So wollen wir die Stadt haben
Die Präsentation der zehnten BürgerInnenbefragung 2017 durch Professor Thomas Hinz und sein Team brachte einige überraschende Ergebnisse, die sich KommunalpolitikerInnen und Verwaltung der Stadt zu Herzen nehmen sollten. Eine Mehrheit der KonstanzerInnen wünscht sich zum Beispiel eine autofreie Innenstadt und schlägt bessere Möglichkeiten für eine echte Bürgerbeteiligung vor.
Dies war bereits die zehnte Befragung der KonstanzerInnen, die Thomas Hinz und seine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich Empirische Sozialforschung an der Universität Konstanz durchgeführt haben. Sie verfolgen langfristig die Stimmungslage in Konstanz und wollen ihre Ergebnisse bald auch als Buch präsentieren. Das Hauptziel ihres Vorhabens aber „ist eine Information des Rates und der Stadtverwaltung sowie anderer Interessenten über die Lebenszufriedenheit der Konstanzerinnen und Konstanzer und ihre Bewertungen der Lebensqualität in der Stadt Konstanz.“
Im letzten Jahr gaben insgesamt 1524 Menschen und damit 57,7 Prozent der um ihre Meinung Gebetenen bereitwillig Auskunft. Hier einige der Befragungsergebnisse.
Schön ist’s hier
Eins vorweg: Die Menschen sind insgesamt rundum zufrieden damit, in Konstanz zu leben, und der Anteil der Zufriedenen liegt seit der ersten Befragung 2008 konstant bei über 80 Prozent. Natürlich gibt es dabei Abstufungen nach Wohnorten. In Litzelstetten, Allmannsdorf und Wallhausen, wo Wohnen richtig Spaß machen kann, ist die Zufriedenheit höher als etwa im Industriegebiet, am Königsbau und in Teilen der Innenstadt. Weshalb man aber auch in Egg nur eine geringere Zufriedenheit verzeichnete, bleibt das Geheimnis der EggerInnen. Vielleicht heitert es sie ja auf, wenn am 6. Mai, 2. September und 4. November der Turm der Jugendherberge in Allmannsdorf für die Bevölkerung geöffnet wird und sie damit die Gelegenheit erhalten, einen versöhnlichen Blick von oben auf ihr idyllisches Krähennest zu werfen.
Politik interessiert
Ein Schwerpunkt der Befragung war – auch angesichts der Bundestagswahl am 24. September 2017 – das politische Interesse. Dabei gibt es gewichtige Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Während in der Gruppe 60+ nur 4 % der Befragten Politik allgemein nicht kümmert, sind es bei den 18-30-Jährigen immerhin 15 Prozent. Ähnlich sieht es mit kommunalpolitischen Themen aus: sie lassen 26 % der Jüngeren kalt, aber nur 3 % der Silberrücken. Anke Schwede (LLK) forderte angesichts des politischen Interesses der Älteren, den Stadtseniorenrat verstärkt in die politische Arbeit einzubeziehen. Als eine Ursache für das deutlich höhere Desinteresse der Jüngeren und Nicht-Deutschen geißelte sie die städtischen Leitlinien als „Bürgerbeteiligung light“, da sie keine echte Mitbestimmung sicherstellten.
Mehr Mitsprache
Die Beteiligung der Einwohnerschaft an politischen Entscheidungen wird mehrheitlich skeptisch beäugt: 30 Prozent halten die Einflussmöglichkeiten der BürgerInnen für gering, nur 22 % für groß oder sehr groß. Immerhin zwei Drittel würden an einer Bürgerbeteiligungs-Veranstaltung der Stadt Konstanz teilnehmen, sofern es sich um Themen handelt, die sie oder ihr Stadtviertel betreffen. Immerhin 34 Prozent haben schon einmal eine Informationsveranstaltung besucht und jede/r Zwanzigste an einer Mitwirkungsveranstaltung teilgenommen.
Allerdings sind etliche Möglichkeiten, sich einzumischen, noch immer unbekannt. So geben 81 % an, noch nie von der Vorhabenliste der Stadt Konstanz gehört zu haben, die gedruckt und online vorliegt. Wen’s interessiert, sie steht hier: https://konstanz-mitgestalten.de/ und hier gibt es auch die früheren Listen: http://www.konstanz.de/rathaus/05751/06447/index.html.
