It’s Time for Revolution, Baby

Mit der Dramödie „Lös Geht’s – We want you for Revolution“ gibt Liliana Bosch ihr Regiedebut in Konstanz und Kreuzlingen. Zusammen mit den Schauspielern Marisa Wojtkowiak und Gabriel Stohler hat sie ein Stück entwickelt, das knallt. In einer Show treten zwei Kandidaten zwischen Weltschmerz und Oberflächlichkeit, zwischen Spiel und Realität, gegeneinander an. Der Gewinn ist die Realisierung der eigenen Revolution.

Zappt man sich durchs abendliche Fernsehprogramm, so sieht man sie zuhauf: aufgekratzte Moderatoren, skurrile Kandidaten, viel Blingbling, Spannung, Spaß und Einschaltquoten – die Welt der Spieleshows. Der direkte Nahkampf, Face-to-Face, begleitet von Publikum, Kameras und einem unsichtbaren Team, das für die Zuschauerzahlen zu allem bereit ist. Ein Spiegel unserer Gesellschaft? Man kann es so sehen. Man muss es so sehen – sagt Liliana Bosch (Fotos).

Sie lebt derzeit in Berlin und arbeitet seit Monaten an ihrem ersten eigenen Stück. Bosch ist eine zierliche Person, wirre Locken umranken ihr schmales Gesicht und sie wirkt auf den ersten Blick ein wenig zerbrechlich. Dieser Eindruck hält sich genau so lange, bis ihr Lachen ertönt. Es kommt aus der Tiefe und breitet sich aus, in ihrem Gesicht, ihrem Körper, im ganzen Raum. Man kommt auch nicht drum herum, denn es gibt kein Thema, das nicht durch scharfsinnige, geistreiche und witzige Kommentare ihrerseits ins Groteske gezogen wird. Dabei verliert sie dennoch nicht die Ernsthaftigkeit – im Gegenteil.

Spricht Bosch über das Theater, so verfällt sie in einen Ton, der deutlich macht, dass es ihr in ihrer Arbeit um alles geht. Und um nichts weniger. Sie reflektiert die Bühne als politischen Ort, als gesellschaftliches Abbild, als Sprachrohr der Ungehörten und Psychocouch der Masse. Und nichts weniger bringt sie ein in ihr erstes Theaterprojekt, das den Titel trägt: Lös geht’s – We want you for Revolution.

Eine junge Regisseurin mit politischen Ansprüchen

Geboren wurde Bosch 1990 in Konstanz, wo sie aufwuchs und schon zu Schulzeiten auf die Bühne trat. Im Jugendclub des Stadttheaters Konstanz war sie in Genua 01 und Pleasant View zu sehen, als Statistin dann in der Dreigroschenoper. Diese Projekte waren ausschlaggebend für die Entscheidung, die Bühne zum Arbeitsplatz zu machen. Als ihr die Kleinstadt über den Kopf wuchs, zog es sie nach dem Abitur nach Berlin, in die Hauptstadt der Verrückten – was wäre ein besserer Ort für ein Schauspielstudium? Hier erhielt sie nicht nur ein Diplom der Schauspielschule Charlottenburg, sondern auch die Qualifikation, den perfekten Milchschaum auf einen Latte Macchiato zu zaubern. Derzeit macht sie eine Weiterbildung zur Theaterpädagogin mit Fokus Regie und Dramaturgie an der Universität der Künste – Weg vom Schauspiel, hin zur Künstlerin.

In ihrer eigenen Produktion erhebt sie den Anspruch auf eine faire Bezahlung aller Beteiligten. „Keiner von uns ist an einem großen staatlichen Haus engagiert, aber das ist auch eine bewußte Entscheidung. Es bedeutet, Freiheit zu haben. Klar ist das Punkrock, wir sparen an allen Ecken und Enden, aber können letztendlich davon leben. Es ist kein krasser Lifestyle möglich, aber keiner von uns muss noch zusätzlich zu seiner Arbeit Schichten im Café schieben“, so die junge Regisseurin.

Sie kümmert sich in ihrem Projekt um alles selbst

Von Organisatorischem wie Konzeption, Vorarbeit, Regie bis zur Wahl der Spielorte ist sie zuständig. Plakate, Bühnenbild, Sound, Licht und Kostüme hat das Trio im Kollektiv geschaffen. „Viele Leute denken, dass so ein Kunstprojekt ja Spaß macht, aber man kommt damit auch an die eigenen Grenzen. Es gibt einen krassen Zeitdruck, es ist körperlich anstrengend und man muss an alles denken. Das ist richtige Arbeit und darum ist ein faires Gehalt wichtig“, so Bosch. Sie finanziert ihr Projekt mit Mitteln des Konstanzer Kulturfonds. Diese Förderung erlaubt es ihr, sich für das Projekt voll und ganz auf das Theater zu fokussieren. Darüber hinaus erhält sie eine Unterstützung von den Veranstaltungsorten. Der Horst Klub in Kreuzlingen stellt die Location kostenlos zur Verfügung und übernimmt ebenso wie das Kulturzentrum K9 Marketing und PR .

