Wen kümmern schon einstürzende Fabriken?
Was kann ich ganz konkret tun, um dem Klima weniger zu schaden und vielleicht ein wenig nachhaltiger zu leben? Eine Antwort darauf will das Projekt „Wir im Quartier“ der Stadt Konstanz geben. Jede/r kann an verschiedenen Aktivitäten teilnehmen und erfahren, wie man/frau in den Bereichen Ernährung, Konsum, Mobilität, Energieverbrauch oder Abfall im Alltag etwas für den Klimaschutz tun kann. Wir haben eine Exkursion zu „Nachhaltiger Mode in Konstanz“ mitgemacht – und dabei einiges gelernt.
Ein Marxist sei er keinesfalls, erzählt Stefan Niethammer in seinem schmucken Laden „Blässhuhn“ in der Gerichtsgasse, aber als Absolvent einer betriebswirtschaftlichen Hochschule kenne er die marktwirtschaftlichen Mechanismen sehr genau und könne sie auch kritisch hinterfragen. Ein Wissen, das der Mitbegründer des Unternehmens 3FREUNDE nutzt, um gerechter und ökologischer zu wirtschaften, und das durchaus mit globalen Auswirkungen. Seine Konstanzer Firma vertreibt und bedruckt T-Shirts und andere Textilien, die ganz bewusst nach ökologischen und sozialen Kriterien erzeugt werden.
Da geht was
Was bedeutet das in der Textilbranche, deren Image geprägt ist von Pestizideinsatz, vergiftetem Wasser und Hungerlöhnen, die für Baumwollbauern, NäherInnen und deren Familien kaum zum Überleben reichen? Von Verhältnissen also, die viele Menschen in der Dritten Welt vom Land in die Elendsquartiere der Städte fliehen und in zusammenbrechenden Textilfabriken schuften lassen?
Zunächst einmal bedeutet es für Stefan Niethammer eine ökologische Produktion von Baumwolle komplett ohne Pflanzenschutzmittel. Im Baumwollanbau machen solche Chemikalien nicht nur die Bauern und ihre Familien krank und vergiften das Grundwasser, sondern sie schaffen auch ökonomische Abhängigkeiten: Auf einem Baumwollfeld, das besprüht wurde, wächst lange nichts anderes mehr als Baumwolle. Ein Produzent kann also nicht einfach auf eine andere Feldfrucht umstellen, wenn sich das als lohnender erweist, sondern ist durch den Gifteinsatz auf Gedeih und Verderb auf die Baumwolle und deren schwankenden Weltmarktpreis angewiesen. 3FREUNDE bezieht seine Produkte aus Indien und bietet aus den genannten Gründen nur Kleidung aus nachvollziehbar ökologisch angebauter Baumwolle an.
FairTrade ganz konkret
Ein weiterer Aspekt, auf den Stefan Niethammer großen Wert legt, ist der ethische: Alle an der Produktion Beteiligten sollen existenzsichernde Löhne erhalten. Daher haben die Konstanzer in Indien eine eigene Näherei gegründet und zahlen dort Löhne, die um 33 Prozent über dem indischen Mindestlohn liegen, den Niethammer als „Farce“ bezeichnet. Außerdem werden die ArbeiterInnen dort bewusst für verschiedene Tätigkeiten und Maschinen qualifiziert und können so entlang der gesamten Produktionskette tätig werden.
Ein wichtiges Umweltschutzziel ist die Abfallvermeidung, und das heißt ganz konkret, möglichst wenig Stoff nach dem Zuschneiden wegzuwerfen. Deshalb gibt es T-Shirts, die aus mehr Einzelteilen als gewohnt zusammengenäht sind, so dass bei den Zuschnitten praktisch kein Abfall entsteht. Auf die Frage, ob seine von Fairtrade und nach dem Bio-GOTS-Standard zertifizierten T-Shirts denn vielen Menschen nicht zu teuer seien, reagiert Niethammer nachdenklich: Natürlich sei es für etliche Menschen aus wirtschaftlichen Gründen nicht anders möglich, als sich ein T-Shirt für 3,95 € beim Billigheimer zu holen. Aber dieser einseitige Vergleich hinke, man müsse nur einmal das obere Preissegment betrachten: Seine T-Shirts gibt es ab 19,90 €, und das sei nur ein Bruchteil dessen, was für vielbeworbene Markenprodukte hinzublättern sei. Und die würden trotz ihres wesentlich höheren Preises ohne jede Rücksicht auf die Umwelt und zu Drittwelt-Hungerlöhnen produziert.