Außerdem kann jede/r unter https://konstanz-mitgestalten.de/ Mängel zu melden, eine Möglichkeit, die nur 38 Prozent der befragten Personen bekannt war.
Auf die Frage „Wie könnte die Stadt Konstanz ihre Bürgerinnen und Bürger bei kommunalen Vorhaben besser informieren und einbeziehen?“ antworteten nur 16 %, sie fühlten sich durch die Stadt schon jetzt ausreichend informiert und einbezogen. Starke Gruppen von BürgerInnen forderten hingegen mehr Bürgerentscheide, Online-Befragungen, ein besseres E-Government und mehr Bürgerversammlungen. Dass immerhin 23 % mehr Veranstaltungen wie „OB vor Ort“ vorschlugen, stieß manchen StadträtInnen bitter auf, denn wenn der OB einmal pro Jahr vor Ort ist, ist er da meist ziemlich allein, weil kaum jemand kommt. Ewald Weisschedel (FDP) nutzte die Gunst der Stunde zu ein wenig Publikumsschelte, als er einwarf, die BürgerInnen seien ihrerseits auch selbst in der Pflicht, sich aktiv Informationen zu besorgen, wenn sie sich beteiligen wollen.
Was wollt Ihr?
„Für wie wichtig halten Sie folgende Themen in der Konstanzer Stadtentwicklung?“ wollten die ForscherInnen wissen und erhielten darauf von den KonstanzerInnen einige für Stadtplaner bewegende Antworten. Die wichtigsten Themen sind nämlich die Erschließung von Neubaugebieten sowie die Verbesserung des Radwegenetzes und des ÖPNV. Es folgen der Ausbau von Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie der Schulen und der Seniorenbetreuung sowie die Integration ausländischer MitbürgerInnen. Nicht unter die ersten Zehn schaffte es die Förderung des Wirtschaftsstandorts, die in der Verwaltungsspitze so überaus populär ist.
Während „unsere“ Wirtschaft in einem Atemzug über leere Parkhäuser jammert und nach mehr Parkplätzen vor allem für schweizerische Einkaufstouristen schreit (https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/eine-ohrfeige-fuer-die-seilbahn/), sehen die KonstanzerInnen das ganz anders. Bei den Jungen sind 81 Prozent für eine dauerhaft oder zumindest gelegentlich autofreie Innenstadt, und bei der Generation 60+ wollen immerhin noch 61 % die Verbannung der Autos vorantreiben. Die Zustimmungswerte unterscheiden sich in den einzelnen Quartieren und sind unter anderem in der südlichen Innenstadt, Teilen des Paradieses, am Königsbau und in Dingelsdorf besonders hoch.
Die KonstanzerInnen wollen ganz ausdrücklich eine Stadt, die sich von jener profitoptimierten Traumstadt der Wirtschaftsförderer ganz erheblich unterscheidet. Eine Mehrheit von jeweils 64 bis 83 % wünscht sich bezahlbaren Wohnraum, viel Grün und Naherholungsmöglichkeiten sowie gut ausgestattete, moderne Schulen. Die Stadt soll familienfreundlich sein und alle Interessen ausgewogen vertreten. Außerdem soll Konstanz fahrradfreundlich werden und die Interessen der BürgerInnen wahren, unter anderem durch weniger Ladenketten, ein Programmkino oder angemessene Parkmöglichkeiten. Und natürlich soll der Bürgerservice besser werden. Das Thema, das die KonstanzerInnen am meisten bewegt, ist der Verkehr und hier vor allem der Radverkehr. Der Ausbau der Fahrradwege ist dabei am wichtigsten.
