Anders wohnen – die Blaue Blume in Friedrichshafen
Sieben Menschen, eine öffentliche Küche, eine Bühne und Bauwagen als Wohnungen. Das ist „die Blaue Blume“. Doch hinter dem gemeinnützigen Verein, der das Wohn- und Kulturprojekt realisiert hat, steckt mehr als sein buntes Erscheinungsbild und deutlich mehr Mitglieder als jene, die direkt im Wagenprojekt leben. Lena Reiner hat sich mit Charly, Jan, Nikolas und Michael getroffen, die als Vereinsmitglieder und zwei von ihnen auch als BewohnerInnen das Innen- und Außenleben der Blume prägen.
Drei Menschen, eine Idee: ein Wohn- und Kulturprojekt in Bauwagen erschaffen. Das war 2013 der Beginn des gemeinnützigen Vereins „Blaue Blume e.V“. Heute ist aus der Utopie des nachhaltigen, gemeinschaftlichen Wohnens und einer damit verbundenen Kulturplattform ein greifbares Projekt entstanden: Sieben Menschen leben gemeinsam auf einer Wiese in ausgebauten Bauwagen und laden regelmäßig zur Eckkneipe, dem Sonntagscafé oder anderen Veranstaltungen ein.
Besucher aus nah und fern
Einmal im Jahr findet eine Bauwoche mit Festivalprogramm statt, während derer der Platz mit Gästen aus der gesamten Republik und aller Welt weiter gestaltet wird. Die Vision ist Wirklichkeit geworden, inzwischen – nach dem letzten „Umtopfen“ – sogar mit einem legalen Standort und offizieller Bauabnahme: Vor dem alten Heizhaus am Fallenbrunnen 12. „Das ist bisher einzigartig in Deutschland.“, berichtet Charly, eine der Bewohnerinnen. Ähnliche Wohnformen seien bisher nicht als eigenes Bauprojekt anerkannt worden. Doch diese Einzigartigkeit birgt auch Schwierigkeiten. Michael lacht: „Als ich auf’s Rathaus ging, um meinen Wohnsitz anzumelden, sorgte das für Verwirrung.“ Seine Angabe, weder Mieter noch Eigentümer zu sein, habe sich nicht im Formular wieder gefunden. „Viele Gesetze und Regelungen treffen nicht richtig auf das Projekt zu“, ergänzt Charly. Im Grunde, so erklärt die kleine Runde, seien sie ein Präzedenzfall für ähnliche Formen des Zusammenlebens.
Doch die Blaue Blume ist mehr als die Herausforderung, althergebrachte Regelungen an kreatives nachhaltiges Wohnen anzupassen. Auch eine soziale Komponente spielt eine große Rolle. „Für die beteiligten Studierenden hat das Projekt viel mit Verwurzeln zu tun. Man befasst sich mit einer Stadt ganz anders, wenn man in ihr nicht nur arbeitet und schläft“, erläutert Charly. Der öffentliche Bereich der Blauen Blume selbst habe es außerdem geschafft, zu einem Begegnungsort für Menschen zu werden, die sich sonst selten miteinander unterhalten würden. Studierende, alteingesessene HäflerInnen, Werkstattbesitzer von nebenan und spontan dazustoßende Gäste von außerhalb trinken hier zusammen Kaffee und unterhalten sich über Gott und die Welt.
Durch die Lage an einem Spazierweg sind zufällige Besuche keine Seltenheit. Absolut gewollt, dazu gibt’s schließlich die Außenküche, Veranstaltungen und allerlei Sitzmöglichkeiten. Nicht so angenehm finden es die BewohnerInnen allerdings, wenn jemand in ihren privaten Bereich ungefragt vordringt. Überhaupt ist das mit der Privatsphäre so eine Sache, wenn man öffentlich wohnt. „Manche fragen direkt als erstes, wie wir uns duschen und wo wir auf’s Klo gehen“ , schildern die BewohnerInnen. Eher amüsant findet Jan die überraschte Feststellung mancher: „Aber ihr studiert doch an einer Privatuni!“ (was auf die bisherigen BewohnerInnen mehrheitlich tatsächlich zutrifft, denn sie studieren an der Zeppelin Universität) und Nikolas meint: „Irgendwie können sich viele nur vorstellen, dass man so wohnt, um Miete zu sparen.“
Dabei sei dies gar nicht der Fall, erzählen die BewohnerInnen. Michael, der übrigens kein Student, sondern Lehrer ist, nennt Baukosten der Wägen, Instandhaltungskosten und anderes mehr und betont, dass man auch die Zeit hinzu rechnen müsse, die jede/r von ihnen in die Arbeit an ihren Wägen, am Platz und der Betreuung von Veranstaltungen investiere. „Man spart nicht wirklich Geld, wenn man hier lebt – und darum geht es uns sowieso nicht.“
Ein Projekt mit Zukunft?