„Der Teufel trägt Prada,“ wollte er damit vermutlich sagen …
Aus alt mach neu
Einen anderen Aspekt klimafreundlicher Kleidung erlebten die Mitglieder der von Judith Wehr geleiteten Gruppe in der Inselgasse bei „StoffWechsel“. Diese Schneiderei und Stickerei besteht seit acht Jahren und wird von zwei Geschäftspartnerinnen betrieben. Kaelyn Mahony ist seit vier Jahren mit von der Partie und wendet sich vor allem gegen Fast Fashion, also die Wegwerfmentalität, die wenig getragene Kleidungsstücke schnell in den Müllcontainer wandern lässt. Ihre Spezialität ist vielmehr das Upcycling, also das Überarbeiten gebrauchter Kleidungsstücke, bei dem mit viel Phantasie oft ganz neue Kreationen entstehen. So wird aus einem Tischläufer eine Weste, oder ein eingelaufener Wollpullover wird gedehnt und mit anderen Materialien verlängert.
Auf diese Weise lässt sich die Nutzungszeit vieler Kleidungsstücke erheblich strecken, was die natürlichen Ressourcen schont. Daher kann man Mahony immer wieder auf Flohmärkten begegnen, wo sie nach gebrauchter Kleidung sucht. Man merkt ihr das Vergnügen daran an, mit viel Phantasie kreative Einzelstücke zu schneidern oder auch einmal ein vom Zerfall bedrohtes Lieblingsstück originalgetreu nachzubauen und andere ungewöhnliche textile Probleme zu lösen. Zwei für sie wichtige Kundensegmente sind leistungsbewusste Sportler, deren bei Stürzen oder beim Klettern beschädigten hochwertigen Sportutensilien von ihr repariert werden, sowie Unternehmen, die Textilien etwa mit ihrem Logo individuell besticken lassen wollen.
In der Inselgasse arbeitet frau nicht nur ökologisch, sondern auch sozial bewusst. Die angebotenen Kleidungsstücke tragen keine Preisschilder. „Sliding Scale“ ist das Stichwort, was meint, die Preise nicht nur an den Herstellungskosten, sondern auch an der wirtschaftlichen Lage der jeweiligen Kunden auszurichten. Wer mehr hat, zahlt dann eben etwa mehr, aber bei der Einzelanfertigung und Reparatur ist ohnehin vieles Verhandlungssache.
Ziel der beiden StoffWechslerinnen ist das, wovon vermutlich alle Kreativen im Bereich Mode träumen: Eine eigene Kollektion aus – in ihrem Fall schon abgelegten – Kleidungsstücken. 2019 soll es soweit sein, aber bis dahin wird hier sicher auch noch so manche Bikerhose ihre Wiederauferstehung feiern, so mancher filzige Pullover zu Handschuheinlagen umgeschneidert und so manches ungewöhnliche Stück für Hochzeit oder Abifeier zugeschnitten.
Die Moral von der Geschicht‘
An diesem Abend wurde beim Gang durch die Niederburg deutlich, wie sehr unser aller tägliche Konsumentscheidungen die Umwelt und damit auch das Klima beeinflussen können. Die meisten KonstanzerInnen haben die Möglichkeit, sich für langlebige, ökologisch und sozial verträgliche Produkte zu entscheiden. „Wir wollen erfahrbar machen, dass jede/r von uns täglich dazu beitragen kann, das Klima zu schonen, um unsere überlebenswichtigen Klimaziele zu erreichen,“ umreißt Lorenz Heublein, bei der Stadt Konstanz für das Kilmaschutzkonzept verantwortlich, die Grundidee von „Wir im Quartier“.
Es bleibt im Interesse künftiger Generationen zu hoffen, dass diese Idee von möglichst vielen Menschen verinnerlicht wird und ihr Verhalten nicht nur in Sachen Energieverbrauch oder Mobilität verändert, sondern sie auch beim täglichen Einkauf beeinflusst. Das Angebot ist da, jetzt muss die Nachfrage steigen.
Auch die weiteste Reise beginnt mit einem kleinen Schritt …
Harald Borges (Fotos: Judith Wehr, Greentours)
Weitere Informationen:
https://konstanz-mitgestalten.de/discuss/klimaschutz
https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/die-die-welt-retten-wollen/
http://www.konstanz.de/umwelt/01064/01083/07339/index.html