Cano-Bauantrag abgenickt – Meilenstein oder Bluff?

Nun ist es also auch juristisch besiegelt: Anfang Mai wurde in Hamburg von Singens OB Bernd Häusler und Vertretern der Otto-Group der städtebauliche Rahmenvertrag mit Durchführungs- und Kaufvertrag vor einem Notar unterzeichnet. Die 7814 BürgerInnen, die am 17. Juli 2016 für das Shoppingcenter stimmten, können weiter jubeln – zusammen mit dem Gemeinderat, der vergangene Woche den Bauantrag abnickte. Erwartungsgemäß fast geschlossen, nur Eberhard Röhm (GRÜNE) votierte wiederum mit Nein gegen die Realisierung des Cano.

Als weiterer „Meilenstein“ für Singen wird der Vertragsabschluss in der städtischen Presseerklärung gewertet. Nur: Meilenstein wofür, oder anders gefragt, in welche Richtung wird er gesetzt?

Singen will ab 2020 als neuer Stern unter den „Einkaufsmetropolen“ zwischen Bodensee und Schwäbischer Alb leuchten. Ergo den sinnlosen Massenkonsum weiter anheizen … und damit auch (ganz im Trump’schen Sinne) weiter mitwirken beim Aufheizen der Atmosphäre und der Beschleunigung des Klimakollapses. Vernichtung und Abbau unserer letzten Ressourcen inklusive Enteignung und Ausbeutung von Millionen von Menschen in Asien und Afrika nimmt man gern in Kauf beim angesagten Shoppingevent. Denn „wir sind ja die Gewinner der Globalisierung“, so wurde es uns vor zwei Jahren, als es um die Entscheidung pro oder contra Einkaufscenter ging, erfolgreich vermittelt. Gewinner? Ob man denjenigen, der beim Fallschirmabsprung als Letzter merkt, dass er weder Schirm noch Notschirm hat, und der nur dank seiner größeren Körperfläche auch als Letzter am Boden aufschlägt, wirklich als Gewinner des Wettbewerbs bezeichnen kann …?

Alles übertrieben?

Damit sei nicht gesagt, dass die 5506 SingerInnen, die seinerzeit mit Nein stimmten, per se die umweltbewussteren Verbraucher sind. Gute Gründe, gegen die Mall zu sein, gab und gibt es bekanntlich noch weitere: Zum Beispiel die nun vertane Chance, stattdessen dringend benötigten Wohnraum in der Innenstadt zu schaffen. Oder wegen des von den Entscheidern und ihren Unterstützern bewusst gewollten In-Bedrängnis-Bringen der ohnehin nur noch wenigen inhabergeführten Einzelhandelsgeschäfte. Mit deren Verschwinden werden bislang noch existierende bessere Arbeitsplätze durch schlechtere oder gar keine (ein Showroom im Center kommt auch ohne aus) ersetzt werden.

Nicht, dass unsere Stadt in Sachen Massen- und Billigkonsum bis dato zur Diaspora gehört hätte. Sie rühmt sich ja schon jetzt die „Einkaufsmetropole der Region“ zu sein. Fair, nachhaltig und ökologisch produzierte Waren sind dabei leider sehr unterrepräsentiert.

Und Shoppingmalls ändern dieses Manko bekanntlich nirgendwo – im Gegenteil: Sie leben überwiegend vom schnellen Umschlag kurzlebiger Massenprodukte, die bald zu (Kunststoff)-Müll werden, und fördern mit ihrer Systemgastronomie die Massentierhaltung sowie die Ausweitung des Anbaus von Soja, Mais und Palmöl, wofür wiederum tagtäglich unsere letzten Regenwälder abgeholzt werden und Naturland vernichtet wird. Dafür wird als Ausgleich in unseren Städten Wildblumensaat auf Verkehrsinseln ausgebracht, wird auf Dachgärten geimkert und hie und da werden sogar ein paar Bäume zur Luftverbesserung neu gepflanzt. Alles durchaus unterstützenswert und in der Tat auch wichtig, aber global gesehen nicht einmal messbar und völlig unzureichend, um das weltweite Schwinden der nicht durch menschliche Selektion bestimmten Biomasse und Vielfalt in Flora und Fauna zu verhindern.

