Zensur? Repression? Mainstream-Diktat?
Beunruhigende Vorgänge im Kultur-und Pressebetrieb der Region deckt unser Autor Jochen Kelter auf. Dabei geht es ihm weniger um seine Person als um einen ärgerlichen Mainstream-Trend, der sich beiderseits der Grenze breit macht. Wehret den Anfängen …
Neben dem Theater St. Gallen ist das Stadttheater Konstanz das zweite wichtige Theater in der Region. Und offenbar zur Zeit eines der interessantesten in Deutschland. Intendant Christoph Nix hat es in den vergangenen Jahren geschafft, das Theater zur Stadt hin, für ein urbanes Publikum zu öffnen. das den Spielplan mit einer Mischung aus Klassikern, modernem, oft politischem und Jugendtheater samt den moderaten Preisen goutiert. Welche Stadt mit knapp über 80 000 Einwohnern und einem Sparbudget von 8,2 Millionen Euro kann 100 000 Eintritte pro Jahr vorweisen? Und noch etwas hat er geschafft: Die Mindestgage von dürftigen 1600 auf 2000 Euro zu erhöhen, ein Präzedenzfall, der nun auch vom Deutschen Bühnenverein übernommen wird (zum Vergleich: Am Schauspielhaus Zürich beträgt die Mindestgage 4100 Franken).
Den Abschluss seiner Intendanz, die 2020 endet, wollte Nix mit zwei Großanlässen begehen. den baden-württembergischen Theatertagen, die die Stadt gerne in ihren Mauern gesehen hätte, und dem Projekt „Atlantis“: Theater rund um den See und auch auf navigierbarem Untersatz. Da er sich beides unter Zeitdruck nicht zutraute, bat er um eine Verlängerung seines Vertrags. Man stellte ihm in Gesprächen mit dem Kulturbürgermeister den Kompromiss einer halbjährigen Weiterbeschäftigung in Aussicht. Als es Ende Februar zum Schwur kam, lehnten Verwaltung und Gemeinderat in nicht öffentlicher Sitzung den Kompromiss ab. Zensur? Nein. Repression sehr wohl. Die Stadtverwaltung wird einen für das Theater segensreichen, für die Politik lästigen, weil unbequemen, Theaterchef los, der sich den Mund nie verbieten ließ.
Die Ignoranz des Kulturredakteurs
Die Monopolzeitung auf der deutschen Seeseite, der Konstanzer Südkurier, ignoriert das Projekt der literarischen Jahresschrift Mauerläufer auch in seinem fünften Jahr, die Ausgabe 2018 erscheint im Mai, konsequent. Ein Kulturredakteur äußerte schon vor Jahren sinngemäß, so etwas bräuchte man hier nicht. Die Leser und Käuferinnen unseres Vogels, der einen Einblick in das literarische Schaffen der Gegenwart in den drei Staaten um den See gibt, sind da wohl anderer Meinung, ebenso wie die übrigen Medien nicht nur am See. Sonst gäbe es unser Projekt – ich bin einer der sechs ehrenamtlichen Herausgeber – wohl nicht mehr. Zensur? Keinesfalls. Repression? Auch nicht. Aber Ignoranz. Vielleicht zu schwer verdaulich, zu weit weg vom Mainstream für die Kulturredaktion. Die Zeitung erfüllt damit schlicht ihren Kulturauftrag nicht, der darin besteht, die Leser/innen über das, was in der Region vor sich geht, zu informieren.
Letztes Beispiel. Im Herbst 2017 habe ich einen, wie ich fand, eher harmlosen, vor allem beschreibenden Artikel über Flüchtlinge und Flüchtlingsarbeit in der Ostschweiz geschrieben. Für mich völlig unverständlich wurde er in der Thurgauer Zeitung im November derart zerpflückt und zusammengestrichen, dass er sich las wie eine Adventsgeschichte über die kleinen Negerlein. Kein kritisches Wort mehr zu den Behörden oder der unseligen Entwicklungs- und Handelspolitik des Westens (nicht nur) in Afrika. Ein klarer Fall von Zensur. In der neuen Ausgabe des Mauerläufer, die dem Motto WortMachtWort auf der Spur ist, kann man den Text integral nachlesen.
Was ist da postkolonial?
Aber es kommt noch schöner. Das linke St. Galler Kulturmagazin Saiten weigerte sich, den Text abzudrucken. Der Blick auf die Flüchtlinge sei ein postkolonialer und kapitalistischer. „Wenn es um Rhythmus ginge statt um Grammatik, wären sie (die Flüchtlinge) uns weit überlegen“: Und reproduziert damit auch noch den eigenen postkolonialen Blick. Zensur von den Gutmenschen, ach du heiliger Bimbam, die hat uns gerade noch gefehlt. Allesamt sind dies beunruhigende Signale in einer Zeit pseudoliberalen Mainstreams, der, so scheint es, nur von der Rechten bekämpft wird.
Jochen Kelter