Lässt sich Obdachlosigkeit verhindern?
Ein Bericht des Sozial- und Jugendamtes (SJA) stellt erstmals umfassend sämtliche Maßnahmen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit in der Stadt Konstanz dar – ein Nachschlagewerk für Betroffene, soziale Einrichtungen und interessierte BürgerInnen.
Eine gute Mischung unterschiedlicher Bevölkerungsschichten und Lebensentwürfe ist wichtig für eine gesunde, städtische Sozialstruktur. Die Stadt Konstanz unternimmt daher nach eigenen Worten verschiedene Anstrengungen, um dieses Mischverhältnis zu erhalten. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen, einen Wohnungsverlust zu verhindern. Das nun erschienene Konzept zur Verhinderung von Obdachlosigkeit und Obdachlosenhilfe stellt die wesentlichen Fakten zum Thema „drohender Wohnraumverlust“ und entsprechende Hilfsmöglichkeiten vor.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Thema „Obdachlosigkeit“ meist mit Menschen, die von Stadt zu Stadt ziehen, oder aus der Gesellschaft ausgeschlossenen Personen verbunden. Dabei ist die Gruppe der Betroffenen „aus der Mitte der Gesellschaft“, denen Wohnungsverlust droht, weitaus größer: 2017 waren in Konstanz laut Beratungsstelle des SJA 121 Kinder und Jugendliche von Wohnungsproblemen und drohendem Wohnungsverlust der Eltern betroffen. Tatsächlich durch das Bürgeramt untergebracht waren im Vorjahr sogar 206 Personen.
Kern der Präventionsarbeit ist, die Betroffenen frühzeitig ausfindig zu machen und mit dem Hilfesystem zu vernetzen. Gemeinsam werden die Ursachen der (drohenden) Obdachlosigkeit geklärt und je nach individueller Situation passgenaue Unterstützung vermittelt. Dazu gehören beispielsweise Schuldner-, Familien- oder Suchtberatung und auch Arbeitsmaßnahmen durch das Jobcenter. Weitere Maßnahmen sind zum Beispiel die Notversorgung mit Übernachtungs-Möglichkeiten durch das Bürgeramt sowie mehrere Obdachlosenunterkünfte in Konstanz.
Außerdem stehen stadtweit 37 Wohnungen und zwei kleinere Häuser für Personen zur Verfügung, die auf dem „ersten“ Wohnungsmarkt keine Bleibe finden. Aber auch das Bürgeramt, das Sozial- und Jugendamt, die AGJ-Wohnungslosenhilfe oder verschiedene Initiativen wie das Projekt Wohnraumakquise unterstützen Betroffene bei Bedarf.
Der nun erschienene vollständige Bericht ist über den Sozialen Dienst des SJA zu beziehen sowie online auf www.konstanz.de unter „Familie & Gesellschaft, Gesundheit & Soziales“ zu finden.
MM
Der Ansatz ist gut und richtig. Und nur durch die Vernetzung der verschiedenen Akteure kann es gelingen, Obdachlosigkeit rechtzeitig abzufangen. Wir dürfen aber den Anspruch nicht zu hoch setzen: Im Augenblick gelingt uns nicht viel mehr, als Wohnungslosigkeit zu verwalten und mit Notmaßnahmen einzugreifen. Daher ist besonders der Aspekt, Hintergründe für die Situation der betroffenen Menschen zu erfragen, von wegweisender Bedeutung. Wie schnell können wir heutzutage bedürftig werden? Scham und Depression lassen uns viel zu spät selbst reagieren, meist erst dann, wenn die Obdachlosigkeit bereits akut wird. Deshalb scheint es mir dringend, dass wir einerseits die Niederschwelligkeit der Hilfsangebote ausbauen, andererseits aber auch die aufsuchende Hilfe stärken. Von alleine tun sich viele Menschen schwer, ihre Situation einzugestehen, sich mit ihrem Leid an Behörden und Verwaltungen zu wenden. Deshalb bin ich dankbar, gerade auch all jenen, die sich als unabhängige Organisation, als Träger abseits der öffentlichen Strukturen engagieren, um denen eine offene Tür zu bieten, die aus lauter Selbstzweifel Mühe haben, den ersten Schritt zum Neubeginn zu wagen.
Es ist richtig und wichtig, dass die zukünftige Berichterstattung zum Thema Wohnungslosigkeit regelmäßig fortgeschrieben und stärker in den öffentlichen Fokus gerückt werden soll. In diesem Zusammenhang erinnere ich gerne an die regelmäßigen Vorstöße der Linken Liste, nicht zuletzt durch die ehemalige Stadträtin Vera Hemm, wieder einen Armuts- bzw. Reichtumsbericht der Stadt Konstanz zu etablieren. Der letzte stammt aus dem Jahr 2002. Dass bisher kaum etwas in diese Richtung passiert ist, halten wir angesichts der wachsenden Armut und Wohnungslosigkeit für ein großes Versäumnis (der Zuwachs der Obdachlosenzahlen von 2012 auf 2017 beträgt über 100 Prozent). Das bedeutet u. a., mehrere stadtnahe und wenn möglich auch gemischte Unterbringungsmöglichkeiten bzw. Wohnprojekte müssen zeitnah bei allen zukünftigen städtischen Vorhaben ins Auge gefasst werden. Stadtnähe ist wichtig, um Ausgrenzung und Stigmatisierung vorzubeugen. Bisher gibt es außerdem nach meinen Informationen keine geeigneten Unterkünfte im Kreis, in die Hunde mitgenommen werden können. Für einige Wohnsitzlose und ihre tierischen Begleiter, die für Schutz und Wärme sorgen, ein riesiges Problem.
Und abschließend noch ein Hinweis auf eine spannende Veranstaltung kommenden Dienstag, 10.04., 19 Uhr im Café Mondial (input Konstanz):
Zwangsräumungen verhindern – „Wir bleiben alle“. Eine Veranstaltung über Proteste gegen Mieterhöhungen, Verdrängungen und Zwangsräumungen mit Aktivist*innen aus Berlin.