Geht es der Linkspartei so schlecht, wie sie sich fühlt?

Noch immer gilt die Partei Die Linke vielen in Europa als Vorbild. Denn nirgendwo hat eine antikapitalistische Organisation eine so starke parlamentarische Präsenz. Doch das könnte sich ändern, wenn sich Die Linke nicht bald ändert, meint Wolfgang Storz in seinem Kommentar: Lesenswert und diskussionswürdig nicht nur für Linke.

Spätestens seit der Wahl in Berlin fühlt sich Die Linke gar nicht mehr gut. Da hatte sie sich knapp zehn Jahre in einer Koalition mit der SPD abgerackert   – und dann flog sie Mitte September mit einem Stimmenminus von 1,7 Prozentpunkten nicht nur aus der Regierung; sie musste auch erleben, wie die junge Piratenpartei ohne Erfahrung und ohne richtiges Programm einen unverschämten Erfolg einfuhr und knapp neun Prozent der Stimmen holte.

Die PiratInnen hatten mit knapp 130 000 Zweitstimmen nur rund 40 000 weniger gewonnen als Die Linke, der sie etwa 13 000 WählerInnen abjagten. Weil sie die Jungen quer durch alle Schichten mobilisieren konnte, wird diese netzaffine Partei mit ihren eher linken und handgestrickten Vorstellungen (bedingungsloses Grundeinkommen, Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr, Partizipation und Transparenz) überall gefeiert.

Der Frust der Linkspartei

Das deprimiert die Linkspartei, die den Fehler macht, alles an ihrer stürmischen Erfolgsgeschichte zu messen. Bei der letzten Bundestagswahl vor zwei Jahren hatte sie mit dem Erfolgsduo Gregor Gysi und Oskar Lafontaine an der Spitze fast zwölf Prozent errungen, ein außerordentlicher Erfolg. Davon ist die Partei inzwischen so weit weg, dass sich führende Linke wie etwa Sahra Wagenknecht überlegen, mit diesem altbewährten Duo in den Bundestagswahlkampf 2013 zu ziehen. Doch diese Idee bringt viele ostdeutsche Linke in Rage: Ihnen ist Lafontaine im Denken und Reden zu radikal, im parteiinternen Umgang zu autoritär und im Umgang mit der SPD, seiner ehemaligen Partei, zu verbissen. Lafontaine selbst schweigt bisher.

Jene aber, die eine politische Retrowelle planen, scheinen eines zu vergessen: Die schnellen Erfolge der Vergangenheit sind zwar auch den Galionsfiguren Gysi und Lafontaine zu verdanken. Ausschlaggebend war jedoch ein anderer Punkt: Bis 2009 saß die Konkurrentin SPD mit in der Bundesregierung und konnte zu Recht wegen ihrer unsozialen Politik gebrandmarkt werden. Das heißt: Gysi und Lafontaine konnten reüssieren, weil es eine historische Ausnahmesituation gab. Doch die ist vorbei. Das geplante Revival birgt mithin die Gefahr, in einem Desaster und der Entzauberung der einstigen Erfolgsgaranten Gysi und Lafontaine zu münden. Und dann hätte Die Linke nichts mehr zu bieten, nicht einmal eine gute ­Vergangenheit.

Die Linke kann ihre Themen nicht nutzen

Die Frage, welche die Partei schon seit längerem quält, lautet: Wie ist der momentane Zustand zu deuten? Ist es eine Normalisierung nach stürmischen Erfolgen? Oder der Einstieg in den Abstieg? Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg hat Die Linke ganz ordentlich abgeschnitten, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verfehlte sie den Einzug in die Landtage, in Berlin flog sie aus der Regierung. Der Aufstieg ist also gestoppt, die Ausweitung Richtung Westdeutschland auch, in Umfragen liegt sie nur noch bei bestenfalls acht Prozent. Die selben Umfragen versprechen SPD und Grünen auf Bundesebene eine eigene Mehrheit; Rot-Grün kommt derzeit ohne Die Linke aus.

Das könnte man durchaus als Prozess der Normalisierung ansehen. Es gibt jedoch mehrere Indizien, die für einen Abwärtstrend sprechen. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass die Linke nicht mehr gewinnt, obwohl ihr alle wichtigen Themen   – abgesehen von der Energiewende   – eigentlich in die Hände spielen. Vor allem von der Euro- und der Finanzmarktkrise müsste sie profitieren, tut sie aber nicht.

Grund dafür sind unter anderem handwerkliche Fehler. Ausgerechnet bei der Finanzmarktkrise hat Die Linke monatelang keine öffentliche Rolle gespielt. Erst jetzt will sie sich mit einer Kampagne und mit Konferenzen bemerkbar machen. Sie hat auch politisch noch keine Antwort auf die Bewußtseinsspaltung ihres potenziellen Publikums gefunden: Viele Bürger­Innen befürworten ihre linken sozial- und wirtschaftspolitischen Positionen, positionieren sich jedoch in Fragen der Toleranz, der Integration, der Kultur konservativ bis rechts.

Probleme mit dem Führungspersonal

Entscheidend ist jedoch etwas anderes. Die Partei verfügt über ein Führungspersonal, dem von der ersten bis zur dritten Reihe etwa fünfzig PolitikerInnen angehören. Sie kommen aus Ost oder West, sie sind ReformerInnen oder Altlinke, sie setzen auf Regierungsbeteiligung oder auf außerparlamentarische Bewegungen. Und sie schaffen es bei allen Meinungsverschiedenheiten nicht, loyal zusammenzuarbeiten. Nach allem, was halbwegs glaubhaft nach außen dringt, ist diese Gruppe in Hass, Misstrauen und Unverständnis miteinander verbunden. Vielleicht überfordern ja die unterschiedlichen Ansätze und die immer noch gravierenden kulturellen Differenzen zwischen Ost und West die noch junge Partei. Jedenfalls kolportieren die Medien genüsslich jeden Zwist.

Ende nächster Woche wird Die Linke in Erfurt ihr neues Parteiprogramm beschließen, in dem sie ihre große historische Mission präzisiert: das Leben der großen Mehrheit der Menschen zum Besseren wenden. Die wichtigsten Führungskräfte zeigen jedoch momentan sehr überzeugend, wie wenig sie dieser Aufgabe gewachsen sind.

Autor: Wolfgang Storz/woz