Was für eine Sitzung!
Die Gemeinderatssitzung am Dienstag wurde zum Redemarathon und deshalb für die ZuhörerInnen eine Qual. Der öffentliche Teil begann kurz nach 17 Uhr, und als ich um 20.15 Uhr nach dem erst dritten ordentlichen Tagesordnungspunkt den Ratssaal verließ, regnete es – auch das noch. Immerhin war in diesen Stunden unter anderem deutlich geworden, dass sich die Gemeinderätinnen und -räte von den HotelbetreiberInnen auf Dauer nicht alles bieten lassen wollen – zumindest bis zum nächsten Mal.
Der erste Versuch der Stadtobrigkeit, in Konstanz – neben dem geplanten Tempel der nichtalkoholischen Lebensfreude in Büdingen – in Zukunft weitere Luxusunterkünfte zu schaffen und sich deren Notwendigkeit gemeinderätlich bestätigen zu lassen, ist gründlich daneben gegangen. Viel zu dünn erschien selbst vielen bürgerlichen Betonköpfen das Gutachten, das ihnen ein privates Unternehmen vorgelegt hatte.
Daher war es nur konsequent, dass die Verwaltung die Frage der Linken Liste, wie viel Steuergeld das Gutachten denn gekostet habe, gar nicht erst beantwortete. Wie hoch auch immer die Kosten dafür waren, dieses Dokument war als politische Waffe in den Händen der Obrigkeit ein echter Rohrkrepierer.
Luxus am See
Oberbürgermeister Uli Burchardt schwante wohl Böses, als er bereits vor der Verkündigung der Gutachterergebnisse konstatierte, in Konstanz habe praktisch jede(r) eine Meinung zum Tourismus, und diese Meinung sei zumeist sehr „stabil“. Klar, Betonkopf ist immer die oder der Andere, während man selbst ausschließlich faktenbasiert urteilt, in diesem Punkt sind wir uns alle einig. Eric Thiel, Geschäftsführer der Marketing und Tourismus Konstanz GmbH, ist zudem noch – und muss dies als rühriger Verkäufer des Produktes „Konstanz“ auch sein – von einem überbordenden Optimismus beseelt, der manchen eher griesgrämig gestimmten Gemeinderätinnen und -räten gelegentlich sauer aufstößt. Keine gute Konstellation also für die Debatte über ein Gutachten, das auf Luxushotels am liebsten direkt am Seeufer hinausläuft.
Eine Strategie soll’s richten
Das Gutachten selbst versteht sich allerdings nicht als konkrete Handlungs- und Marketinganleitung, sondern „als strategischer Rahmen mit Geschäfts- und Handlungsfeldern und somit als Grundlage zum späteren Herausarbeiten und Priorisieren von Schlüsselprojekten. Hierin wurden die nachhaltige touristische Ausrichtung, die Positionierung, die Kernthemen, die zukünftigen Zielgruppen sowie die Stärken und Schwächen des touristischen infrastrukturellen Angebotes der Stadt Konstanz herausgearbeitet.“
Und so liest sich die Bestandsaufnahme: Die Übernachtungszahlen haben sich in einem Jahrzehnt etwa verdoppelt, „mit ca. 866 000 gewerblichen Übernachtungen, rund 6,5 Millionen Tagesgästen und einem […] Jahresbruttoumsatz von rund 334 Mio.€, ist der Tourismus für die Stadt Konstanz ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor.“ In Konstanz wurden 2016 insgesamt 5186 Betten angeboten, und deren Belegung stieg seit 2006 von 42 auf 56 Prozent. Konstanz ist damit die Tourismushauptstadt der Bodenseeregion.
Mehr Zaster
Detlef Jarosch von der PROJECT M GmbH, die das „Tourismuskonzept als strategisches Handlungsprogramm“ erarbeitet hat, stellte drei verschiedene Szenarien vor: geringes, mittleres und starkes Wachstum mit entsprechendem zusätzlichem Hotelbedarf. Konstanz hat seiner Meinung nach einige Probleme: In der Nebensaison ist nichts los, und wer im November Erholung sucht, entscheidet sich eher für Croissant an der Croisette oder Chang in Chiang Mai als für Kretzer in Konstanz. Außerdem konstatierte Jarosch, dass Konstanz vor allem das falsche Publikum anziehe. Derzeit wird die Stadt nach seinen Ermittlungen vor allem von „eher traditionellen Mileus“ und innerhalb dessen von der Klientel 50+ besucht. Diese Leute absolvieren im Schnitt 2,1 Übernachtungen und müssen (wie die meisten von uns) auch aufs Geld schauen.
Potenzial sieht das Gutachten (wie auch der OB schon seit jeher) folglich in „moderneren Milieus“, die eine „kosmopolitische Wertevorstellung“ vertreten und sich in einer „hohen sozialen Lage“ befinden. Der Vorteil dieser Leute ist eine „höhere Wertschöpfung“, sprich: Sie lassen mehr Zaster am See.
