Franz K.: Ein ganz normaler Deutscher
Die Anfänge der Bundesrepublik Deutschland waren mit einem schweren Geburtsfehler belastet: Nur wenige der Täter und Mithelfer an den millionenfachen, fabrikmäßigen Morden und anderen Verbrechen des NS-Terrors wurden vor Gericht gestellt. Richter und Staatsanwälte deckten ihre Berufsgenossen: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Dachte wohl auch Franz K. aus Konstanz.
Viele Taten blieben ungesühnt, weil bis zu einer kürzlichen Grundsatzentscheidung des BGH nur direkte Beteiligung an Mordtaten zu einer Verurteilung führten. Bis zu dieser Grundsatz-Entscheidung wäre Adolf Eichmann in Deutschland vermutlich nicht verurteilt worden, da er den millionenfachen Mord an den Juden ja „nur organisiert“, aber niemanden selbst umgebracht hatte.
Wer bei einem bewaffneten Kiosk-Raub Schmiere steht, wird wegen Beihilfe in der Regel zu mindestens einem Jahr verurteilt. Die große Mehrzahl der Helfer und Helfershelfer des Nazi-Terros blieb straflos oder wurde gar geehrt. Exemplarisch mag dafür der Lebenslauf von Franz K. stehen, einem „ganz normalen“, pflichteifrigen Beamten.
Schon im August 1934 nahm er, umringt von uniformierten Nazis, in Konstanz an einer Feier zu Ehren des Nazis Leo Schlageter teil. Er war, so der Konstanzer Stadtarchivar, Prof. Dr. Klöckler, als Rechtsrat der Stadt Konstanz in einer „Schlüsselposition des lokalen NS-Herrschaftssystems“. Rechtskonservativ, katholisch und hochdekorierter Weltkriegssoldat galt er vielen als pflichteifriger Beamter, oder, wie Klöckler es ausdrückt: „Ohne demokratische Legitimation, in vollem Bewusstsein und nach reichlicher Überlegung, ungezwungen, ja aus freien Stücken wurde er Teil des NS-Unrechtsregimes … Ohne erkennbare Skrupel trug Franz K. das lokale NS-Herrschaftssystems von 1933 bis zu seinem Untergang wesentlich mit.“
Als die Nazis ein Badeverbot am „Hörnle“ für Juden verhängten, erhob er keinen Einspruch, sondern leitete dies einfach weiter. Als die Nazis die Konstanzer Synagoge zerstörten, zwang Franz K. die jüdische Gemeinde, für die Beseitigung der Trümmer zu zahlen.
1943 wurde der am Konstanzer Theater tätige Schauspieler Willy Schürmann-Horster vom Volkgerichtshof „wegen Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt. Ein Freund bat Franz K., dem Anwalt des Verurteilten einen positiven Brief zu schreiben, um den Verurteilten vielleicht so vor dem Fallbeil zu retten. Franz K., ganz Beamter, verweigerte dies: „nicht zuständig“. Willy Schürmann-Horster wurde am 9. April 1943 hingerichet.
Franz K., ganz normaler Deutscher, zeigte auch nach 1945 weder Reue noch Unrechtsbewusstsein. Was er an Unrecht getan hatte, hatte er wohl verdrängt oder gar vergessen. Und nach dem damaligen Justizverständnis hatte er auch keine Verbrechen begangen, sondern nur loyal dem NS-Regime gedient. Er war anerkannt in der Konstanzer Gesellschaft, wurde gar zum Oberbürgermeister gewählt und noch heute ist er Konstanzer Ehrenbürger.
1955 erhielt er von der juristischen Fakultät der Universität Freiburg den Dr. h.c. verliehen. Worin seine wissenschaftliche Leistung bestanden haben könnte, ist unklar.
Auf Anfrage der Friedensinitiative Konstanz überprüfte die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg diesen Dr. h.c. Ein Jahr später kam man auf der Basis eines gründlichen Gutachtens zu dem Schluss: „Fest steht …, dass Herr K. ab 1933 dem Nationalsozialismus als Beamter keinen Widerstand leistete, sondern teils passiv das Unrecht geschehen ließ, teils als Funktionsträger in untergeordneter (sic!) Position aktiv am Unrecht mitwirkte.“ Jedoch habe Franz K. keine herausragende Position im Nationalsozialismus gehabt und keine „schweren Verbrechen“ begangen, weshalb man von einer Aberkennung der Ehrendoktorwürde absehe. Diese Schlussfolgerung folgt zwar nicht so recht dem Grundsatzentscheid des BGH, aber so ist das wohl mit der juristischen Denke.
Nach dieser juristischen Denke ist es wohl weniger strafwürdig, einem Terrorregime loyal zu dienen, als bei einem Kiosk-Raub Schmiere zu stehen. Mal sehen, ob der Konstanzer Gemeinderat Franz Knapp als „ganz normalen Deutschen“ ansieht und ihn weiterhin Ehrenbürger der Stadt Konstanz und Namensträger einer Innenstadt-Passage bleiben läßt..
Maik Schluroff, Konstanzer Friedensinitiative
Bild: Rechtsrat Franz Knapp als Reserveoffizier in Polen, aufgenommen in Andrichau im Winter 1939/40; Stadtarchiv Konstanz Depositum Burchardt (hier: Klöckler S. 170).
@Maik Schluroff
Die Sitzung der Straßenbenennungskommission, die sich auch mit der Causa Knapp befassen wird, sollte im Februar stattfinden. Ich bin mir (fast) sicher, dass Knapp dann nicht mehr länger Ehrenbürger sein wird und auch die nach ihm benannte Passage einen anderen Namen bekommt. Alles andere wäre ein Skandal.
Unverbesserlich …
Auch nach dem Ende des Nationalsozialismus scheint Franz Knapp seine Gesinnung nicht wirklich geändert zu haben: Bei der Konstanzer Erstaufführung von „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert (derzeit erneut in einer sehenswerten Inszenierung im Stadttheater) forderte Oberbürgermeister Knapp vom Theater die Absetzung des Stücks. Er hatte die Aufführung nicht einmal angesehen, sondern die Absetzung hauptsächlich wegen eines Briefes des Nazi-Oberst Gies gefordert.
Noch immer ist Franz Knapp Ehrenbürger von Konstanz, noch immer gibt es die Franz-Knapp-Passage. wie lange noch?
Die Politiker und Juristen haben sich die Dinge schon immer so zurecht gelegt, wie sie in der jeweiligen Gesellschaft passend waren. Null Unrechtsbewusstsein.
In Tübingen wurde kürzlich dem Ex-OB die Ehrenbürgerschaft aberkannt:
https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Dem-Tuebinger-Ex-OB-wurde-Ehrenbuergerwuerde-aberkannt-365943.html
Das Argument, man müsse sich mit der Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft nicht befassen, ist, wenn nicht vorgeschoben, dann zumindest dünn: https://de.wikipedia.org/wiki/Ehrenbürger#Aberkennung_von_Ehrenbürgerschaften