Eingeknickt
Regierung und Stiftungsrat beschließen einvernehmlich, die Rechte der Kulturstiftung des Kantons Thurgau entscheidend zu beschneiden. Die Kulturstiftung ist eine von der Regierung unabhängige Instanz, die zur Aufgabe hat, zeitgenössisches, professionelles Kunstschaffen (Bildende Kunst, Musik, Film, Fotografie, Literatur) zu fördern. Sie verfügt über 1,1, Millionen Franken im Jahr.
Die Mitglieder des Stiftungsrats der kantonale Kulturstiftung dürfen ab 2019 keine eigenen Gesuche, also Anträge zur Förderung von Kultur-Projekten, mehr einreichen. Und dies, obwohl sie bei solchen Gesuchen in den Ausstand treten mussten, bei der Prüfung nicht anwesend sein durften und auch im Nachgang nicht über den Inhalt der Diskussion über ihr Gesuch informiert wurden. Dafür wird die Amtszeit der Stiftungsräte auf maximal zwei Amtsperioden von je vier Jahren beschränkt (statt bislang drei Perioden). Und über die jährliche Mittelzuweisung aus dem Lotteriefonds entscheidet in Zukunft nicht mehr die Regierung, sondern der Grosse Rat, also das Parlament.
Das klang vor eineinhalb Jahren, beim Vorstoß von SVP-Parlamentariern zum „Selbstbedienungsladen“ Kulturstiftung noch ganz anders. Als de facto-Berufsverbot für Kulturschaffende im Stiftungsrat bezeichnete die Regierung damals diese Forderung. Der Stiftungsrat besteht aus neun Personen, drei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, drei Kulturvermittlern und drei Kulturschaffenden .Die Grenze zwischen den letzten beiden Gruppen ist fließend: Kulturschaffende sind häufig auch Kulturvermittler – so habe ich etwa im Auftrag der Stiftung das Thurgauer Literaturhaus in Gottlieben aufgebaut und fünf Jahre geleitet, wie übrigens auch zwei meiner Nachfolger, die ebenfalls als Autoren im Stiftungsrat saßen. Kulturvermittler haben immer wieder ihr Kapital, die Beziehungen zu Künstlern/innen eingebracht. Hätten sie keine entsprechenden Gesuche gestellt, hätte manche Theateraufführung, mancher Chorauftritt nicht stattgefunden, hätte sich manche Künstlerin, mancher Fotograf nicht weiterentwickelt.
Sogar Personen aus dem öffentlichen Leben haben schon als Stiftungsräte „eigene“ Gesuche eingereicht. Anders etwa gäbe es das inzwischen schon traditionsreiche Jazzfestival „Generations“ in Frauenfeld nicht. Dieses Potenzial also wird nun auf dem Altar der Abschaffung eines „Selbstbedienungsladens“, einem populistischen Popanz geopfert. Die derzeitige Präsidentin des Stiftungsrats, Renate Bruggmann, meinte, man habe die Statuten einvernehmlich mit dem Kulturamt des Departements für Erziehung und Kultur (DEK) geändert, nun müsse man halt schauen, wer in Zukunft noch bereit sei, im Stiftungsrat mitzuarbeiten.
Die Zahl der Kulturschaffenden wie der Kulturvermittler im Thurgau ist überschaubar. Es scheint also mehr als fraglich, ob sich zukünftig noch genügend qualifizierte Stiftungsräte finden werden, wenn die Kandidaten und Kandidatinnen genau wissen, dass sie die Durststrecke von acht oder zumindest vier Jahren lang keine eigenen und keine Gesuche für Projekte einreichen dürfen, zu denen sie eine Beziehung oder an denen sie Interesse haben.
Der Wortführer von 2016, Kantonsrat Urs Martin (SVP), sagte, es gebe zwar noch weitere Kritikpunkte, im Großen und Ganzen aber sei er zufrieden und könne sich vorstellen, sich selbst einmal in den Stiftungsrat wählen zu lassen. Dann aber werde er sicher kein eigenes Gesuch stellen. Letzteres darf man ihm ohne Zögern abnehmen, ersteres würde bedeuten, den Bock endgültig zu Gärtner zu machen.
Diese Statutenänderungen, die gravierende Einschnitte in die Autonomie der Kulturstiftung bedeuten, erfolgen nicht zufällig zu einer Zeit zunehmenden Sozial- und Kulturabbaus sowie restriktiver Kontrollmaßnahmen bis hin zu Repression auf beiden Gebieten .
Jochen Kelter (Foto: kulturamt tg)
Der Autor war Mitbegründer der Kulturstiftung des Kantons Thurgau und von 1990 bis 2003 Mitglied des Stiftungsrats.