Der Mensch hat die Macht, seine Lebensumgebung nach „seinem“ Willen – zur Zeit nach den Vorstellungen nur noch einiger weniger Individuen, deren Zahl ständig weiter schrumpft – zu gestalten, sieht sich deshalb auch als Weltenbeherrscher und nennt dieses Zeitalter das Anthropozän. Er vergisst dabei nur allzu gern, dass alle Formeln, welche die Wirtschaftswissenschaften ausgebrütet haben, nur die wenigen ihnen bekannten und genehmen Faktoren berücksichtigen, die darin enthalten sind, nicht aber die unzähligen Faktoren und Wechselwirkungen, die diese Wissenschaften gar nicht kennen, ja nicht einmal erahnen (können), angesichts der natürlichen Vielfalt und Komplexität.

Der große Bluff

Aber leider reichen die paar wenigen Kenntnisse allemal, um die anderen Mitmenschen mit solchen vorgeblich „naturwissenschaftlich-exakten“ Erkenntnissen zu bluffen – insbesondere wenn man es auch noch schafft, der herrschenden Wirtschaftstheorie widersprechende Forschungsergebnisse oder noch wirkungsvoller, diejenigen, welche sie erarbeitet haben, zu diskreditieren und in die Ecke zu stellen. Jede als plausibel und/oder als vertrauenswürdig erachtete Theorie oder Formel, die ein „Weiter-so“ möglich und sinnvoll erscheinen lässt, wird gern aufgenommen.

Tatsächlich effektiv wäre dagegen, zu fragen, wie wir leben wollen und worüber wir insgesamt verfügen könnten … so wie vorgeblich jeder mittelständische Unternehmer handelt … aber die unvergleichlich größeren Renditen lassen sich eben mit Spekulation anhäufen … also wird auch mit der Natur weiter spekuliert, nach dem Motto „irgendein Bluff wird uns dann schon noch einfallen“. Solche Spekulanten vergessen dabei allerdings, ihre Macht über „die Welt“ zu bedenken. Oder wollen sie sich nur dafür rächen, dass auch sie sich am Ende dem großen Gleichmacher geschlagen geben müssen?

Ein unmittelbar effektiver und sofort umsetzbarer Schritt, um wenigstens etwas mehr Zeit zu gewinnen, ernsthaft zu prüfen, ob denn unser Verhalten zur Erhöhung menschlicher Überlebenschancen beiträgt, wäre weniger Konsum, und nicht nur ein bisschen weniger, sondern sehr viel weniger. Auf zahlreiche Produkte könnte man ersatzlos verzichten; Alternativen zur vorgeblich lebensnotwendigen ständigen Steigerung der Verbrauchsbereitschaft gibt es, und diese werden – zumindest im Kleinen – mancherorts anderswo auch praktiziert: tauschen, teilen, verschenken, reparieren, wirklich recyceln …

Weniger Konsum heißt aber auch weniger Kapitalismus, Degrowth statt permanentem Wachstum. Doch mit dieser Forderung macht man sich nicht nur bei Großkonzernen unbeliebt.

Ein neuer Tempel soll entstehen

Zurück zum Cano: Erste Vorbereitungsarbeiten haben mit der Verlegung der Wasserleitung in der August-Ruf-Straße schon begonnen. Der Abbruch des Holzer-Baus steht ab Juli an. Singen bekommt seinen Tempel, in welchem die Konsum-Jünger die Weisungen ihrer Vorbeter befolgen, um in den neuen Hallen aus Glas, Metall und Beton den Göttern des Konsums, des Wachstums und der Gier zu huldigen und deren Reichtum zu mehren. Voraussichtlich ab 2020 dürfen sich Pilgerscharen aus nah und fern auf den Weg nach „Singen am güldenen Cano“ machen – vorzugsweise mit dicken SUVs, damit auch in den Verkehrsstaus und in dicker Luft viele Mitmenschen sehen können, wie viel Opferbereitschaft sie aufgebracht haben und es ihnen möglichst viele gleichtun mögen. Hungernde und Dürstende können sich bald im Foodcourt laben.

Die Schattenseiten des Klimawandels sind in unserer Region bislang kaum bemerkbar, kein Grund also, die eigene Konsumneigung kritisch zu hinterfragen. Daher Entwarnung: das Cano kommt, der Kapitalismus bleibt und das Klima kollabiert. Das schaffen wir schon! Ein weiterer Meilenstein in diese Richtung wurde gerade gesetzt.

Fritz Murr (Foto: cano-singen.de)

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