Und dann kommen die Vier doch noch freiwillig zurück auf’s Toilettenthema, denn mit ihm ist einer der Nachteile der frisch gewonnenen Legalität verbunden: Während das Wohnprojekt bislang über keinen Wasser- und Stromanschluss verfügt hat, war das für den neuen – jetzt legalen – Standplatz eine von der Stadt aufgestellte Bedingung. Neben den vierstelligen Anschlusskosten hieß es auch, auf ein Stück Nachhaltigkeit zu verzichten, denn Komposttoiletten seien für dauerhaftes Wohnen nicht erlaubt.
Auch sonst begegnet man bei einem Spaziergang über den neuen Platz ein paar Kleinigkeiten, die irritieren. „Maximal 20 Personen!“, weist ein Schild auf die Maximalbelastung der übergroßen halbrunden Sitzbank im Eingangsbereich hin. Rote Schilder deuten auf direkt darunter platzierte Feuerlöscher in jedem Wagen, und eigentlich offensichtliche Fluchtwege sind in jedem der öffentlichen und privaten Bauwägen nun mit offiziellen Schildern gekennzeichnet.
Bleibt zu hoffen, dass im Regelungswald die besondere Atmosphäre nicht verloren geht, die die BesucherInnen und BewohnerInnen der Blauen Blume so schätzen. Und auch, dass die Blaue Blume nach der Neugestaltung des Fallenbrunnengeländes weiterhin dort wurzeln darf. Der aktuelle Vertrag zur Platznutzung gilt schließlich nur bis 2019 mit einer Verlängerungsoption um zwei Jahre. Doch die Vereinsmitglieder haben Hoffnung: „Wir haben die mündliche Zusage bekommen, dass wir in das neue Konzept des Fallenbrunnen Ost mit hineingedacht werden.“
Wer einmal vorbeischauen mag, findet alle öffentlichen Veranstaltungen wie das Sonntagscafé, die Eckkneipe und Konzerte unter www.dieblaueblume.org und auf der Facebookseite „Der blaue Bote“. Außerdem kann man Infos über Projekte wie ein geplantes Repaircafé einholen und eigene Ideen einbringen.
Lena Reiner
Mehr Infos und Spendenmöglichkeit (u.a. für die obligatorischen Wasser- und Stromanschlüsse des Geländes): www.dieblaueblume.org
Aktuelle Termine
++ So, 03. Juni, 14-17 Uhr: Sonntagscafé++
++ Di. 05. Juni, 19 Uhr: Offene PlanBlume ++
++ Mi. 06. Juni, 17 Uhr: Vortragsempfehlung: Prof Dr Ulrike Felt im Foyer des ZF Campus der Zeppelinuniversität gegenüber der Blauen Blume. Mehr Infos: https://www.zu.de/veranstaltungen/2018/summer_school_vortrag1.php
++ Fr. 08. Juni, 14 Uhr 30-18 Uhr 30: Bitte wenden! Netzwerkevent für EnergiewendegestalterInnen ++ mehr Infos hier: https://www.zu.de/veranstaltungen/2018/summer school_vortrag2.php
++ So, 24. Juni, 14-17 Uhr: Sonntagscafé++
Die Rezeptur ist eigentlich immer gleich. Kulturarbeiter*innen schaffen sich freie Räume und ziehen durch das Neue all jene an, die etwas mehr vom Leben erwarten und den Kulturbetrieb am Leben halten. Das macht auch Hoffnung, gerade wenn man zusehen muss, wie graue, phantasielose Verwaltungsbeamte und Bürgermeister ein Kultur- oder Tagungshaus nach dem anderen in die Welt setzen und die dann still und teuer vor sich hingammeln. Uhldingen-Mühlhofen bekam so einen Kulturtempel kürzlich für etwa 3 Mio. Euro – und es finden ganze zwei Veranstaltungen im „Welterbesaal“ statt. Der Bär steppt in der Alten Fabrik. Um die Kosten teilweise zu decken will Bürgermeister Lamm nun das Alte Rathaus (Schule) verkaufen, statt es einer aufregend neuen Nutzung zuzuführen – die langfristig mehr Geld bringen würde als ein übereilter Verkauf (vermutlich an Spekulanten). Wer mehr wissen möchte findet in http://www.gastgeber-uhldingen-muehlhofen.de mehr zum Thema: “ Etwas Weltkultur wäre für Uhldingen ein echter Wertzuwachs“ (16.05.2018). Also ihr Kulturmenschen besucht mal Uhldingen-Mühlhofen solange das Alte Rathaus noch steht – vielleicht gibt es eine Rettungsaktion.