Städtische Informationen
Wie gehen KonstanzerInnen mit den Informationsangeboten der Stadt um? Es ergibt sich folgende Lage: „17 Prozent der Befragten besuchen mindestens mehrmals pro Monat städtische Social Media-Seiten und knapp ein Viertel liest mindestens mehrmals pro Monat Nachrichten der Stadt Konstanz. […] Das Bürger- bzw. Ratsinformationssystem nutzen 16 Prozent der Befragten bis zu mehrmals im Monat. Zwei spezielle Angebote, die nur in größeren Abständen neue Informationen bieten, sind Podcast (ca. einmal im Monat Video der Gemeinderatssitzung) und Beteiligungsplattform (wird eher anlassbezogen genutzt). Diese werden in weiten Teilen seltener oder nie genutzt.“
Auf Vorhaltungen aus dem Gemeinderat, dass die Nutzung dieser Medien ja eher mau sei und auf den Einwurf von Matthias Heider (CDU), dann könne man den Podcast der Gemeinderatssitzungen ja auch ganz abschaffen, verwies der städtische Pressesprecher Walter Rügert stolz darauf, dass die „Einschaltquoten“ des Podcasts besser seien als die von „Germany’s Next Top Model“. Damit ging er als klarer Sieger vom Platz.
O. Pugliese
Die Ergebnisse der Konstanzer Bürgerbefragung gibt es hier als PDF.
Die Leitlinien für Bürgerbeteiligung in Konstanz gibt es hier als PDF.
Wenn das so weitergeht hier mit der Zufriedenheit, drohen gar paradiesische Zustände – und dies sollte nach herrschender Lei(d)t-Kultur tunlichst nicht eintreten, zumindest nicht hier und schon gar nicht JETZT. Diese Aufgabe fällt denn heute auch primär Politik und Verwaltung zu, die jegliches bequemes Niederlassen in einem vom Herrgott so üppig ausgestatteten Ort als drohenden Rückschritt einstuft. Es muss daher weiter ›voran‹ gehen, und die hierfür aufgelegten ›Handlungsprogramme‹ sollen die Stadt ›fit‹ machen für die Veränderungen der Zukunft. ›Wir wollen den Marathon gewinnen und nicht denn Sprint‹, so das Credo des Stadtmarketings auf jeder Veranstaltung. Wer im Gehetzte um die besten Startplätze die Gegner sein sollen, das ist den Protagonisten vermutlich ebenso wenig klar, wie es nach einem Marathon-Gewinn weitergeht – Hauptsache, der Kampfmodus einer spätkapitalistischen Hyper-Aktivität bleibt aufrecht erhalten.
Doch hiervon sind vor allem junge Leute gar nicht mehr so überzeugt, so die Studien zum Wertewandel der kommenden Generation – und selbst die ausgegebenen Untergangs-Szenarien, die bei Untätigkeit drohen oder die ultimative Drohung mit der von ganz oben verordneten ›Digitalisierung‹, die quasi als Naturgesetz über uns hereinbricht, können eine sich ausbreitende Kultur des Müßigganges kaum verhindern.
›Leben war nie als Kampf gedacht, mehr wie ein Wandern durch ein sonniges Tal von einem Punkt zum nächsten‹ (Stuard Wilde). In diesem Sinne einen beschaulichen Tag des Müßigganges am 1. Mai.
Zu Ihrer Aussage: „Weshalb man aber auch in Egg nur eine geringere Zufriedenheit verzeichnete, bleibt das Geheimnis der EggerInnen“.
Das bräuchte für Sie kein Geheimnis zu sein, O. Pugliese. Würde Sie z.B. auf die Webseite der Egger Bürgergemeinschaft schauen (konstanz-egg.de), könnten Sie über die Ergebnisse des Workshops Egg 2030 stolpern, den die Egger gemeinsam mit Translake und der Stiftung Integrationskultur im letzten Jahr durchgeführt haben. Die Ergebnisse dieses Workshops liegen den Fraktionen des Gemeinderats und der Stadtverwaltung vor, erste Gespräche haben stattgefunden. Sie könnten sich auch über Planungsideen informieren, die Studenten der HTWG erarbeitet haben.
Sie könnten, wenn Sie wollten. Dass die Egger aktiv und organisiert sind, dass wissen Sie nämlich. Warum Sie sich nicht informieren, bleibt Ihr Geheimnis. Ihre Spekulation über die Egger, die Sie in Ihrem Artikel verbreiten, geht dahin, dass die Egger notorische Nörgler seien, die nicht wissen, wie gut es ihnen gehe. Ich will meinerseits nicht darüber spekulieren, warum Sie gegen die Egger Bürgerinnen und Bürger polemisieren, würde mir aber wünschen, dass der seemoz über Egg mehr informiert, und weniger agitiert.