Wie gefährlich ist Radeln in Konstanz?

Wer öfter einmal mit dem Fahrrad unterwegs ist, kennt sie: Jene brenzligen Situationen, in denen es gerade noch mal gutgegangen ist: Eine plötzlich aufgerissene Autotür, ein Herrenmensch, der einen hupend von der Fahrbahn zu fegen versucht – aber auch eigene Fehleinschätzungen etwa der Höhe einer Bordsteinkante, des eigenen Alkoholisierungsgrades oder die schlechte Sicht in einer regnerischen Winternacht führen zu Unfällen. Wie gefährlich leben RadfahrerInnen in Konstanz wirklich?

Die Fälle, in denen es nicht noch einmal gutgegangen ist, erfasst die polizeiliche Unfallstatistik, die naturgemäß einigen Einschränkungen unterliegt, wie Paul Brühl vom Polizeipräsidium Konstanz bei seiner Präsentation im Arbeitskreis Radverkehr erläuterte. Die Statistik, um die es hier geht, erfasst jene Unfälle der Jahre 2013-2017, die innerorts mit der Beteiligung von Radfahrern stattfanden und der Polizei gemeldet wurden. Außerdem handelt es sich nur um jene Unfälle, bei denen es einen Personenschaden gab und/oder eine Verkehrsstraftat wie Trunkenheit oder Unfallflucht vorlag oder zumindest einer der Beteiligten eine Ordnungswidrigkeit beging. Bagatellunfälle und solche Unfälle, die der Polizei gar nicht erst gemeldet wurden, werden von dieser Statistik nicht erfasst. Das alles ist bei den folgenden Zahlen zu bedenken.

In Konstanz hat sich die Zahl der erfassten Unfälle mit mindestens einem beteiligten Radfahrer in fünf Jahren kontinuierlich erhöht: von 162 auf 237, also um 46 Prozent. Im selben Zeitraum stiegen die Zahlen im gesamten Baden-Württemberg nur um 16 Prozent. Uneinheitlich hat sich hingegen die Zahl der Radunfälle mit Personenschaden in der Konzilstadt entwickelt: Die Zahl der Leichtverletzten ist von 115 auf 201 gestiegen, die der Schwerverletzten (jener, die stationärer Behandlung bedurften) gegen den Landestrend von 33 auf 27 gesunken, bei starken Abweichungen in den einzelnen Jahren. Die Zahl der getöteten RadfahrerInnen schwankt jeweils zwischen null und zwei.

Ein gefährliches Pflaster

Die Steigerungsraten der Personenschäden liegen in Konstanz deutlich über jenen anderer Städte wie Karlsruhe, Heidelberg, Freiburg oder Tübingen. In Karlsruhe etwa sind die Zahlen der Unfälle unter Beteiligung von Radfahrern in etwa konstant geblieben, in Tübingen, das ungefähr so viele Einwohner wie Konstanz hat, sind sie zwar leicht gestiegen, aber die absoluten Zahlen sind wesentlich geringer.

Dafür gibt es viele mögliche Ursachen: Bessere Radverkehrsanlagen, eine übersichtlichere Verkehrsführung oder eine geringere Radnutzung kommen als Ursachen für niedrigere Unfallzahlen ebenso in Betracht wie eine abschreckend hügelige Topographie. Auffällig ist jedenfalls, dass Konstanz in den meisten Jahren der traurige Spitzenreiter in Baden-Württemberg war, was den Anteil der verunglückten RadfahrerInnen an der Gesamtzahl der im Verkehr Verunglückten anbelangt: In der Bodenseemetropole sind konstant rund 50 Prozent der im Verkehr Verletzten Menschen, die auf dem Rad oder Pedelec unterwegs waren. In Städten wie Reutlingen, Singen oder Ulm liegt deren Anteil hingegen nur zwischen 24 und 29 Prozent. Im Jahr 2017 allerdings ist Radolfzell mit einem RadlerInnenanteil an den Verletzten von 56,2 % knapp an Konstanz vorbeigezogen.

