Je suis Jelinek

Wie man aus einer Textfläche der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek eindrucksvolle Bilder und politische Relevanz herausarbeitet, wird derzeit in „Wut“ am Theater Konstanz gezeigt. Zu sehen sind die Facetten des dunklen Gefühls im Konflikt zwischen Konsum und Terror.

Vor zwei Jahren erschossen zwei bewaffnete Terroristen der Al-Qaida elf Menschen in den Redaktionsräumen der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Einen Tag später wurden in einem koscheren Supermarkt in Paris vier weitere Menschen von einem Islamisten getötet. Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek reagierte mit ihrer Waffe auf die Taten: mit der Sprache. Entstanden ist der Text „Wut“, in welchem sie die verschiedenen Facetten dieser Emotion behandelt. Sie zitiert dabei Heidegger, Nietzsche, Goethe, AfD-Politiker, Stammtischparolen, nimmt Bezüge zur Antike, zur Gegenwart, lässt eine verlassene Frau sprechen, kommentiert selbst und beschäftigt sich dabei mit der Thematik der Religionskriege, der Frau im patriarchalen System und der Frage wie man sich in die Ewigkeit einbrennt. Dieser literarische Wutausbruch, in Rage geschrieben, umfasst um die 120 Seiten und kann online auf der Homepage der Autorin (www.elfriedejelinek.com) nachgelesen werden.

Jelinek zu lesen, macht keinen Spaß. Es ist anstrengend. Welch eine Herausforderung ist es dann erst, diesen Text in ein Bühnenstück umzusetzen? Es gibt keine konkreten Figuren, keine vorgeschriebenen Dialoge und würde man nicht kürzen, würde die Inszenierung knappe fünf Stunden andauern. So ist die Uraufführung von „Wut“ derzeit wieder in den Münchner Kammerspielen unter Regie von Nicolas Steman zu sehen (www.muenchner-kammerspiele.de/inszenierung/wut). Im Konstanzer Theater wird auf eine derartige Vollständigkeit verzichtet. Dramaturg Daniel Grünauer hat den Text auf 40 Seiten gekürzt und auf den Ausflug in die Antike zu Hera und Herakles gänzlich verzichtet.

Champagner, Sex und Glitzerschuhe

Der Fokus liegt auf dem Konflikt um die Götter der Moderne. Diese finden sich in zahlreichen Gedankengängen rund um die Religionen, welche in Kontrast gestellt werden zu der hedonistischen Kultur des Westens. Es wird gefeiert, es wird getanzt, es wird gefickt . Als direkte Antwort ertönt die Stimme des Terrors: es wird geschossen, enthauptet und am Blut gerochen. In einem rasenden Wechsel verwischen die zwei zentralen Themen des Stückes: Kapitalismus und Religion. Kapitalismus als Religion? „Die neuen Götter kommen dahin, wo die Sterblichen einkaufen“ heißt es. Die Waffe wird zum Instrument der Wut, zumindest auf Seiten des Terroristen. Denn auch wir halten unsere Waffen in der Hand: das Telefon, das alles filmt und verbreitet. So gehen wir alle ein in die Ewigkeit, machen unseren Namen, unser Gesicht unsterblich.

Spürbar ist die Erfahrung der Regisseurin mit Jelinek-Texten. Meisterhaft übergeht sie die fehlende Handlung, erschafft mit schlichten Werkzeugen gewaltige Bilder, die den Atem stocken lassen. Es ist fast ratsam, einen der hinteren Plätze der Werkstatt zu belegen, um einen Gesamtblick auf die Bühne zu erhalten. Der darauf errichtete kathedrale „Denkraum“ (Konstantina Dacheva) deutet mit Stufen und drei Fenstern den Bezug zum Religiösen an. Darin tun sich unsichtbare Abgründe auf, die ein ständiges Abrutschen, Verschlingen, und Hervorkommen ermöglichen. Ein Gotteshaus für diesen Kampf der selbsternannten Gottheiten und Richter über Leben und Tod.

Rasende Textfläche mit wahnwitzigen Wortspielen

Mit vier Schauspielern, die zu Beginn als „das wertesetzende Tier“ eingeführt werden, gelingt Regisseurin Claudia Meyer der wilde Ritt durch die rasende Textfläche Jelineks. Sie tragen schlichte, zeitlose Kostüme, robenähnliche Umhänge und Glitzerschuhe (Barbara Kurth). Die Farbe Schwarz eignet sich einerseits gut, um die Facette des Glamours darzustellen (das kleine Schwarze und der schicke Smoking), andererseits ist es auch die Farbe des Bösen, es wirkt zugleich gefährlich und „man sieht die Blutflecken nicht“.

Jana Alexia Rödiger, Sebastian Haase und Ralf Beckord zeigen eindrucksvoll die Facetten der Wut, deren Abgrenzung zum Zorn und wie wir dieses Spektrum erleben: unterdrückt, blind, ohnmächtig, rasend, schäumend, tobend oder gelähmt. Allen voran aber spielt sich Katrin Huke in diesem Stück um Kopf und Kragen. Sie wechselt die Stimmungen in einem Tempo und einer Intensität, die den Zuschauer Zeit und Raum vergessen lassen. Sie singt, sie tobt, sie hackt Köpfe von Rümpfen, sie flirtet, sie kreischt, sie tanzt und sie hält inne.

Alles in allem wird in „Wut“ ein zeitgemäßes Phänomen unserer Gesellschaft reflektiert behandelt. Derzeit trifft es auch die Stimmung im Theater Konstanz, wo dem Intendanten Christoph Nix ein weiteres Jahr in seiner Position von der Lokalpolitik versagt wurde. Es bleibt zu hoffen, dass auch nach 2020 noch Inszenierungen mit derart politischem Gehalt und ästhetischem Gewand möglich sind.

Veronika Fischer (Foto: Ilja Mess/Theater Konstanz)

Spieltermine: Mittwoch 7.2 – 20:00 jeweils in der Werkstatt; Freitag 9.2 – 20:00; Mittwoch 14.2 – 20:00 Mittwoch 21.2 – 20:00; Donnerstag 22.2 – 20:00; Donnerstag 8.3 – 20:00; Freitag 9.3 – 20:00. Werkstatt