Einhellig verkündeten Gutachter, Stadtmarketing und Oberbürgermeister, Konstanz brauche eine „qualitative Entwicklung“ des Tourismus und solle sich – auch dank der ungebrochenen Anziehungskraft des Bodenseeforums – zum führenden Städte- und Kongressreiseziel im Bodensee- und Alpengebiet entwickeln. Doch dafür gebe es im hiesigen Beherbergungsgewerbe noch viel zu wenige Hotels mit Wellness-Einrichtungen und viel zu wenige gute Häuser direkt am See. Man müsse sich einfach mal fragen, was die Investoren wollen und was die Gäste, so das Fazit. Die Frage, ob man überhaupt touristisch wachsen will und was die Einheimischen wollen, stellte und beantwortete das Gutachten jedenfalls nicht.
Champagner statt Leberkäs
Und dann ging’s los. „Champagner statt Leberkäs“ nannte Till Seiler (FGL) das vorgelegte Konzept und beklagte es als ökologisch fragwürdig. Vor allem die im Gutachten vorgeschlagene Steigerung der Aktivitäten auf dem Wasser unter anderem durch (hochpreisigen) Charterboottourismus vom motorbetriebenen Floß bis hin zu Motoryachten war ihm ein Dorn im Auge. Wie abzusehen, wurde er dafür von Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) als Bremser und Skeptiker abgestraft, der nicht an die Zukunft der Stadt denke. Müfe schwärmte vom internationalen Potenzial der Stadt und forderte seine MitbürgerInnen dazu auf, alle Gäste, selbst Schweizer, mit offenen Armen zu empfangen.
Es wurde von vielen beklagt, dass das Gutachten heiße Luft sei und keine handfesten Argumente liefere, sich überhaupt für irgendein Entwicklungsszenario für den Tourismus zu entscheiden, da waren sich selbst Jürgen Faden (FWK), Jan Welsch (SPD) und Heinrich Everke (FDP) für einmal einig. Heinrich Everke machte auch gleich handfeste Vorschläge: Er forderte ein Hotel direkt neben dem Bodenseeforum und wollte dem Betreiber auferlegen, darin einen Konzertsaal mit 1000 bis 1500 Plätzen zu unterhalten. Einen bedenkenswerten Vorschlag machte er für den in der Tat unzumutbaren Konstanzer Bahnhof: „Verkauft ihn den Schweizern für 1 €, die können das besser als wir.“
Holger Reile (LLK) staunte über das Gutachten, das auf 35 Seiten zeige, wie es ganz nach oben gehe. Dabei müsse man in Konstanz dem Tourismus eher Grenzen setzen: Zügelloses Wachstum bringe Landschaftsversiegelung, noch mehr Verkehr und den EinwohnerInnen ganzjährige Zumutungen. Dieses „seealemannische Wir-Gefühl mit den Reichen“ könne er nicht mitempfinden, und das Bodenseeforum gar als Motor der Konstanzer Entwicklung zu preisen sei „pathologische Realitätsverweigerung“. Bei dem allen gehe es letztlich doch nur um Profit und nicht um die Menschen, die hier leben.
Alleinstellungsmerkmal See
Mittlerweile waren rund anderthalb Stunden vergangen, und es standen noch acht RednerInnen auf der Liste. Uli Burchardt war sichtlich genervt von einem Gemeinderat, der sich so bockig zeigte, und tat etwas, was sonst nur selten geschieht: Er zog die Vorlage zurück, sprach von „Chaos“ und hielt den VolksvertreterInnen eine Gardinenpredigt.
Nach seiner Darstellung wäre es bei dieser Abstimmung darum gegangen, sich für eine Zukunftsregelung des Konstanzer Tourismus zu entscheiden, statt den bisherigen Wildwuchs fortzusetzen. Nach seinen Angaben haben in Konstanz etwa zwei Dutzend Hotels Baurecht, und die könne man derzeit weder juristisch noch sonst wie verhindern. Wenn man so weitermache wie bisher, würden sehr schnell in Randbereichen wie dem Industriegebiet – für die Investoren hochprofitable – Billigunterkünfte entstehen, die massenhaft Sauftouristen nach Konstanz brächten. Mit dem von ihm vorgeschlagenen Handlungsprogramm Tourismus mit Schwerpunkt auf Qualitätstourismus aber könne man in Zukunft missliebigen Investoren zumindest sagen, dass man sie hier nicht haben wolle, und daran würden die sich erfahrungsgemäß auch halten. Das Gutachten soll jetzt präzisiert und dem Gemeinderat dann wieder vorgelegt werden.
Habt sie lieb!
Nicht zuletzt forderte der Gutachter aber auch ein Wir-Gefühl sowie eine echte Willkommenskultur für Gäste. Das könnten wir KonstanzerInnen im nächsten Winter ja mal üben, wenn wieder Platz dazu ist. Wenn dann in einigen Jahren endlich QualitätstouristInnen in Konstanz einschweben, heißt es auf zum Volkstanz ums Goldene Kalb und schnell einen Reformator aus dem Eisfach genommen. Ein besseres touristisches Alleinstellungsmerkmal als eine zünftige Ketzerverbrennung ist für eine Konzilstadt wohl nicht denkbar.
O. Pugliese
„… man könne missliebigen Investoren zumindest sagen, dass man sie hier nicht haben wolle, und daran würden die sich erfahrungsgemäß auch halten“, so der OB. Eine politische Willensbekundung kann also durchaus Mittel der Stadtplanung sein, oder wie ist die Stellungnahme zu verstehen? Solch ein Willensbekundung hätte dann ja schon früher einmal deutlich ausgesprochen werden können, z.B. bei der Umwidmung eines Kinos in den x-ten Dogeriemarkt …