren. WO IST DAS PROBLEM?
Ich sage nur: NoComment!
Ja, lieber Herr Koch,
der @Hinterwälder scheint gar nicht so hinterwäldisch zu sein. Aber ich schließe mich dem anonymen Hinterwälder an!
Und so anonym bin ich ja gar nicht. @Bübi war schon als Kind mein Spitzname – lieblich und kritisch zu gleich, eben bübchenhaft. Sagen wir es einmal so:
„Meine Haut dient als Schutz, zur Temperatur-Regulierung, als vielfältiger Sensor für die Umwelt. Die Unversehrtheit ist also enorm wichtig. Viele Bübchen haben deshalb den Aktiv-Hautschutz: eine Kombination natürlicher Wirkstoffe, die nachweislich hilft, die körpereigene Hautbarriere zu stärken und meine Haut vor schädlichen Umwelteinflüssen zu schützen.“
Danke für Euer kritisches und offenes Magazin und lasst uns anonym mitmachen.
Ihr Bübi
Sehr geehrter Hans-Peter Koch
Sie irren erheblich. Ein Pseudonym im Internet ist Ausdruck der im Grundgesetz zugesicherten Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Im Grundgesetz wird nicht gefordert, das der an einer Versammlung teilnehmende Bundesbürger ein Namensschild am Revers trägt. Ich habe ja Verständnis dafür, das bsw der Bundesinnen Friedrich (CSU) oder die Bundesmutti v.d.L. (CDU) sehr gern wissen wollen wer sagt, was man von ihnen und ihren Äußerungen hält. Nur ist dies eben nicht im Grundgesetz verankert.
Zum Anderen: Eine Klarnamenspflicht ist absurd und müsste Weltweit durchgesetzt werden. Man kann es aber auch auf chinesische/iranische Art lösen, in dem man das deutsche Netz vom Internet trennt (diesen Gedanken gibt es in Ihren Kreisen schon) oder man es zur gesetzlichen Pflicht macht, beim Besuch des Internet seinen ePass in einen gesetzlich vorgeschriebenen Kartenleseschacht des PC einführt.
Übrigens haben mich vor ca. 10 Jahren meine Kinder in Dresden so „getauft“, weil ich zu diesem Zeitpunkt nur gestört analog ins Internet durfte (soll es noch heute in einigen Dörfern und Vorwerken meiner Gegend geben) und 99% aller deutschen Bundesbürger mich nur hinter dem finsteren, dunklen Wald der Hauffchen Märchen und Sagen finden.
Nach Hinterwäldler kann man googeln und findet schon unter den ersten 10 Treffern ein gültiges Ergebnis.
Weiterhin hat der Admin des SeeMoz meine ausdrückliche Erlaubnis, das falls die Bundesanwaltschaft mich unter nachweislichem Verdacht des Terrors (Erwerb mehrerer Kühlbeutel in der Apotheke reicht nicht) oder der KiPo (es reicht nicht wenn ich schreibe, das ich meine Kinder nackt gesehen habe) stellt, meine eMail-Adresse auf Antrag zu übermitteln.
Mit freundlichen Grüßen aus Hinterwaldhofen
der hinterwäldler