Von der Lust, heutzutage Komponist zu sein (II)
Im zweiten Teil unseres Gesprächs erzählt der Komponist Wolfgang-Andreas Schultz, wie er Indien für sich entdeckte und welchen Einfluss außereuropäische Kulturen auf sein Komponieren haben. Neugierige Ohren können sich davon am 18.2. im Wolkensteinsaal in Konstanz selbst ein (Hör-) Bild machen. Natürlich beantwortet er auch die Gretchenfrage nach seinen Lieblingskomponisten.
Teil II
Wodurch unterscheidet sich Ihre Musik denn von allem anderen an Musik, was heutzutage entsteht?
Sie wollen mich zu sehr arroganten Sprüchen verleiten (lacht). Also, ich versuche zu integrieren, ältere und neue Ausdrucksformen, außereuropäische und europäische, und zwar nicht als zusammen geklatschte Collage, sondern als echte Durchdringung. Ich versuche dabei auch, eine gewisse Genauigkeit in die Musik hinein zubringen, so dass es eben nicht egal ist, ob an einer bestimmten Stelle eine große oder eine kleine Terz steht. Diese Genauigkeit vermisse ich gelegentlich selbst bei berühmten Kollegen, denen es nur um die Geste geht und nicht um die einzelne Tonbeziehung. Deren Ungenauigkeit lässt Musik oftmals modern erscheinen. Wenn man aber wie ich ein Thema nimmt, in dem sich jeder Ton organisch aus dem anderen entwickelt, dann wirkt das komischerweise überhaupt nicht mehr modern im Sinne des 20 Jahrhunderts. Da arbeiten etliche meiner Kollegen viel oberflächlicher. Ich habe in dieser Hinsicht Basisarbeit am Tonmaterial geleistet, wie es meines Wissens kaum jemand sonst getan hat. Ich hoffe, das ist jetzt nicht zu arrogant gewesen.
Ihr Konzert in Konstanz hat einen deutlichen Bezug zu Indien, gespielt werden unter anderen „Indras Netz“ und „Krishnas Verwandlungen“. Wie ist Ihre Beziehung zu Indien entstanden?
Das ist eine Geschichte, die schon in meiner Schulzeit anfängt, als ich viel romantische Literatur gelesen habe. Dabei stieß ich dann auch auf Friedrich Rückerts Nachdichtungen orientalischer Literatur. Rumi und Hafis haben bei mir gezündet. Ich bin ja ein alter 68er …
… was man auf dem Foto auch sehr deutlich sieht, weniger das Alter natürlich als vielmehr den 68er …
… ich bin 1968 an die Uni gekommen, und jene Jahre waren auch kulturell eine anregende Zeit, weil es damals auch viel aus anderen Kulturen zu hören gab. In Berlin traten beim Festival „Metamusik“ indische Musiker auf, die die Ragas so richtig zwei Stunden lang spielten, nicht diese kleinen Schnipsel, die Sie heute von CDs kennen. Da kamen tibetische Mönche mit ihrem Obertongesang, und das konnte man dann auch alles im Rundfunk nachhören, der heute ja auch sehr dürftig geworden ist. Bei mir hat damals die indische Musik sehr gezündet. Das fand ich extrem spannend, ich habe mir dann auch ein wissenschaftliches Buch über indische Musik gekauft und Aufnahmen besorgt.
Waren Sie in den heroischen alten Zeiten auch schon mal in Indien, etwa auf dem Hippie-Trail? Ich habe es versucht, aber mir hat auf dem Weg dorthin die Vorhut der sowjetischen Armee in Kabul sehr entschlossen den Weg verstellt.
Ich bin nie dort gewesen. Aber seit ich 40 bin, mache ich Yoga und habe mich auch mit der Philosophie etwa von Sri Aurobindo beschäftigt. Das ergibt einen philosophischen Resonanzraum, der weit über das bloße Interesse an den Kompositionstechniken indischer Musik hinausgeht. Das hat sich durch mein Leben hindurch gezogen, auch wenn es immer mal wieder in den Hintergrund geriet. Meine erste Oper etwa schmeckte dann doch mehr nach Puccini und Strauss, was ich bis heute gar nicht schlecht finde, aber auch Berge von Verrissen hervorgerufen hat. Dann kam Indien immer wieder, und ich habe in der indischen Musik ein Denken gefunden, an das ich gern andocke.
Was fasziniert Sie an Ragas?
Ragas sind mehr als Tonleitern. C-Dur ist eine Tonleiter, in der alle Töne aufgereiht sind, die darin vorkommen. Ein Raga funktioniert anders, der hat immer schon eine bestimmte Struktur, das sind melodische Grundformen, da wird ein Ton übersprungen, dann wird der nachgeliefert. Wenn man einen Raga spielt, ist das viel mehr, als wenn man sagt, ich spiele C-Dur. Aber es ist weniger, als wenn ich eine C-Dur-Sonate von Mozart spiele. Jenes Zwischenfeld, auf dem die Identität stattfindet, ist kompositorisch sehr interessant. Damit habe ich mich lange auseinandergesetzt.
