Kulturdebatte: Südkurier unter massivem Beschuss

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J.-P. Rau

Der Südkurier hat seine Berichterstattung über lokale Kultur drastisch reduziert und auf die neue Seite „Wir in Konstanz“ eingedampft. In nahezu allen Lagern ist die Empörung über diese Entscheidung groß. Massive Proteste erreichen seit geraumer Zeit die Lokalredaktion, doch Lokalchef Jörg-Peter Rau blockt ab. Auch einen Leserbrief von Museumschef Tobias Engelsing zur Sache ließ er an seiner Schreibtischkante abtropfen. seemoz springt ein und klärt auf.

Es rumort kräftig in der Konstanzer Kulturszene. Verschiedene Kulturinstitutionen protestieren seit geraumer Zeit gegen die Entscheidung der Redaktion und finden sich gerade zusammen, um den Südkurier doch noch zum öffentlichen Gespräch zu bewegen. Auch Lokalpolitiker befinden sich unter den Protestierenden. Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) hat sich schriftlich an Oberbürgermeister Horst Frank gewandt und will das Thema sogar in den Kulturausschuss bringen. Alexander Stiegeler (FWG) und andere Stadträte regen öffentliche Diskussionen an und auch Chöre, Orchester, Theater, Philharmonie und freie Kulturträger können den weitgehenden Rückzug der Tageszeitung aus der lokalen Kulturberichterstattung nicht nachvollziehen.

Schon vor Wochen hat sich auch der Konstanzer Museumschef Tobias Engelsing in die Auseinandersetzung eingeschaltet. Er fordert ebenfalls eine öffentliche Diskussion und erklärte gegenüber seemoz: „ (…) meines Erachtens zieht sich der Südkurier aus seiner Rolle als relevantes Forum einer, im freiheitlich-liberalen Sinne, „bürgerlichen Öffentlichkeit“ zurück und das bedarf einer Debatte.“

Engelsing, einst langjähriger Lokalchef des Südkurier, hat bereits am 11.August einen Leserbrief verfasst. Hier das Schreiben

Rückzug aus der Kultur

Zur neuen Seite „Wir in Konstanz“

Dass sich die Lokalredaktion mit der neuen Seite „Wir in Konstanz“ verstärkt um Vereine und ihre ehrenamtliche Arbeit kümmern will, ist begrüßenswert. Bedauerlich aber ist, dass dieses neue Angebot einher geht mit der Reduzierung der bisher fünfmal wöchentlich erschienen lokalen Kulturseite auf jetzt nur noch zwei lokale Kulturseiten pro Woche. Für die bedeutende Kulturszene mit ihren überaus zahlreichen Angeboten und Kulturinstitutionen, für Musikgruppen und Chöre, Autoren, Tanzkünstler, Kabarettisten und darstellende Künstler wird also weniger redaktioneller Platz zur Verfügung stehen und folglich werden auch weniger Anlässe redaktionell besetzt werden. Im Interesse von vielen Tausend kulturnutzenden Leserinnen und Lesern sollte der SÜDKURIER diesen Teilrückzug aus einem wichtigen, stark frequentierten Teil des lokalen Lebens noch einmal überdenken.

Dr. Tobias Engelsing
Direktor der Städtischen Museen

Damit spricht Engelsing vielen Kulturschaffenden aus der Seele. Doch Lokalchef Jörg-Peter Rau hat kein Interesse an dieser Diskussion. Mehr noch: Engelsings Leserbrief wurde nicht veröffentlicht. Die Begründung dazu liest sich hanebüchen und hochnäsig zugleich:

Lieber Tobias,

ich freue mich, dass die neue Seite „Wir in Konstanz“ auf Dein Interesse stößt. Wir sind uns sicher, dass wir mit diesen journalistischen Angeboten eine breite und relevante Leserschicht für unsere Regionalzeitung ansprechen können. Das zweifellos reiche und vielfältige Kulturleben in der Stadt werden wir selbstverständlich auch weiterhin und auf verschiedenen Sendeplätzen begleiten. Aus diesen Gründen sehen wir von der Veröffentlichung Deines Leserbriefes ab (…)

Mit freundlichen Grüßen

Jörg-Peter Rau

Erst kürzlich hat Südkurier-Chefredakteur Stefan Lutz erklärt, dass die Kulturberichterstattung nur im übrigen Lokalteil verteilt werde und keine Einbußen an Umfängen, Meldungen und Terminbesetzungen zu erwarten seien. Tobias Engelsing kann darüber nur den Kopf schütteln: „Als früherer Zeitungsmann kenne ich solche Erklärungs- und Befriedungsmuster natürlich noch gut und weiß, dass sie eher Beruhigungspillen sind.“

Für Beobachter der Szene ist längst klar: Der Südkurier driftet immer mehr ab in die Blau- und Rotlichtszene. Stefan Lutz, so ein altgedienter Redakteur, „betreibt die Boulevardisierung einer ehemals ernst zu nehmenden Tageszeitung, die, wenn sie so weiter macht, in wenigen Jahren Geschichte sein wird“. Dazu Geschäftsführer Rainer Wiesner, der die Belegschaft gegen sich aufbringt und weiterhin vehement gegen einen Haustarifvertrag ist, sowie Lokalchef Jörg-Peter Rau, der in devoter Karriereerwartung eine Troika komplettiert, die das Blatt an die Wand zu fahren droht.

Doch der Druck gegen die journalistische Verwahrlosung nimmt zu. Wann reagiert die Stuttgarter Zentrale?

Autor: Holger Reile

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