Das Schmierentheater ums Theater
Der Konstanzer Gemeinderat lehnte in nicht öffentlicher Sitzung eine sechsmonatige Vertragsverlängerung für den Intendanten Christoph Nix ab. Seit Tagen rumort es deswegen in der Bürgerschaft. Auch überregional erregt das Thema manches Aufsehen. Der deutsch-schweizerische Schriftsteller Jochen Kelter kommentiert daher exklusiv für seemoz das Geschehen. Hier sein Text:
Wenn es mir in früheren Jahren und Jahrzehnten nach einem Theaterbesuch war, habe ich dieses Bedürfnis, wenn nicht in Berlin oder Paris, zumeist in Zürich und Basel befriedigt. Das hat sich erst in der Ära Nix geändert. Aus guten Gründen. Zunehmend wurde am Konstanzer Theater etwas gewagt. Neben Klassikern konnte man nun auch Stücke sehen, die man früher nicht zu sehen bekam, wohl weil sie für die „Provinz“ als zu ausgefallen, zu anspruchsvoll, zu urban galten.
Das Theater hat sich zur Stadt geöffnet
Nun hat sich aber selbst Konstanz, haben sich seine Bewohner in den vergangenen drei Jahrzehnten zunehmend urbanisiert. Zu dieser Entwicklung hat das Theater aufgeschlossen. Die Schauspieler sind erheblich besser als in früheren Zeiten, Regie, Bühnenbild und Service ebenfalls. Es gibt sogar Theater unter freiem Himmel. Und das Theater hat sich auch anderweitig zur Stadt hin geöffnet, ist zu einer Bühne für allerlei politische Debatten geworden (etwa über den Einfluss von Freihandelsabkommen wie TTIP oder TiSA auf Theater und Kultur), und es gibt Autorenlesungen. Gestiegene Besucherzahlen als Resonanz geben diesem Kurs recht.
Zum Abschluss seiner Intendanz, die 2020 endet, möchte Nix ein Theaterprojekt rund um den See mit dem Titel „Atlantis“ realisieren, eine Entdeckung der Bodenseeregion als urbaner Raum sozusagen, in dem sich das Theater des Lebens auf dem Theater spiegelt. Im Frühsommer sollen ein Schiff oder mehrere dann Theater an verschiedene Orte in den drei Ländern um den See bringen, in Zusammenarbeit vielleicht mit lokalen Theatergruppen. Da die Stadt gerne auch die baden-württembergischen Theatertage 2019 ausrichten würde, beide Projekte am Ende seiner Intendanz aber nicht zu stemmen seien, beantragte Christoph Nix die Verlängerung seiner Amtszeit um ein Jahr. Das lehnte der Gemeinderat in einer geheimen Abstimmung im letzten Quartal 2017 deutlich ab.
Ich weiß etwa, dass man ihm Zweckentfremdung von Mitteln vorgeworfen hat, weil er fünf- oder siebentausend Euro für den Theateraustausch mit Burundi aus dem eigenen Haushalt eingesetzt hat, während die Grundfinanzierung von 20.000 bis 30.000 Euro vom Auswärtigen Amt in Berlin stammte. Der Vorwurf stammt von denselben Leuten, die zwei Millionen pro Jahr in dem (für Konstanz typisch) schlecht vorbereiteten und gemanagten Kongress- und Kulturzentrum „Bodenseeforum“ versenken.
