Der Jugend eine Stimme – Radolfzell und Engen machen’s vor

20110920-001130.jpgVor ziemlich genau einem Jahr erteilte der Konstanzer Gemeinderat der Idee eines Jugendgemeinderates (JGR) eine Absage. Fragt sich, ob diese Entscheidung klug war. Womöglich hätten manche hausgemachten Probleme mit Jugendlichen – Lärmbelästigung, Glasverbot, Grillplatz-Schließung – vermieden werden können, wenn es gewählte Gesprächspartner gegeben hätte. Beispiele aus Engen und Radolfzell lassen das vermuten.

Seit fast 20 Jahren bestimmen Jugendliche in Radolfzell mit, erst vorige Woche wurde ein neuer Jugendgemeinderat gewählt (s. Foto). „Wichtig ist“, so Stadtjugendpflegerin Eva-Maria Beller, „dass die Jugendlichen rechtzeitig bei allen für sie wichtigen Fragen mitbestimmen können. Nur so kann Lobbyarbeit für Jugendliche funktionieren“.

Folgerichtig ist in Radolfzell das Mitspracherecht für den JGR organisiert: Er muss auf Wunsch im Gemeinderat gehört werden und ist im Schul- und Sozialausschuss vertreten. Außerdem ist ein gewählter Vertreter automatisch Mitglied des Präventionsrates. Das ist ein kommunaler Arbeitskreis, in dem Vertreter der Stadtverwaltung, der Polizei, von Vereinen und Verbänden sowie ehrenamtliche Bürgerinnen und Bürger zusammen arbeiten. Sogar über ein eigenes Budget von 5000 Euro verfügt die Interessensvertretung der Jugendlichen, das vornehmlich für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben wird.

Die Jung-Parlamentarier zwischen 14 und 21 haben dann auch präzise Vorstellungen von ihrer Mitbestimmung. So wurden von den neuen Mitgliedern als konkrete Ziele zum Beispiel die Erhaltung des Jugendtreffs Bokle, der Ausbau des Politischen Frühstücks und die Weiterführung von ‚Rock am Segel‘ genannt. Und auch bei der Planung einer neuen Skateranlage redet der JGR mit. „Größten Respekt vor diesem Engagement“ bekundete dann auch Stadtjugendpflegerin Eva-Maria Beller bei der Einführung der neuen JGR-Mitglieder durch Oberbürgermeister Dr. Jörg Schmidt.

Der Jugend fehlt Mitbestimmung

In Baden-Württemberg sind rund 1500 Jugendgemeinderatsmitglieder politisch engagiert und setzen sich vor allem dafür ein, das städtische Umfeld für Jugendliche attraktiver zu gestalten.Welche Arbeitsfelder gäbe es da doch in Konstanz: Wäre dann der Grillplatz auf Klein Venedig in einer Nacht- und Nebelaktion geschlossen worden? Bräuchte es Alibi-Veranstaltungen, um ein Glasverbot durchzusetzen, das jetzt sogar vor Gericht angefochten wird? Und das Hick-Hack um vermeintliche Lärmbelästigungen am Seerhein und in der Seestraße könnte endlich in geordneten Bahnen diskutiert werden. Was in Konstanz fehlt, ist ein verbrieftes Mitbestimmungsrecht für Jugendliche.

Der Konstanzer Gemeinderat hingegen hatte in seiner September-Sitzung 2010 der Idee eines Jugendgemeinderates eine Absage erteilt. FGL und Linke Liste sprachen sich damals für die Einrichtung eines solchen Gremiums aus, unter anderem betonten Anne Mühlhäußer und Dorothee Jacobs-Krahnen von den Grünen, dies schaffe mehr Nähe zur Jugend und biete eine verlässliche Struktur statt vager Versprechungen und Absichtserklärungen. Hanna Binder (SPD) und Gabriele Weiner (FWG) sahen die Einführung eines Jugendgemeinderats dagegen skeptisch. Bemerkenswert: Gerade Stadträtin Binder schreibt heute Brandbriefe gegen die Schließung des Grillplatzes auf Klein Venedig und Stadträtin Weiner engagiert sich als Nachtwanderin für die Befriedung jugendlicher Ruhestörer.

Quer durch alle Fraktionen herrschte vor einem Jahr gehörige Skepsis darüber, ob sich die Konstanzer Jugendlichen überhaupt an einem Jugendgemeinderat beteiligen würden. Dies vorher abzuklären und zum Beispiel beim Konstanzer Schülerparlament oder dem Stadtjugendring nachzufragen, bevor im Gemeinderat darüber befunden wird, wäre sicherlich von Vorteil gewesen. Letztlich sprach sich die Mehrheit des Gemeinderates dann gegen die Einführung eines Jugendrats aus.

Wie es anders und besser laufen kann, hat gerade die 10000-Einwohner-Stadt Engen im Hegau vorgemacht. Da fanden sich aus dem Stand genügend Bewerber für einen Jugendgemeinderat, der 2011 erstmals installiert wurde. Und das soll in einer Universitätsstadt wie Konstanz mit 80000 Einwohnern nicht möglich sein? Noch einmal nachdenken, liebe Gemeinderäte…

Autor: hpk/as