Diese Zahlen sagen natürlich wenig, so lange man nicht die jeweiligen prozentualen Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel an den insgesamt zurückgelegten Personenkilometern kennt. Natürlich wird in einer Stadt, in der das Fahrrad ein besonders beliebtes Verkehrsmittel ist, der prozentuale Anteil verunglückter RadlerInnen höher sein als in einer Stadt, in der mensch sich bevorzugt zu Fuß, im Auto oder in der Straßenbahn fortbewegt.

Wen brezelt es?

Interessant ist die Verteilung der verunfallten VelofahrerInnen nach Altersgruppen. Hier ist in Konstanz der gegenüber dem Land wesentlich stärkere Anteil der Altersklasse 18-24 Jahre auffällig. Für Paul Brühl hängt das mit dem hohen Studierendenanteil zusammen. Diese ZweiradfahrerInnen legen sich aber nicht anders auf die Nase als andere Altersklassen, denn sie stellen 15 Prozent der Personenschäden im Verkehr gegenüber 10 % im gesamten Baden-Württemberg. Dafür liegt der prozentuale Anteil der in Konstanz verletzten 14-17-Jährigen mit rund 5 Prozent regelmäßig unter dem Landesdurchschnitt von etwa 10 % der verletzten VerkehrsteilnehmerInnen. Die Zahl der unfallbeteiligten RadfahrerInnen an den insgesamt Beteiligten liegt im Land bei 59 %, in Konstanz hingegen bei 69 Prozent.

Es ist zu bedenken, dass es oft mehrere an einem einzigen Unfall Beteiligte gibt. Ein Beispiel zum Verständnis: Ein Autofahrer fährt in eine Vorfahrtsstraße ein und mangelt dabei einen Radfahrer nieder, der auf dem Radweg entgegen der Fahrrichtung unterwegs ist. Dann wird der Autofahrer als der Beteiligte mit der größten Schuld (Vorfahrt nicht beachtet) als Unfallbeteiligter 01 erfasst, der Radfahrer, den nur die geringe Schuld des Fahrens in falscher Richtung trifft, erhält die Nummer 02. In der Statistik werden die 01er dann als Hauptunfallverursacher geführt.

In den Jahren 2013-2017 waren bei allen Unfällen mit Radbeteiligung die RadlerInnen im Ländle zu 54 % Hauptunfallverursacher, in Konstanz hingegen zu 64 Prozent. Dementsprechend liegt in Konstanz die Zahl der schuldigen AutofahrerInnen unter dem Landesschnitt. In den Fällen, in denen motorisierte Verkehrsteilnehmer die Hauptschuld trifft, geht es auffällig häufig um die Missachtung der Vorfahrt und Unfälle beim Abbiegen. Radfahrer hingegen verursachen Unfälle gern durch Fahren entgegen der Fahrtrichtung, unangemessene Geschwindigkeit, im Suff und zu einem kleinen Teil ebenfalls durch falsches Abbiegen.

Wo wird der Blutzoll entrichtet?

Es gibt in Konstanz – wenig überraschend – erkennbare Unfallhäufungen vor allem entlang der Hauptverkehrsachsen, während es etwa im Musikerviertel, in Staad oder im westlichen Paradies kaum zu Unfällen mit RadlerInnenbeteiligung kommt. Anderes erstaunt, etwa dass es auf der Petershauser Seite der alten Rheinbrücke trotz der unübersichtlichen Radverkehrsführung praktisch keine der Polizei bekannten Unfälle gibt und dass auch der Herosé-Park kein Unfallschwerpunkt ist.

Über die Ursachen für die Unfallzahlen lässt sich nur spekulieren. Aus Sicht der Polizei ist es vor allem die Disziplinlosigkeit der Menschen auf zwei Rädern, die aufgrund der geringen Bußen und der niedrigen Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, Verkehrsregeln großzügig ignorieren und auch gern mal entgegen der Fahrtrichtung unterwegs sind. Durch die Aufhebung der Radwege und die Führung der RadlerInnen zusammen mit den Autofahrern direkt auf der Straße hofft sie in Zukunft, die Zahl der Abbiegerunfälle zu vermindern. Man darf natürlich auch gespannt sein, wie sich die Einrichtung weiterer Fahrradstraßen auf die Unfall- und Verletztenzahlen und auf den Anteil des Radverkehrs am Verkehrsmix überhaupt auswirkt. Ansonsten gilt: Helm drauf und Augen auf.

O. Pugliese