Lös geht`s – We want you for Revolution

Inhaltlich dreht es sich bei „Lös geht’s – We want you for revolution“ um eine Revolutionsshow. Diese bildet den Hauptstrang des Stückes. Zwei Kandidaten (Marisa Wojtkowiak und Gabriel Stohler) treten gegeneinander an. Der Gewinner kann seine Revolution realisieren, bekommt bedingungsloses Grundeinkommen und einen Kurztrip nach Cuba. Was die Kandidaten nicht wissen, ist, dass es um die innere Revolution geht, um die Suche nach sich selbst. Ein Weiterkommen ist nur durch einen inneren Entwicklungsschritt möglich.

Der Showmaster (Liliana Bosch) ist unsichtbar, eine Stimme aus dem Off. Sie weiß alles, kann alles entscheiden und steuern, manipuliert die beiden Spieler. Man kann sie deuten als einen Computeralgorithmus, als Gott, die Stimme aus dem Unbewussten, die Sozialen Medien. Gespickt ist die Show von Bubbles – kleine Szenen, die die Lebenswirklichkeit der Kandidaten spiegeln. Das sind Geschichten von Nachbarn, eigene Erlebnisse, ein Gesellschaftsspiegel. Sie machen deutlich, welchen Einflüssen die Kandidaten ausgesetzt sind, was sie prägt und zu dem macht, was sie sind.

Zwischen Genie und Wahnsinn

Entstanden ist das Stück aus der Improvisation. Es gibt ein Konzept, in welchem die Eckpunkte festgehalten sind, die einzelnen Dialoge aber spontan entwickelt werden. „Alles Filigrane und Schöne wird sonst zubetoniert“, sagt Bosch. „Jetzt funktioniert das Stück wie Malen nach Zahlen. Es gibt festgelegte Punkte, an die wir kommen müssen, der Rest wird frei gestaltet.“
Inspiration für den Inhalt des Stückes fand Bosch in Berlin: „Dort gibt es viele Menschen, die kurz davor sind, durchs System zu fallen oder schon ausgestiegen sind. Sie wollte ich darstellen.“ Ihre Kandidaten sind keine extremen Charaktere, beide stecken aber in ihrem Leben fest. Er leidet an der Gesellschaft, sie an sich selbst – sie kapseln sich ab. Kurz vor der Isolation werden sie in die Show geworfen.

Mit der Figur des Showmasters verarbeitet Bosch das Klischee des machtgeilen Regisseurs, das gerade medial diskutiert wird. Figuren wie Dieter Wedel, Harry Weinstein oder Bill Cosby zeigen, dass übergeordnete Positionen von Männern oftmals ausgenutzt werden, um Schauspielerinnen und Schauspieler zu manipulieren. Auch in der eigenen Realität war Bosch mit derartigen Methoden konfrontiert. „Ich war nie in der Situation, dass ich einen sexuellen Übergriff erlebt habe, aber ich kenne Regisseure, die ihre Schauspieler bewusst fertig machen, um ein gutes Spiel zu erleben. An der Schauspielschule wurden wir stellenweise solange mit scharfer Kritik konfrontiert, bis etwas rauskam. Tränen zum Beispiel“, so Bosch.

Mit diesem Bild des wild gewordenen, manischen Regisseurs, mit dem Diktator und Manipulator, spielt sie in „Lös geht’s“. Klar war aber immer, dass es sich dabei um ein Spiel gehandelt hat. Alle Beteiligten haben auf Augenhöhe zusammen gearbeitet, es gab keine Hierarchien und keine Machtdemonstrationen – immer aber einen spielerischen Umgang damit. In der Entwicklung des Stückes hat Bosch den beiden Spielenden beispielsweise Regieanweisungen auf deren Smartphone geschickt. „So wussten sie nicht, was der andere gerade vorhat, wo er hin will. Dadurch haben sie sich manipuliert gefühlt. Das war wichtig für den Prozess“, so die Regisseurin. „Teilweise hat es auch zu Verwirrungen geführt. Manchmal war nicht klar, ob wir gerade im Stück oder in der Realität sind. Dann wurde ich gefragt, ob ich jetzt als Showmaster oder als Regisseurin spreche. Mit dieser Dopplung von Ebenen und Hierarchien wollte ich bewusst spielen.“

„Lös geht’s“ steht für einen Neustart, eine Erlösung, eine Antwort auf all die Krisen unserer Zeit. Bosch: „Es ist unsere Version von Wir schaffen das!“

Veronika Fischer (Fotos: Sabrina Meier)

Termine:
15. Juni und 17. Juni · 20 Uhr · Kulturzentrum K9, Konstanz. Eintrittskarten
18. Juni · 20 Uhr · Horst Klub · Kreuzlingen: www.horstklub.ch