Und Europa?
Es gibt natürlich auch europäische Komponisten, die mich sehr interessieren, etwa den Rumänen George Enescu, der nicht zuletzt aufgrund seiner Nähe zum Orient sehr viel von Skalen aus gedacht und heterophone Strukturen geschaffen hat.
Wer sind Ihre drei Lieblingskomponisten?
Bach ist auf alle Fälle dabei. Ich bin Sohn eines Kirchenmusikers, und das hat mich sehr geprägt, denn Bach war in unserer Familie immer präsent, Tag für Tag. Hinzu kam, dass Györgi Ligeti mich als Assistenten für Bach-Kontrapunkt haben wollte. Ich sollte also Kontrapunkt im strengen Bach-Stil unterrichten und habe mich in dieser Phase noch einmal sehr intensiv damit beschäftigt. Mozart müsste ich eigentlich auch nennen – und Schubert, diese drei.
Also eher die frühe Romantik als die Mahler-Romantik?
Mahler bewundere ich manchmal sehr, aber irgendwo ist da auch eine gewisse Distanz. Wenn der mir zu wilhelmisch und zu ich-bezogen daher kommt, ist das nicht mehr so ganz mein Ding. Ich habe mich in meinem Leben mit vielen Komponisten beschäftigt, Schönberg, Berg, Webern, Debussy, Ravel, aber auch Sibelius, ich wollte immer offen sein für verschiedene Ausdruckssphären.
Herr Schultz, vielen Dank für dieses Gespräch.
Harald Borges (mit Material der Südwestdeutschen Philharmonie)
Sonntag, 18.2., 18.00 Uhr, Wolkenstein-Saal im Kulturzentrum am Münster
Hana Gubenko VIOLA
Karoline Renner FLÖTE
Timon Altwegg KLAVIER
Wolfgang-Andreas Schultz WERKVORSTELLUNG
Programm: https://issuu.com/philharmoniekonstanz/docs/takt_winter2017-es
Karten: 18 Euro | ermäßigt: 14 Euro
Kasse im Stadttheater, Konzilstraße 11, 78462 Konstanz, Telefon: 07531 900-150
Öffnungszeiten: Di bis Fr 10 – 19 Uhr, Sa 10 – 13 Uhr
Südwestdeutsche Philharmonie, Fischmarkt 2, 78462 Konstanz, Telefon: 07531 900-816
Öffnungszeiten: Mo bis Fr 9 – 12.30 Uhr
philharmonie-karten@konstanz.de
Online: https://philharmoniekonstanz.showare.ch/SelectSeats.aspx?msg=0&ret=2&eventid=15141&e=15141
Von der Lust, heutzutage Komponist zu sein – Teil I
Perlen vor die Säue? Die Frage stellt sich, da das 2teilige Interview keinem Leser einen Kommentar wert war. Kurz vor knapp – das angekündigte Konzert geht Sonntagabend über die Bühne – dem Verfasser des 2teiligen Komponisten-Interviews ein dickes Lob. Er kann seine Konzertankündigungen, jedesmal brillant, eher selten als O-Ton-Interviews führen, da die meisten der Vorzustellenden schon länger unter der Erde sind. Im vorliegenden Fall nutzt er den glücklichen Umstand, den Komponisten unter den Lebenden zu wissen und führt ein angeregtes und anregendes Gespräch auf Augenhöhe, bei dem auch die Person des Interviewers nicht aussen vor bleibt – ein Umstand, dem viel zu selten Rechnung getragen wird.
Borges versteht es blendend, der interessierten Leserin auf unterhaltsamste Weise eine komprimierte Lektion Musikgeschichte zu vermitteln. Im vorliegenden Interview mit dem Komponisten Wolfgang-Andreas Schultz räumt er das bei vielen von uns Laien verbreitete Vorurteil aus, die zeitgenössische Musik folge brav den Darmstädter Postulaten, wie Neue Musik beschaffen zu sein habe und wie sicherlich nicht, dass sie am IRCAM gemacht und untersucht und in Donaueschingen und am Eclat aufgeführt werde. …. Auch lässt sich in Borges‘ Konzertankündigungen, die für mich mit zum Besten gehören, was ich auf seemoz in unregelmässigen Abständen lesen kann, nie übersehen, dass Musik immer auch politisch war und ist – selbstverständlich auch in der Verurteilung der Tonalen im 20. Jahrhundert durch die Avantgarde. Im Falle eines Komponisten, der Ligeti-Schüler war, sich aber für den tonalen Weg entschieden hat, können wir richtig gespannt sein, wie sich diese musikalische Sozialisation im seinem späteren Selbstverständnis spiegelt. Das Genre der Konzertankündigung ist für mich als seemoz-Leserin erst mit Eurem Autor überhaupt eines geworden, da diese sonst in der Regel dröge und uninspirierend sind und bestenfalls Eckdaten hergeben. Da verzichte ich post festum gerne auf die Konzertkritik, da diese niemals die Freiheit der Vorankündigung besitzt.