Kunst am Bau oder Baggerballet als Showdown
ARTE ROMEIAS – „Kunstfestival meets Altbau“ war ein Sommerfest der besonderen Art, das die Baugenossenschaft HEGAU im Juli 2017 in den alten Wohnblocks der Romeiastraße in Singens Oststadt erstmals wagte. Jetzt, am letzten Wochenende, fand das Kunstfestival sein definitives Ende – mit einem Baggerballet, wie es die staunenden ZuschauerInnen so noch nie gesehen hatten. Nun ist Platz für 73 neue Wohnungen.
Vor dem Abriss sollten die Gebäude nochmals aufleben. Künstler und Kreative, Bürger und Flüchtlinge verwandelten als Zwischenmieter für vier Wochen die ehemaligen Arbeiterwohnblocks aus den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts in einen Freiraum für Kunst. Geboten wurden Ausstellungen in 36 Wohnungen mit 82 Räumen und ein Performance-Rahmenprogramm mit Theater, Lesungen, Musik – alles ohne Eintritt, und Bewirtung im mediterran anmutenden Innenhof.
Kunst für den Container
Der Besucheransturm war immens, die Resonanz überwältigend und begeistert … Jung und Alt, Kunstinteressierte und solche, die einfach mal vorbeischauen wollten, Nachbarn, frühere Mieter, Flüchtlinge, die hier einige Zeit Unterkunft fanden – alle nahmen sie teil an dem Sommermärchen, das vier Tage und zwei lange Nächte dauerte. Seitdem boten die wieder leerstehenden Gebäude ein morbides Bild des Zerfalls, manche Kunstobjekte sind wieder abgebaut und anderswo konserviert, die meisten blieben für den Container bestimmt. Wer es verpasst hat, dem sei die Bildgalerie auf der Webseite der HEGAU (www.hegau.com) empfohlen.
Baggerballet als Showdown
„Heute ist es soweit, die ARTE ROMEIAS findet ihr definitives Ende mit einem schwermütigen Tänzchen, dem Baggerballett“, verkündete vergangenen Samstag Axel Niehaus, geschäftsführender Vorstand der HEGAU, und war von Zuspruch und Beifall des auch zum letzten Akt sehr zahlreich gekommenen Publikums begeistert. In dichten Reihen im Innenhof stehend verfolgte dieses gebannt die „Enthüllung“ eines Kunstwerks, das über drei Stockwerke und sechs Räume angelegt war. Mithilfe eines feinfühlig gesteuerten Abbruch-Baggers wurden sicht-versperrende Außenmauern, Stützbalken und verhüllende Planen Schritt für Schritt, zärtlich und grausam endgültig zugleich, vorsichtig abgetragen und von einem zweiten Bagger weggeräumt. Zum Vorschein kam schließlich eine Frauenfigur mit Nudelholz.
Die Schöne und das Nudelholz
Wer ist sie diese Schöne, die aber recht grimmig dreinschaut? Eine zornige Frau, die ihren Gatten nach nächtlicher Zechtour begrüßt oder Singens erste italienische Pizzabäckerin? Falsch: Es sei eine Altmieterin, die über den Abbruch des Gebäudes nicht erfreut sei, klärte Bert Binnig auf. Der Konstanzer Kommunikationsdesigner (Agentur Home Base) hat diese Kontrafaktur eines Maggi-Werbemotivs (im Original ist ein Kochlöffel statt Nudelholz und die Maggiflasche statt Blümchentapete abgebildet) im Team mit Friedrich Haupt, Alexander Scharf sowie Tim und Lena Schäfer geschaffen. Auch er sah das Gemälde zusammengesetzt als großes Ganzes zum ersten Mal nach der Baggerenthüllung. Und auch dessen Stunde schlägt schon bald, wenn nämlich die Bagger auch diese Wände und alle weiteren abgearbeitet haben werden. Danach beginnt der Neubau der „Praxedisgärten“ mit 73 Mietwohnungen.
Das gesamte Kunst-Projekt wird auch begleitet von Studierenden der HTWG Konstanz, die die Erinnerung an dieses vergängliche Kulturereignis ARTE ROMEIAS als Video- und Print-Projekt festhalten werden. Dessen Präsentation soll diesen Sommer erfolgen. Wo, wird noch bekanntgegeben, so Axel Niehaus, denn auch daran dürfte das Interesse wieder riesig sein.
Für die jüngsten Zuschauer war das Abriss- und Enthüllungsspektakel ein besonderes Erlebnis. Sie fieberten richtig mit, erkannten nach und nach die Figur und einige haben auch schon ihren Traumjob für später gefunden: Baggerführer.
Uta Preimesser / Fotos: Dieter Heise
P.S. Ein ganz ähnliches Projekt könnte es bald in Konstanz geben. „operation wundervince“ soll es heißen und installiert werden, wenn das Vince umgezogen ist und vor dem Abbruch steht.