Lasst uns Haut tauschen
Ein Terroranschlag in Schweden hatte vor acht Jahren Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft. Noch Wochen später wurden verdächtig aussehende Personen streng kontrolliert und überwacht. Ein Misstrauen in der Bevölkerung war entfacht. Jonas Hassen Khemeri, halb Schwede, halb Tunesier, litt aufgrund seines Äußeren unter diesem Generalverdacht und verfasste einen öffentlichen Brief an die Justizministerin. Dieser wurde in den Sozialen Medien vielfach geteilt und ist Grundlage für das Theaterstück „Ich rufe meine Brüder“.
„Ich möchte, dass wir Haut und Erfahrungen tauschen. 24 Stunden lang.“, schreibt Khemeri und darum geht es auch Stefan Eberle, der in der Konstanzer Inszenierung Regie führt. Er nähert sich dem Stück aus der Perspektive des Theaterpublikums. „In Konstanz sind ja 98 Prozent der Theatergänger weiß“, sagt er und wählt für die Protagonisten des Stücks „Ich rufe meine Brüder“ Arlen Konietz („das Blondeste, was das Theater hergibt“), Laura Lippmann und Thomas Fritz Jung. „Wenn wir das Stück mit Arabern besetzt hätten, würde sich keiner hier wirklich angesprochen fühlen. Dann würde man das Problem von außen betrachten – wir müssen aber schauen, was es für jeden von uns bedeutet“, so Eberle weiter.
Mit dem Problem, das dargestellt wird, meint er das Leben des jungen Amors. Er kämpft mit den ganz normalen Lebensumständen eines Dreißigjährigen: Er ist verliebt in eine Frau, die ihn nicht will, sein bester Freund ist Vater geworden und hat den Fußball gegen das Baby eingetauscht, und Amors Familie ist weit weg. Er ist verloren, hat seinen Platz nicht gefunden und sucht danach. Und dann kommt diese Geschichte mit dem LKW, der in eine Menschenmenge rast und Passanten tötet.
Und mit ihm kommen die Blicke, wenn man die Straße hinabgeht, im Supermarkt und in der U-Bahn. Amor ist verdächtig, einfach nur, weil sein Aussehen das Klischee erfüllt. Er versucht sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, sich normal zu kleiden – aber was ist schon normal? Das Stück springt zwischen Zeiten und Realitäten. „In den Monologen weiß man manchmal nicht, ob man gerade in der Vergangenheit ist oder in einem Gedankenexperiment oder in der realen Welt von Amor“, erzählt Christine Bertl, Ausstatterin des Stücks in der Spiegelhalle.
Ein Spiel mit der Paranoia, um den Alltagsrassismus abzubauen und das Empathieempfinden zu stärken. Das zumindest ist der Anspruch, den Eberle und Bertl zusammen mit Dramaturg Eivind Haugland vertreten. Immerhin kann es jeden treffen, das hat die Geschichte gezeigt: ob Juden, RAF-Anhänger oder jetzt eben arabisch aussehende Personen. Wenn man den Äußerlichkeiten entspricht, hat man unter den Blicken der Gesellschaft zu leiden und das verändert das ganze Leben.
Zwei Schulklassen haben das Stück in der Entstehungsphase besucht und kommentiert. „Das war spannend“, so Eberle, „ich hab sie zum Beispiel gefragt, welchen Soundtrack man nehmen kann, wenn man durchbrennen will“. Für ihn war es ganz klar der Song „Bonnie und Clyde“ von den Toten Hosen. Die Schüler, um die 14 Jahre alt, kannten aber die Toten Hosen nicht. „Leben die noch?“ hat einer gefragt. „Da habe ich gemerkt, dass ich einfach zwanzig Jahre hinten dran bin“, sagt Eberle. Den Austausch mit den Jugendlichen hat er in das Stück mit einfließen lassen – die Toten Hosen sind raus. Es wird aber trotzdem bunt und schnell, und viel Musik gibt’s auch – es ist ordentlich was los, also nichts wie hin! Am Samstag ist Premiere.
Veronika Fischer (ihr Foto zeigt von links nach rechts: Stefan Eberle, Eivind Haugland und Christine Bertl)
Weitere Termine:
Samstag 10.03 – 20:00 | Donnerstag 15.03 – 19:00 | Freitag 16.03 – 20:00 | Donnerstag 22.03 – 19:00 | Donnerstag 29.03 – 19:00 | Samstag 31.03 – 20:00 | Montag 02.04 – 18:00 | Dienstag 03.04 – 20:00 | Freitag 06.04 – 20:00 | Freitag 13.04 – 20:00 (jeweils Spiegelhalle)