Gemeinderat hat nicht im Interesse der Stadt gehandelt
Auch ohne Kenntnis dieser zynischen Aufrechnung gingen die Wellen hoch am Theater und in der Stadt. Darauf fanden in der Folge Gespräche zwischen dem zuständigen Kulturbürgermeister Andreas Osner, Oberbürgermeister Uli Burchardt und dem Theater statt. Alles schien auf einen Kompromiss hinauszulaufen: eine Verlängerung der Ära Nix um ein halbes Jahr. Aber auch diesen Kompromiss lehnte der Gemeinderat wiederum nicht öffentlich am 22. Februar mit 17 zu 17 Stimmen ab. Damit wird Konstanz nicht Gastgeberin der baden-württembergischen Theater sein, denn Nix möchte zum Abschluss verständlicherweise lieber sein „Atlantis“-Projekt verwirklichen als aufwändige Dienstleistung für andere zu erbringen. Der Gemeinderat hingegen sollte sich im Klaren darüber sein, dass er weder im Interesse des Theaters, noch der Stadt und ihres Rufs oder ihrer BürgerInnen gehandelt hat. Wieder einmal.
Als Außenstehender beobachte ich die Stadtpolitik nun seit über vierzig Jahren. In wechselnder Zusammensetzung hat dieses Stadtparlament immer eher durch Tollhausstreiche und Tricks auch überregional auf sich aufmerksam gemacht denn als Interessenvertreter der Bürger.
Öffentlichkeit ist das Mindeste
In diesem Fall dürften persönliche Animositäten bei der Abstimmung den Sieg gegen Sachargumente davongetragen haben. Christoph Nix ist ein streitbarer Geist und macht sich damit naturgemäß nicht nur Freunde. Aber Vertreter der Bürgerschaft sollten so souverän sein, über menschlichen Anwandlungen und persönlichen Ressentiments zu stehen. Stattdessen verbarrikadieren sie sich nur allzu häufig zusammen mit Verwaltungsspitze und Behörden in einer Wagenburg. Zumal CDU und SPD, die Parteien der wohl auch zukünftigen „GroKo“ in Berlin, die allerdings im Konstanzer Gemeinderat bloß 17 von 40 Sitzen halten, müssen sich fragen lassen, ob Transparenz, also Öffentlichkeit bei derart gewichtigen Abstimmungen nicht das Mindeste sind, was die Bürger von ihren Repräsentanten verlangen können. Und dürfen sich nicht wundern, wenn eben diese Bürger sich bei Wahlen von ihnen abwenden.
Jochen Kelter (Foto: weissbooks)
Aus einer Ablage des Netzes
‚Die Blaue Stunde vom 4.03.18 mit Christoph Nix & Serdar Somuncu‘
https://www.youtube.com/watch?v=bnKgrY7crjM
Die „Neue Zürcher Zeitung“ beginnt ihren Artikel „Wie Intendant Nix am Theater Konstanz abserviert wurde“ mit dem Satz: „Das Theater Konstanz ist eines der erfolgreichsten Deutschlands.“ Siehe :
https://www.nzz.ch/feuilleton/politik-daemmerung-am-vorzeige-theater-ld.1366756
Es ist mir immer noch rätselhaft, was in den Köpfen der Gemeinderatsmehrheit bei ihrem Absägeentscheid vorgegangen sein mag. Oder sollte sich gar meine finsterste Vermutung bestätigen, dass die Entscheidung gegen die unbestreitbar hochklassige Theaterarbeit von Intendant Nix nur eine holzköpfige Polit-Intrige war?
Herzlichen Dank für Ihren sachlichen und kritischen Kommentar. Dieser zeigt, dass Sie als neutraler Beobachter von jenseits der Grenze die Entwicklung in Konstanz mit wachem Verstand und offenen Augen und Ohren verfolgen. Auch Ihrer Einschätzung des Konstanzer Stadtparlaments kann ich aus vollem Herzen zustimmen. Die Entwicklung unserer Stadt, die die Verantwortlichen aus SV und Rat mehrheitlich „Fortschritt in eine Zukunftsstadt“ nennen, betrachte nicht nur ich mit Sorge. Als Konstanzerin gehöre ich damit zu jener Spezies der „ewiggestrigen Fortschrittsbremesen“. Seltsam nur, dass diese „Schwarzseher“ sehr häufig Recht behalten. Leider, denn dieses „Recht haben“ ist zum Schaden unserer Stadt, zu unserem Schaden.